Kapitel 8 - Herzinfarkt ist die logische Schlussfolgerung

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Betty Groomer war eine Arachnophobikerin wie sie im Buche stand. Selbst beim Anblick einer kleinen Spinne - „eine winzige Spinne, komm schon, die ist doch süß", pflegte Brad, ihr Ehemann, zu sagen - brach ihr der Schweiß aus allen Poren. Sie hatte sich diesbezüglich informiert und erfahren, dass viele Spinnenphobien möglicherweise auf einer Urangst beruhten, die über Generationen weitervererbt wurde. Hatten unsere Vorfahren höchstwahrscheinlich mit wirklich gefährlichen Spinnen zu tun, musste sich der Mensch aus dem 20. Jhd natürlich keine ernsthaften Sorgen mehr machen, die Furcht jedoch, mochte man sie auch als irrational bezeichnen, könnte bei einigen, nein, bei vielen, geblieben sein.

„Ich habe gelesen, dass Frauen, die mit einer  derart überzogenen Angst auf Spinnen reagieren, eigentlich ein Problem mit dem Sex haben", hatte Brad einmal süffisant angemerkt. Dafür hasste Betty ihn. Sie hatte kein Problem mit Sex, sie mochte nur ihren Körper nicht. Dass sie eindeutig übergewichtig war, könnte auf ihre verhaltene Initiative im Schlafzimmer  durchaus einen großen Einfluss haben. Was aber doch nicht bedeutete, dass sie den Akt an sich verteufelte.

Natürlich war ihr klar, dass sie ihr Gewicht von über hundertachtundneunzig Pfund reduzieren musste. Das predigte auch Dr. Holmes, der betagte Mediziner, der seit Jahrzehnten eine eigene Praxis in Grover Beach besaß. Es sei schlecht für die Gelenke und vor allem schlecht für das Herz, so viel Gewicht mit sich herumzuschleppen.

Das war ihr alles mehr als bewusst. Aber sie aß einfach so gerne, konnte solchem Hasenfraß wie Salat nichts abgewinnen, und verurteilte Sport als Mord.

Seufzend raffte sie sich auf, ihre Morgentoilette zu erledigen. Heute war ihr freier Tag, sie arbeitete drei mal die Woche an der Kasse im Pismo Market im nahegelegenen Pismo Beach. Eigentlich hätte sie ruhig noch im Bett bleiben können. Träge schlurfte sie in Richtung des kleinen Bades, das am Ende des Flurs lag.

Die Badezimmertür gab ein langgezogenes  Quietschen von sich, als Betty sie öffnete, fast so, als wollte sie protestieren, so früh am Morgen in Betrieb genommen zu werden. Stolz betrachte Betty den kleinen Raum, den sie mit viel Sinn fürs Detail enorm aufgewertet hatte. Auf dem Rand der Badewanne lagen verschiedenfarbige, verzierte Seifen unterschiedlicher Größe und Form. Handtücher waren, zu Rollen geformt, in weiß gestrichenen, umfunktionierten Obstkisten verstaut, die auf einem dicken, flauschigen Badvorleger mit Ankermuster standen. Über dem Spiegel hing eine Efeuranke aus Plastik. An einem der Blätter hing eine schwarze Spinne aus Plastik. Spinne? Aus Plastik? Hatte das Brad getan, um ihr mit seinem denkwürdigen Humor eins auszuwischen?

Die Plastikspinne bewegte eines ihrer Plastikbeine. Betty entwich ein kurzer, entsetzter Aufschrei. Gemächlich seilte sich das Tier von dem Efeublatt herab.

Dieses Ding ist echt, dachte Betty schockiert.

Und ganz kurz überkam sie eine lächerliche Erleichterung, dass Brad ihr keinen üblen Streich gespielt hatte. Dann signalisierte ihr phobisches Gehirn Gefahr.

Schweiß sammelte sich in großen Mengen auf ihrer Stirn und unter den Achseln. Ihr Herz begann zu rasen.

„Ruhe bewahren, Ruhe bewahren, Ruhe bewahren", flüsterte sie vor sich hin. Wie ein Mantra gegen die aufsteigende Panik, die ihr mit rasender Schnelligkeit sämtliche Hirnwindungen flutete.

Schnell scannten ihre Augen das gesamte Badezimmer, auf der Suche nach einem Glas, das sie über die Spinne stülpen, oder, besser, nach einem Mordwerkzeug, mit dem sie das Viech ins Jenseits befördern könnte. Ihr Blick blieb an einer Zeitschrift hängen, die auf dem Rand der Badewanne, direkt neben der Toilette, liegen geblieben war. Playboy, registrierte sie angewidert.

Beim Versuch, danach zu greifen, machte sie einen kleinen Ausfallschritt nach vorne.
Die Spinne wertete das als Angriff, denn sie begann plötzlich an ihrem Faden zu rotieren, schnell und immer schneller, wie ein völlig verrückt gewordenes Karussell.

Schlagartig verlor Betty nun das letzte bisschen Rationalität. Die vibrierende Spinne trieb sie vollends in den Wahnsinn. Sie öffnete den Mund, und begann unkontrolliert zu schreien. Ihre Blicke hatten sich dabei wie ein Magnet auf das sich drehende Tier geheftet.

Sie sieht mich an, dachte Betty. Sie ist wütend auf mich. Das kann aber doch gar nicht sein.

Plötzlich stoppte die Spinne ihre irrsinnigen Drehungen, hielt für einen Moment inne und sprang dann der völlig entsetzten Betty ins Gesicht.

Sie spürte den Biss kaum. Der Schock über das fliegende Tier war viel größer. Ein real gewordener Albtraum, der sie den kurzen Schmerz fast gar nicht wahrnehmen ließ. Dann jedoch registrierte sie panisch, wie ihre Mundschleimhäute plötzlich anschwollen, wie die Zunge pelzig wurde und das Atmen schwer fiel.

Ruckartig sog sie die Luft ein, doch ihre Lungen verweigerten ihr schon den Dienst. Sie begleitete jeden einzelnen ihrer schmerzhaften Atemzüge mit einem tiefen Stöhnen. Brad hätte an den Geräuschen in einem anderen Zusammenhang sicher Gefallen gefunden.
Wie durch einen Nebel bemerkte sie noch, dass ihre Beine anfingen, unkontrolliert zu zucken. Sie stürzte rücklings auf den Fliesenboden und schlug sich den Kopf am Rand der Badewanne an. Der satte Ton klang, als hätte man mit einem Hammer auf eine Melone geschlagen.
Das Stöhnen mündete in ein leises Gurgelgeräusch.  Ihr Kopf fiel schlaff zur Seite, aus dem Mundwinkel lief ein dünnes, rotes Rinnsal.

***

Es war schon später Nachmittag als die unglückliche Betty schließlich entdeckt wurde. Zu dem Zeitpunkt war der unscheinbare Übeltäter längst verschwunden. Zurück gekrabbelt durch die Rohre der Kanalisation, durch die er zuvor so leicht den Weg in das entzückende Badezimmer gefunden hatte.

Brads erste Empfindung, die durch seinen Kopf schoss, als er die Leiche seiner Frau auf dem Badezimmerboden liegen sah, war Ärger. Was zur Hölle hat sie denn jetzt schon wieder, war der Gedanke, der ihm ganz unvermittelt kam, den er aber schnell in die hinterste Schublade seines Gehirns verbannte, bevor Ungläubigkeit, Schock und sogar Trauer ihn übermannten.

Der herbeigerufene Arzt, Dr. Holmes, stellte offiziell den Tod fest. Er schüttelte den Kopf, während er den Totenschein unterschrieb. „Ich habe ihr das immer gesagt, sie soll Sport treiben und ihr Gewicht reduzieren. Sowas macht das Herz nicht ewig mit."

Niemand kam auf die Idee, den Leichnam obduzieren zu lassen.

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