CHAPTER THIRTEEN: Vier plus Elf

64 8 3
                                    

Chaos.

Es ist das erste Wort was mir einfällt, als ich beobachte wie die Stimmung sich in der Hütte verändert. Die Stille wird von den verschiedenen Stimmen auseinander gerissen. Beinahe hysterisch schreien sie durcheinander; wirre Wortfetzen, die für mich keinen Sinn ergeben, fliegen unsichtbar durch die Luft. Es klingt wie ein Chor, der in einer fremden Sprache singt und ich bin mir sicher, dass keiner dem anderen wirklich zuhört. Die Unruhe lässt mein Herz schneller schlagen.

Am liebsten würde ich dazwischen schreien, doch ich bin selbst so verwirrt, dass ich eine ganze Weile brauche um mich wieder zu fangen. Mein Blick wandert zu Robin, von dessen Gelassenheit nicht mehr viel übrig ist. Sie ist aufgesprungen, hat die Hände in ihren Haaren vergraben und schreit Steve unverständliche Worte entgegen, welche er mit ebenso lauter Stimme abschmettert. Ich runzle die Stirn und kneife die Augen zusammen, als würde ich so den Lärm ordnen können, doch es bringt nichts.

»STOP!«, rufe ich so energisch dazwischen, dass es in meiner Kehle zwickt. Erst denke ich, dass keiner mich wahrnimmt, dann halten sie ebenso abrupt in der Bewegung inne, wie vorhin, als ich die Hütte betreten habe. Sie alle starren in meine Richtung; in ihren Blicken spiegelt sich neben Unglaube und Sorge, auch noch etwas anderes. Es ist Neugierde und absolute Fassungslosigkeit.

»Was zum Teufel ist los?«

Mein Herz poltert mir gegen meinen Brustkorb, weil ich nicht weiß, was ich von all dem hier halten soll. Ich kann mir nicht erklären, was an dieser Situation so viel schlimmer ist, als dass, was sie schon von mir gesehen haben. Vollkommen perplex, obgleich den plötzlichen Ausbrüchen von allen, sehe ich zwischen ihnen hin und her. Keiner sagt etwas. Fragend lege ich den Kopf zur Seite und sehe auffordernd umher. Meinen Pullover habe ich immer noch hochgekrempelt, was mir deutlich bewusst wird, als ich den bohrenden Blick von Steve bemerke, der immer noch auf dem kleinen Tattoo liegt.

»Wieso starrst du mich so an?«, frage ich lauter als beabsichtigt.

Steve wird bei der Lautstärke aus seiner Starre gerissen. Er schüttelt den Kopf und blinzelt ein paar Mal, dann wendet er sich an mich. »Woher hast du das?« Mit einem Finger zeigt er auf die schwarzen Ziffern. Seine Worte verwirren mich erneut.

»Was meinst du damit „Woher ich das habe"?«

»Die Tattoowierung«, sagt er, als würde das als Erklärung ausreichen. »Wieso hast du sie?«

»Das wollte ich doch gerade erzählen«, gebe ich zurück. Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und mustere ihn. »Was ist denn plötzlich los?«

»Heilige Scheiße«, presst Steve erneut hervor, als müsse er seinen Worten von vorhin noch einmal Ausdruck verleihen. »Was hier los ist frage ich mich auch.« Er sieht zu Dustin und Lucas, die mich ebenfalls immer noch anstarren, als wäre ich eine Außerirdische.

»Wir holen sie, oder?«, fragt Lucas, den ich bis zu diesem Moment noch nie wirklich habe sprechen hören. Er sieht zu Steve, welcher sich mit einer Hand durch seine vollen Haare fährt und stößt dann Dustin unsanft in die Seite. »Wir sollten sie dazu holen!«

»Wen?«, will ich wissen, doch sie ignorieren mich und ich frage nicht nach, weil ich nicht sicher bin, ob ich die Antwort hören möchte. Abwechselnd blicke ich Dustin und Lucas an, bis mein Blick schließlich wieder zu Steve wandert. Ich erhoffe mir im Stillen wenigstens eine kurze Erklärung, aber er sieht mich nicht einmal an.

»Ja, macht das«, antwortet er stattdessen nickend. »Beeilt euch. Und seit vorsichtig.«

Dustin und Lucas nicken beide und stolpern dann ohne ein weiteres Wort zur Hintertür hinaus. Stille legt sich wieder über uns und obwohl ich so viele Fragen habe, kann ich nicht anders, als ihnen noch minutenlang hinter zu starren. Als ich aufsehe und den Blick abwenden will, fällt er erneut auf Steve. Er steht angespannt an immer noch der selben Stelle, das Gesicht weiterhin zur Tür gerichtet. Seine Miene ist besorgt, so sehr, dass ich das Verlangen verspüre eine Hand nach ihm auszustrecken um ihn zu beruhigen. Vorsichtshalber verschränke ich meine Arme fest vor der Brust um nicht weiter in Versuchung zu kommen. Um mich abzulenken, gehe ich in Gedanken noch einmal alles genau durch. Ich versuche herauszufinden was genau bei ihnen solch eine Reaktion hervorgerufen hat, aber mir fehlt das entscheidende Puzzleteil. Es muss etwas mit meinem Tattoo zu tun haben, so viel ist mir klar, aber was?

Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass wir vielleicht doch mehr wissen, als du glaubst?

Robins Worte schießen durch meinen Kopf, aber auch sie geben mir nicht wirklich eine Antwort. Sie wissen mehr; davon bin ich überzeugt, aber wie viel wissen sie? Wie ist es möglich, dass sie vielleicht sogar etwas über mich und meine Vergangenheit wissen? Mein Unterbewusstsein meldet sich unterschwellig und ich denke für einen Moment daran, dass ich genau deshalb seit Jahren mein Handgelenk unter Stoff verstecke. Damit mich niemand erkennen kann, nicht deshalb. Ich schüttle unmerklich den Kopf um die Möglichkeit, dass sie vielleicht zu denen gehören, die mir weh getan haben, zu verscheuchen. Das kann nicht sein. Niemand von hier kann etwas wissen, es sei denn... Wieder taucht die Option auf.

Ich denke den Gedanken nicht zu Ende. Keiner von ihnen hat etwas mit dem zu tun, was mir im Labor widerfahren ist. Niemand von ihnen war dort, da bin ich sicher. Sie sind gute Menschen; die Hälfte von ihnen sind nichts weiter als Kinder. Allein die Vorstellung sie würden auch nur im entferntesten darin verwickelt sein, ist absurd. Und trotzdem versuche ich immer und immer wieder eine Lösung zu finden. Es dauert nicht lange, da breitet sich ein stechender Schmerz in meinem Kopf aus. Ich gebe auf und schwanke erschöpft einen Schritt zur Seite. Die letzten Tage haben mich ausgelaugt.

»Alles in Ordnung?«

Ich habe nicht bemerkt, dass Steve neben mir steht. Seine Hand zuckt, als wolle er nach mir greifen, doch dann zieht er sie ebenso schnell wieder zurück.

Ich nicke und lasse mich, das Bild seiner leicht ausgestreckten Hand ignorierend, zurück in den Sessel sinken.

»Wir müssen dir vorkommen wie Verrückte«, sagt Steve leise und seine Mundwinkel heben sich leicht. »Auf einige von uns trifft das wahrscheinlich sogar ein bisschen zu.«

Es ist der klägliche Versuch eines Witzes. Er will die Stimmung auflockern. In mir keimt das Gefühl von Dankbarkeit auf. Ich werfe ihm ein kurzes Lächeln zu. »Verrückt passt gut«, scherze ich ebenfalls, aber meine Stimme klingt alles andere als amüsiert. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie Nancy, die bis eben stocksteif in der gleichen Ecke gestanden hat, sich bewegt. Als ich mich ihr zu wende, sieht sie mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht deuten kann, aber noch ehe ich sie genauer mustern kann, geht die Vordertür auf. Die Angeln quietschen, als sie sich öffnet und ich fahre automatisch herum. Dustin und Lucas sind zurück, aber sie sind nicht alleine. Hinter ihnen sehe ich deutlich, dass noch jemand dort ist, aber ihre Körper verdecken den Blick auf die Person.

Einige Augenblicke, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, stehen sie an Ort und Stelle, dann treten sie beide fast gleichzeitig zur Seite.

Ein Mädchen, jünger als ich, kommt zwischen ihnen hervor. Ihr Anblick löst bei mir eine Gänsehaut aus. Die kurzgeschorenen Haare kommen mir so vertraut vor. Ein kleiner Regenbogen taucht in der hintersten Ecke meines Gedächtnisses auf. Mein Körper macht sich selbstständig und erhebt sich wie in Zeitlupe aus dem Sessel. Ich höre mein Blut in meinen Ohren rauschen und taumle einen winzigen Schritt auf sie zu. Sie starrt mich ebenso skeptisch an, wie ich sie, macht aber keine Anstalten mir entgegen zu kommen oder etwas zu sagen.

»Megan, das ist Elfie«, lispelt Dustin schließlich. Seine Stimme hört sich für mich an, als wäre sie in Nebel gefangen. Nur undeutlich dringen seine Worte an mein Ohr. Mein ganzer Körper ist damit beschäftigt sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wie von selbst wandern meine Augen am Arm des Mädchens herunter und bleiben an ihrem Handgelenk hängen.

Dort, in genau dem gleichen intensiven Schwarz, leuchten mir die Zahlen entgegen.

011.

Das letzte KapitelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt