Kapitel 2 - Cocktails für die Ladies

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Levy machte es mir leicht. Er rief mich am frühen Abend an, um mir mitzuteilen, dass er noch ein extrem wichtiges Geschäftsessen hätte und dass es leider spät werden würde.
„Stört es dich sehr, wenn ich heute mit Mia ein bisschen feiern gehe?", fragte ich und kam mir dabei trotzdem vor wie eine falsche Schlange.
„Ach, ich hätte mich schon gefreut, wenn du mir das Bett vorwärmst, wenn ich nach Hause komme", witzelte er am Telefon, „aber, Quatsch, geh ruhig. Dann habe ich auch nicht so viel Druck nach Hause zu kommen."

Druck nach Hause zu kommen? So empfand er das?
Ich ließ mich auf den Hocker fallen, der neben unserem Vintage-Telefontischchen stand. Gedankenverloren wischte ich mit den Fingerkuppen den Staub von den gußeisernen Verzierungen.
„Ava?", fragte er, als ich stumm blieb, „alles ok mit dir?"
Resigniert hob ich die Schultern, was er natürlich nicht sehen konnte.
„Ja, alles ok. Viel Erfolg dann heute Abend", sagte ich schließlich.

Mein Kummer darüber, dass Levy irgendwie anfing, sich ein Leben an mir vorbei aufzubauen, hielt nicht allzu lange an. Ich öffnete den Kleiderschrank, der so geräumig war, dass, außer unseres französischen Bettes und zwei winzigen Nachttischen, kein einziges weiteres Möbelstück mehr Platz im Schlafzimmer gefunden hatte. Prüfend begutachtete ich meine Garderobe, entschied mich für vier Blusen und drei Hosen und schleppte den ganzen Haufen ins Wohnzimmer.

Ich schaltete den Fernseher ein und probierte die unterschiedlichen Kombinationen vor einem großen Standspiegel an, der aus Platzmangel nur noch im Wohnzimmer aufgestellt werden konnte.

„...was offenbar auf eine allergische Reaktion zurückzuführen war", erzählte gerade der Nachrichtensprecher - bekannte Stimme des Senders CNN - während ich meinen neuen Spitzen-BH verschloss und in eine weiße, kurze Bluse schlüpfte.
„Außer der Schwarzen Witwe gibt es in Kalifornien keine Giftspinnen", erklärte er mir jetzt, obwohl ich das, wie jeder gut informierte Kalifornier, schon wusste.

Der Biss der weiblichen Schwarzen Witwe konnte allerdings unbehandelt durchaus zum Tod führen, ihr Gift verursachte Krämpfe, die beim Menschen unter anderem Schlaganfälle oder Herzinfarkte hervorrufen konnten.

Während ich die weiße Bluse gegen eine mitternachtsblaue austauschte, wunderte ich mich jedoch, dass ein solcher Fall Erwähnung in den Zwanzig-Uhr-Nachrichten fand.

Schließlich entschied ich mich für die dunkelblaue Bluse mit dem raffinierten Ringerauschnitt, der meine Schultern besonders gut zur Geltung brachte, und eine Levi's mit Schlag. Bisschen viel blau, dachte ich und peppte den Look mit weißen Chucks auf. Der Schlüssel fiel mir zwei Mal aus der Hand, als ich ihn vom Schlüsselbrett nehmen wollte. Liebe Güte Ava, dachte ich, vielleicht solltest Du doch besser zu Hause bleiben.

Als ich nach draußen trat, hatte der Himmel eine blaurote Färbung angenommen. Ein leichter, warmer Wind wehte mir entgegen, und mich überkam eine solche Lust, heute Abend feiern zu gehen, dass ich mich sofort wieder schuldig fühlte.

Kopfschüttelnd schloss ich meinen weißen Dreier-BMW auf, der ein Geschenk meiner Eltern zum bestandenen Highschoolabschluss gewesen war.
Warum machte ich mir solche Gedanken? Levy hatte mir doch zuerst abgesagt!

Harrys Beach Club war eine kleine Bar, die direkt an der Strandpromenade lag, und vielleicht aufgrund der geringen Größe übersehen werden würde, wenn da nicht die außergewöhnliche Beleuchtung im Fenster wäre. Die Glastür und das daneben liegende breite Fenster hingen voll mit Leuchtreklametafeln in allen Größen und Farben.

Ich atmete einmal tief durch, bevor ich die Tür öffnete, nervös wie immer, wenn ich alleine eine Bar betrat. Erleichtert entdeckte ich Mia, die, ein Glas Wasser vor sich, mit einigen Leuten am Tisch saß.

Der Innenraum der Bar war genauso klein, wie die äußere Fassade vermuten ließ. Genau vier Tische passten an die eine Seite des Raumes, die andere Seite wurde vollständig von der Theke beansprucht. Trotzdem sorgten die alten Holzmöbel und die Deko, die vorwiegend aus verzierten Spiegeln bestand, für eine gemütliche Atmosphäre.

Es gab mehrere Möglichkeiten, in Grover Beach feiern zu gehen. Die Einheimischen nutzten vorrangig die Bars in den Hotels, die direkt am Strand lagen. Sie waren in den meisten Fällen ziemlich nobel und teuer, aber der Ausblick auf den gewaltigen Ozean machte die gehobenen Preise wett.

Ungezwungener, und vor allem wesentlich freundlicher für den Geldbeutel, war natürlich der Strand selbst. Überall standen Feuerschalen zur freien Verfügung, die gerne genutzt wurden, manchmal zum Grillen, oft auch nur der Atmosphäre wegen. Dass sie sich heute hier in dieser kleinen Bar trafen, lag in erster Linie daran, dass die Jungs mit denen Mia hier war, Karten spielen wollten. Und dabei Alkohol konsumieren, natürlich. Was in den edlen Hotelbars nicht gern gesehen wurde.

Ich steuerte auf den mittleren Tisch zu, an dem außer Mia noch ein weiteres Mädchen saß. Sie hatte sehr feine Gesichtszüge, lockige lange Haare und schmal gezupfte Augenbrauen. Sie war hübsch, aber auf eine arrogante Art, fand ich. Der dunkelhaarige Junge neben ihr war offenbar ihr Freund, jedenfalls hatte sie, ein wenig besitzergreifend, ihre Hand auf seinem Oberschenkel liegen. Rechts von der Arroganten saß ein blonder Hüne, der Platz für zwei beanspruchte. Er sah nicht mal auf, als ich an den Tisch trat. Jeremiah, Mias Freund, hob nur kurz zum Gruß die Hand, bevor er sich sofort wieder auf seine Karten konzentrierte. Und zuletzt Chase, der mich mit einem offenen Lächeln ansah und freundlich „Hallo", sagte. Alles nur seine Aufreißermasche, dachte ich abfällig und nickte nur knapp.

Mia grinste und rutschte ein kleines Stück, um mir Platz zu machen. „Hey, schön, dass du kommen konntest. Das müssen wir jetzt aber feiern. Wie wärs mit einem Cocktail?"
Sie reichte mir die Getränkekarte. Ich schüttelte den Kopf, während ich die Seite mit den Cocktails suchte. „Ich bin mit dem Auto da, ich kann keinen Alkohol trinken. Aber ich nehme einen Virgin, wenn sie den hier haben."

Sie hatten! Sogar mehrere! Ich entschied mich für einen Safer Sex on the Beach, Mia bestellte einen Mai Tai bei dem netten jungen Mann, der kurz darauf an unseren Tisch kam und die Bestellung aufnahm.

Aus dem Augenwinkel beobachtete ich die Jungs, wie sie hochkonzentriert auf ihre Karten blickten, hin und wieder eine auf den Tisch knallten und sich entweder darüber freuten oder aber das Gesicht verzogen.

Mia informierte mich, dass die Arrogante Erika hieß, und wohl deshalb so elitär wirkte, weil sie in wenigen Tagen eine Ausbildung beim Modezar Hèrmes beginnen würde. Ihr gut aussehender Freund hieß Jamie, und der blonde Hüne Marcus.

Der junge Kellner balancierte unsere Getränke auf einem kleinen, runden Tablett.
„Die Cocktails für die Ladies", verkündete er gut gelaunt. Er stellte ein riesiges, bauchiges Glas auf den Tisch, das mit einer orangefarbenen Flüssigkeit gefüllt war. Als Deko steckte eine Scheibe Ananas auf dem Rand des Glases. Eiswürfel klirrten darin, als er es in meine Richtung schob. „Einmal der Safer Sex on the Beach."

„Ernsthaft, safer Sex?", sagte Chase mit einem anzüglichen Lächeln. Ich starrte ihn an, mir klappte unvorteilhaft der Mund auf und es dauerte zu lange, bis ich ihn wieder schloss. Und wie jedes Mal fiel mir keine schlagfertige Erwiderung ein. Den Mai Tai von Mia ließ Chase unkommentiert.

Grinsend hielt Mia mir ihren Strohhalm entgegen. „Nimm nen Riss, bringt dich wieder runter!"
Dankbar nahm ich einen Zug von der herrlichen Mischung aus zwei verschiedenen Rumsorten, Orangenlikör, Limettensaft und Grenadine. Dabei konnte ich es nicht verhindern, dass meine Blicke sich ein weiteres Mal in Chases Richtung verirrten und registrierte, dass er sich offenbar noch immer über mich amüsierte.

Ehrlich, was für ein Arsch! Dabei konnte er sich auf sein Aussehen so furchtbar viel auch nicht einbilden. Ok, vielleicht wenn man auf stahlblaue Augen stand (was ich leider tat).

Mia und ich hatten einen wunderbaren Abend. Wir lachten viel, lästerten auch ein bisschen und ich hörte mir ihre noch immer aktuellen Probleme mit Jeremiah an. Es war ein Abend, den man ungern zu Ende gehen ließ. Trotzdem verabschiedete ich mich gegen halb eins, weil ich Levy nicht zu lange warten lassen wollte. Sicher war er längst zu Hause und fragte sich, wo ich blieb.

Doch so war es ganz und gar nicht. Unsere gemeinsame Wohnung lag im Dunklen, als ich die Haustür aufschloss, nur das gedimmte Flurlicht brannte. Levy glänzte mit Abwesenheit. Tatsächlich kam er irgendwann nach zwei Uhr, als ich längst tief und fest eingeschlafen war.

Und wie es der Teufel so wollte, träumte ich von stahlblauen Augen.

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