Kapitel 3 - Das Drecksau-Prädikat

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„Ava, aufwachen, wenn du Kaffee willst."
Ich drehte mich müde auf die andere Seite.   
„Mmmhhhh", machte ich dabei.

Etwas wurde mir vor die Nase gehalten. Ich nahm einen aromatischen Duft wahr und öffnete zögerlich die Augen. Verschwommen erkannte ich die Umrisse einer Tasse. Ich blinzelte. Levy stand vor mir, ein liebevolles Grinsen im Gesicht, in der Hand eine randvoll gefüllte Kaffeetasse.

„Komm, Süße, ich habe nicht so viel Zeit, ich wollte noch schnell ins Büro fahren."
Schlagartig wurde ich wach. „Ist heute nicht Samstag?", fragte ich, und vernahm in meiner eigenen Stimme einen zänkischen Unterton.
„Ja eben", flötete Levy gut gelaunt, da kann ich ganz entspannt noch was fertig machen, was liegen geblieben ist."

Für mich war das Thema „Samstags arbeiten" noch lange nicht vom Tisch. Dementsprechend schlecht war meine Laune, und daran konnte selbst die Tasse Kaffee, die ich knapp zehn Minuten später vor mir stehen hatte, nichts ändern. Missmutig rührte ich darin herum.

„Hast Du dich eigentlich endlich mal an einem College beworben?", fragte Levy mit hochgezogen Augenbrauen.

Das machte er immer ganz geschickt. Wenn er wusste, dass ich einen berechtigten Grund hatte, auf ihn sauer zu sein, dann hielt er mir meine eigenen Verfehlungen vor Augen. Und ganz sicher konnte man meine Trägheit, was Bewerbungen betraf, als solche bezeichnen, denn die Highschool war längst abgeschlossen - bestanden, aber, anders als Mia, mit nicht erwähnenswerten Noten - und ich hatte es noch nicht geschafft, mich überhaupt für irgendeine Berufsrichtung zu entscheiden.

Ohne es zu wollen, ließ ich mich auf diese Diskussion ein, sehr wohl wissend, dass er geschickt von sich ablenkte. „Ich habe schon eine Bewerbung zu United Airlines geschickt", verteidigte ich mich. „Und eine an die Uni in Santa Barbara."

Levy warf mir diesen leicht amüsierten Blick zu, den ich so unglaublich anziehend gefunden hatte, als ich ihn damals kennenlernte. Ich taxierte ihn, wie er da vor mir saß, die Tageszeitung auf der Tischplatte ausgebreitet, auf die er schon wieder mit einem Auge schielte. Er hatte leicht schräg gestellte, grüne Augen, scharf geschnittene Gesichtszüge und raspelkurz geschnittene Haare. Er war sehr attraktiv, auf eine etwas arrogante Art.

Jetzt schüttelte er unmerklich den Kopf. Ich wusste, er ärgerte sich, dass ich immer alles leicht nahm. Ja, ich kam aus einem reichen Elternhaus und hatte mich nie sonderlich anstrengen müssen, um etwas zu bekommen. Zu allem Überfluss war ich auch noch ein Einzelkind. Ein verwöhntes, noch dazu, fand Levy, sponsored bei Daddy. Was stimmte, ich konnte es nicht leugnen.

„Hier ist übrigens ein interessanter Artikel für dich." Jetzt hatte er eine clevere Methode gefunden, um seine Morgenroutine, das Zeitunglesen, wieder aufzunehmen.
„Im Umkreis von San Luis Obispo häufen sich die Todesfälle durch einen Spinnenbiss", las er vor.

Ich runzelte die Stirn. Ich hatte doch gerade gestern etwas in der Art in den Nachrichten gehört.
„Lies weiter", verlangte ich, woraufhin Levy die entsprechende Seite aus dem Gesamtteil der Zeitung zupfte und mir herüberreichte.

Ungewöhnlich viele allergische Reaktionen mit Todesfolge nach Spinnenbiss im Umkreis von San Luis Obispo

lautete die Überschrift

San Luis Obispo, Mai, 28., 1995

Im Umkreis von San Luis Obispo häufen sich die Todesfälle durch Spinnenbiss.

Begegnungen mit Giftspinnen sind im Westen und auch im Süden der USA nicht selten. Die häufigste Giftspinne in unseren Gefilden ist die schwarze Witwe, wobei bei dieser Gattung nur die Weibchen beißen. Kommt es zu einem Biss, sollte unverzüglich ein Arzt konsultiert werden. Tödlich verläuft so ein Zwischenfall jedoch in den seltensten Fällen. Auch das Gift der braunen Einsiedlerspinne, ebenfalls im Süden der USA beheimatet, kann zwar großen Schaden anrichten und Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen hervorrufen, Todesfälle treten jedoch nur sehr selten auf.

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