Kapitel 16 - Root Beer Float

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Nachdem der Anruf gekommen war, stand Katy zunächst minutenlang wie paralysiert in ihrem Wohnzimmer und analysierte das mint grüne, filigrane Tapetenmuster. Wohltuend lullte der Anblick ihre alarmierten Hirnnerven ein und verhinderte auf diese Weise, dass ihre Gedanken Kapriolen schlugen.

„Bitte begeben Sie sich umgehend nach Silicon Valley, wir würden gerne ihre Erkenntnisse aus der letzten Untersuchung des Leichnams von Ewan Beasley mit unseren Forschungen vergleichen", hatte die Stimme aus dem Telefonhörer gesagt. „Im Wild Palms Hotel ist für Sie ein Zimmer reserviert. Bitte kontaktieren Sie vor Ort Mandy Jonas unter der Nummer 408 754 4006, sie wird Ihnen einen Fahrer schicken, der sie zu unserem Labor bringt."

Obwohl der Anrufer höflich und zuvorkommend geklungen hatte, zitterte Katy noch immer vor Anspannung. Auf wackeligen Beinen eilte sie jetzt in ihr Schlafzimmer und kramte einen kleinen Hartschalenkoffer aus der hintersten Ecke ihres Kleiderschrankes. Hektisch bestückte sie ihn mit einem Pyjama, zwei leichten Pullovern, einer Jeans sowie Unterwäsche und Pflegeartikeln. Zwar hatte der Unbekannte sich als Leiter der Abteilung für Virologie im Medical Center vorgestellt, in Nachhinein überkam Katy jedoch das beunruhigende Gefühl, er habe irgendetwas mit der Regierung zu tun.

„Ich stelle Dir ein Schälchen mit Trockenfutter in die Küche", erklärte sie Frances, der eingerollt auf einem der Wohnzimmerstühle lag und sich jetzt, nachdem er ihre Stimme vernommen hatte, dazu herabließ, eines seiner Augenlider anzuheben.

„Ich bin bald zurück", informierte sie den Kater, woraufhin dieser mit einem Brummen antwortete, das so klang, als käme es direkt aus dem Land der Katzenträume.

Katy schnappte sich ihren Koffer und die Haustürschlüssel, zog die Wohnungstür hinter sich zu, hielt inne und klopfte schließlich bei ihrer Nachbarin.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis eine sehr gepflegt wirkende, grauhaarige Dame öffnete.

„June, bitte entschuldige", setzte Katy an, „würdest Du nach Frances schauen, wenn ich morgen noch nicht zurück sein sollte? Ich muss beruflich nach Stanford, es ist sehr eilig."

Ein erfreutes Lächeln erhellte das faltige Gesicht der älteren Frau.

„Aber natürlich, das ist doch wirklich selbstverständlich. Ich habe ja den Haustürschlüssel, spätestens morgen Abend würde ich nach ihm sehen", erwiderte sie freundlich.

Der mütterliche Ton rührte Katy und kurz zog sich ihr Magen angstvoll zusammen, bevor sie sich eine alberne Person schalt. Wieso freute sie sich nicht einfach? Bestimmt wartete im Silicon Valley ein lukrativer Auftrag.

„Ich hoffe, bis dahin bin ich zurück, aber ich kann es nicht sicher abschätzen."

„Du kannst ganz beruhigt sein, wenn es sich verzögert, bekommt Frances von mir sein Futter und noch ein paar Streicheleinheiten."

Beruhigt umarmte Katy die ältere Frau. Als sie gleich darauf die Treppenstufen zur Haustür hinuntereilte, war ihr ein wenig leichter ums Herz.

Sie warf den Koffer auf den Rücksitz ihres weißen Previa Vans und kramte aus dem Handschuhfach eine zerfledderte und viel benutzte Straßenkarte hervor.

Wo muss ich überhaupt entlang, fragte sie sich.

So akribisch sie bei ihren forensischen Untersuchungen agierte, so planlos war sie, wenn es darum ging, spontane Unternehmungen zu organisieren. Umständlich faltete sie die Karte auseinander, versuchte, das Papier mit dem Ellbogen am Lenkrad zu justieren, während sie mit dem Zeigefinger der anderen Hand über eine rote Linie fuhr, die den infrage kommenden Highway markierte.

Von Davis aus würde sie etwas mehr als zwei Stunden benötigen. Eher drei, denn sie gedachte, sich noch einen Kaffee und ein Stück Kuchen zu gönnen, vielleicht auf halber Strecke.

Sorgfältig legte sie den Gurt an, startete den Wagen und fuhr gemächlich durch die Straßen der einzelnen Wohnviertel, bis sie schließlich auf den Highway 80 einbog.

Nachdem sie den Berufsverkehr hinter sich gelassen hatte, entspannte sie sich ein wenig. Das monotone Geräusch der rotierenden Reifen auf dem Asphalt wirkte beruhigend auf ihre Sinne, ebenso wie die vorbeiziehende Landschaft - sanfte grüne Hügel, zwischen denen sich vereinzelte Farmen ausbreiteten und als lustige Farbtupfer im satten Grün für Abwechslung sorgten. Dunkle Stahlbrücken führten über kleine Seen, deren Wasseroberfläche in der Sonne glitzerte.

Nach etwa einer Stunde stoppte Katy den Wagen auf dem asphaltierten Parkplatz vor einem Diner, das mit chinesischen Snacks lockte.

Sie machte es sich auf einer der blau gepolsterten Bänke bequem und nickte dankbar, als die freundliche Bedienung ihr Kaffee aus einer großen Thermoskanne anbot.

„Was darf ich Ihnen zu Essen bringen?" fragte sie und stellte die mit dampfendem Kaffee gefüllte Tasse auf dem billig wirkenden Resopaltisch ab.

„Hätten Sie eine Karte für mich?"

Die Auswahl an Speisen war zwar übersichtlich, aber ansprechend. Mit Meeresfrüchten, vegetarischen Gerichten und Salaten hob sich das Angebot hier erfrischend vom Fastfood anderer Highway-Diner ab.

Katy entschied sich für die semi-gesunde Variante und bestellte eine Portion Crab Legs mit Weißbrot und ein Bitter Lemon.

Trotz der Gedanken, die sie sich wegen der etwas mysteriösen Einladung machte, genoss sie das Essen in vollen Zügen. Nur den Wunsch nach einem Stück Chocolatetarte oder Cheesecake musste die freundliche Bedienung ihr abschlagen.

„Wir haben leider keinen Kuchen, aber ich wüsste was absolut Vergleichbares", sagte sie und verdrehte genießerisch die Augen.

„Nehme ich", erwiderte Katy lächelnd. Für gute Essensempfehlungen war sie immer zu haben.

Als nur einige Minuten später ein großes, bis zum Eichstrich gefülltes Bierglas vor ihr stand, war Katy nicht wenig überrascht. Das Getränk hatte die Farbe von Cola, und in der dunklen Flüssigkeit schwamm eine riesige Kugel Vanilleeis. Abgerundet wurde das Ganze mit einem dicken Klecks Sahne.

„Root Beer Float", verkündete die Bedienung voller Stolz. „Guten Appetit."

Neugierig nahm Katy einen Zug aus dem dekorativen Trinkhalm und schloss im selben Moment genussvoll die Augen.

Der Geschmack war schwer zu beschreiben, zunächst verteilte sich großzügig das sinnliche Aroma von Vanille und Butter in der gesamten Mundhöhle, wurde jedoch schnell überlagert von kräftigem Malz und bittersüßem Karamell. Katy konnte gar nicht anders, als noch einen weiteren Schluck zu nehmen, und ehe sie es sich versah, war das Bierglas leer.

Zufrieden und angenehm satt machte sie sich schließlich auf den weiteren Weg Richtung Silicon Valley.

Als sie eine gute Stunde später den Parkplatz des im mediterranen Stil erbauten Wild Palms Hotels erreichte, stand die Nachmittagssonne hoch am wolkenlosen Himmel.

Gelächter vom nahegelegenen Pool drang zu ihr herüber, jemand schloss geräuschvoll ein Fenster. Katy nahm ihren Koffer vom Rücksitz und lief entschlossen auf den Hoteleingang zu.

Die junge Frau an der Rezeption empfing sie mit einem unverbindlichen Lächeln.

„Herzlich Willkommen bei uns", sagte sie höflich und blickte Katy fragend an.

„Für mich wurde ein Zimmer reserviert und ich soll bei meiner Ankunft mit einer Dame aus dem Silicon Valley Medical Center Kontakt aufnehmen. Ihr Name ist ..., einen Moment ...", Katy suchte im Seitenfach ihres Portemonnaies nach der Notiz, die sie sich gemacht hatte, „... hier, Mandy Jonas."

Die junge Rezeptionistin nickte.
„Dann sind sie die Virologin?"

„Ich bin Entomologin", korrigierte Katy gedankenverloren, während sie nebenbei die Telefonnummer ihres Kontaktes prüfte.

„Möchten Sie gern zuerst auf Ihr Zimmer oder soll ich direkt einen Telefonkontakt herstellen?"

Einen Augenblick zögerte Katy noch, entschied sich dann aber, sich wenigstens kurz frisch zu machen.

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