CHAPTER SIX: Das gelbe Gebiet II

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Nancy steht bereits neben einem schwarzen Transporter, als wir schließlich neben ihr halten. Es ist kein Parkplatz, sondern ein Teil dessen, was wohl damals mal eine Straße gewesen ist. Die Häuser um uns herum sind fast alle eingestürzt, lediglich einzelne Grundmauern stehen noch. Ziegelsteine; Holzbalken; Splitter und Erde ist das einzige was mein Auge erfasst. Es herrscht absolutes Chaos und doch ist es so still und menschenleer, dass es fast schon geisterhaft wirkt. Einen Moment lang bin ich von dem Anblick wie versteinert, dann öffnet Steve die Tür auf seiner Seite des Wagens und kühle Luft strömt mir entgegen. Kurz überlege ich ob es wirklich eine gute Idee war, mich genau dieser Gruppe anzuschließen, dann ermahne ich mich dazu, mich zusammen zu reißen und steige ebenfalls aus. Mein Blick wandert nach oben. Die Sonne blitzt leicht zwischen den Wolken hervor, aber sie sind zu schwer und zu dunkel um das Licht wirklich hindurch zu lassen, weshalb die Stimmung trüb und düster wirkt. Ich kann den Schauer nicht unterdrücken, der mir den Rücken hinab läuft.

Steve ist bereits bei Nancy angekommen und obwohl ich zu weit von ihnen entfernt bin, um sie zu verstehen, sehe ich in ihren Gesichtern, dass keiner sich wirklich wohl in dieser Situation fühlt. Ob es generell daran liegt, dass es gefährlich werden kann, oder an mir, kann ich nicht sagen. Letzteres ist sehr wahrscheinlich, aber auch die Aufgabe, die uns bevor steht, scheint an ihnen nicht spurlos vorbei zu gehen. Sie sehen besorgt aus.

Vorsichtig trete ich über die eingerissene Straße an sie heran, wohl darauf bedacht, dass ich nicht stolpere. »Welche Stärke hatte dieses Erdbeben nochmal?«, frage ich staunend.

Nancy wirft Steve einen warnenden Blick zu. »Sehr stark«, antwortet sie knapp. »Hat Steve dir erklärt was genau wir hier vor haben?«

»Wir sicheren das Gebiet, oder?«

Sie nickt. »Richtig. Das fasst es ziemlich gut zusammen. Ich gehe in die kleinen Nebenstraßen -« Sie zeigt in die Richtung von etwas, was wohl mal eine Häusergruppe gewesen ist. »Ihr nehmt die Hauptstraße hier. Etwa einen Kilometer von hier sollten wir uns dann an einer Gabelung wieder treffen. Hopper hat gesagt, dass dort die Zerstörung mit am schlimmsten ist und ich schätze, wir sollten einfach sehen wie weit wir kommen.«

Es entgeht mir nicht, dass sie eher mit Steve spricht, als mit mir.

»Würde es nicht schneller gehen, wenn wir uns komplett aufteilen?«, frage ich und runzle die Stirn. Mit einer Bewegung meiner Hand zeige ich in die genau entgegengesetzte Richtung, gegenüber der kleinen Straßen, die Nancy sich vornehmen will.

Steve schnaubt verächtlich. »Nichts da«, sagt er bestimmend. »Nichts für Ungut, Megan, aber wir lassen dich bestimmt nicht alleine durch die Gegend spazieren. Du bleibst für den Anfang bei mir.«

Wenn du wüsstest, schießt es mir durch den Kopf. Ich setze zu einer Antwort an, kann aber an seiner Miene erkennen, dass er keine Widerrede zulässt. Mir entwischt ein leises Seufzen, von dem ich mir nicht sicher bin, ob er es gehört hat, dann ziehe ich die Schultern hoch. »Wie ihr meint.«

Steve und Nancy nicken sich zu. Ich beobachte, wie sie die Hand nach ihm ausstreckt und ihm kurz über den Unterarm streicht. Es ist eine beiläufige Geste, aber ich meine Zuneigung in ihrem Blick aufblitzen zu sehen.»Passt auf euch auf«, murmelt sie, dann dreht sie sich um und huscht los. Ihre Locken hüpfen auf und ab, dann ist sie verschwunden.

Mein Blick wandert zu Steve. Er steht noch an der selben Stelle und sieht ihr nach. Ich kann seinen Blick nicht genau deuten, aber ich kann sehen, dass sich auf jeden Fall Sorge darin befindet. Sorge und eine Spur von dem, was ich auch in ihrem Gesicht meine gesehen zu haben.

»Ihr beide -«, fange ich an. »Zwischen euch ist irgendwas, oder? Seit ihr zusammen?«

Steve löst sich aus seiner Starre. Einen Moment scheint er zu überlegen, ob er mir antworten möchte, dann zuckt der mit den Achseln. »Waren wir mal. Ist lange her.«

»Aber du magst sie noch«, stelle ich nüchtern fest. Es ist keine Frage. Ich habe nicht vor aufdringlich zu sein. Es ist lediglich eine Beobachtung.

»Nicht mehr auf diese Weise. Wir ... Sie ist - «, stottert er mühsam. »Es ist kompliziert.«

»Ist es das nicht immer?« Ich wende den Blick ab und aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er es ebenfalls tut. Meine Worte bleiben unbeantwortet in der Luft zwischen uns schweben.

»Wir sollten gehen.«

Ich nicke nur.

Steve geht sofort los und ich folge ihm mit einem kleinen Abstand.

Unter unseren Füßen gibt der Boden leicht nach, so hoch haben sich Erde und Geröll gestapelt, aber alles in allem kommen wir ganz gut voran. Es ist weniger anstrengend als ich gedacht habe, aber mein Atem geht trotzdem stoßweise, während wir über einen Holzbalken steigen, der uns im Weg liegt. Ich kann ein paar Meter weiter den Spalt sehen, der mir schon aufgefallen ist, als ich mich den Tag zuvor alleine auf den Weg gemacht habe, bevor ich dann schließlich auf Robin getroffen bin.

»Das da in der Mitte. Dieser Spalt. Sieht aus, als hätte sich die Erde einfach aufgetan«, stelle ich fest. »Mir ist das gestern schon aufgefallen. Er zieht sich durch die gesamte Stadt.«

Steve muss nicht hinsehen um zu wissen was ich meine. »So in Etwa.«

Seine Antwort fällt genauso knapp und abweisend aus, wie die von Nancy vorhin.

Am liebsten würde ich nachfragen, aber ich beiße mir auf die Lippe und unterdrücke meine Neugierde. Ich nehme mir fest vor das später nochmal zu thematisieren. Für den Moment konzentriere ich mich voll und ganz auf den Weg vor mir. Ein paar Mal ertappe ich mich dabei, wie ich stehen bleibe um mich genauer umzusehen, aber Steve dreht sich jedes Mal schnell zu mir herum und ermahnt mich dicht bei ihm zu bleiben, also lasse ich auch diese Versuche bald sein. Alles in allem scheint es wirklich nur ein Erdbeben gegeben zu haben, zumindest kann ich nichts erkennen, was für etwas anderes spricht.

Der Kilometer von dem Nancy gesprochen hat, kommt mir trotz der geringen Belastung, dennoch lang vor. Es ist so, als würde sich die Zerstörung in unendlichen Weiten vor uns erstrecken. Hawkins kommt mir zum ersten Mal nicht mehr klein vor, sondern riesengroß.

Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, in der wir schweigend hintereinander her gehen, dann bleibt Steve schließlich stehen. Wir sind an einer Gabelung angekommen; zweifellos die, die Nancy gemeint hat, denn sein Gesichtsausdruck verzieht sich unmerklich.

»Sie ist sicherlich gleich da«, versuche ich ihn zu beruhigen, aber er beachtet mich nicht, sondern sieht sich angestrengt in der Umgebung um. Es vergehen einige Minuten, in der die Stille unheilvoll über uns liegt, dann wird sie von einem Schuss zerrissen, der sich kaum eine Nebenstraße von uns entfernt befinden kann. Er ist so deutlich zu hören, dass ich den Drang verspüre mir die Ohren zu zu halten. Steve zuckt zusammen, sodass mein Herz noch schneller anfängt zu schlagen, als es beim Klang des Schusses, ohnehin schon tut. Adrenalin schießt in meine Adern und obwohl ich sie nicht kenne; keinen Bezug zu ihr habe, reagiere ich instinktiv.

Ich renne los, die Stimme von Steve ignorierend, die wütend meinen Namen brüllt.

Das letzte KapitelWhere stories live. Discover now