Kapitel 23 - County Summer Fair

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Meine Mom reichte mir die Tasse mit dem frisch zubereiteten Karamelltee und setzte sich zu mir an den kleinen viereckigen Esstisch in ihrer Küche. Verführerisch drang mir der Geruch von geschmolzenem Zucker in die Nase, den ich immer mit dem Gefühl eines gemütlichen Zuhauses in Verbindung brachte.

„Also habt ihr wirklich alles gesichert in eurer Wohnung? Alle Fenster abgedichtet?", fragte sie und machte dabei einen derart besorgten Gesichtsausdruck, dass sie mich spontan an eine übernächtigte Eule erinnerte.

„Ja, doch, wir haben den halben Baumarkt leergekauft", erwiderte ich, und wunderte mich noch immer ein wenig darüber, wie vollkommen überlaufen dieser Laden gewesen war und welche Mengen an Fliegengittern, Spinnenfängern und Anti-Spinnen-Spray in den Einkaufswagen der neurotischen Käufer landeten.

Man hatte einen kompletten Gang errichtet, in dem sich ausschließlich Produkte fanden, die im Kampf gegen die mörderischen Übeltäter zum Einsatz kommen sollten, und in dem ich ein Ultraschall-Gerät für die Steckdose entdeckte, das ich zugegebenermaßen sofort kaufte. Es sollte nicht wirken, aber natürlich konnte ich das zu diesem Zeitpunkt unmöglich wissen.

„Ich habe aber irgendwo gelesen, dass sich die Attacken immer im Badezimmer ereignet haben. Dann wäre es sowieso unnütz, die Fenster abzusichern", gab ich zu bedenken, während ich mir die doppelte Schicht der Gaze ansah, mit der meine Mutter das Küchenfenster verrammelt hatte.

„Wieso sollten sie nur im Bad angreifen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn."

Ich hob die Schultern. Eine Erklärung hatte ich dafür auch nicht. In solchen Fällen holte ich mir immer gerne den Rat meines Vaters ein. Mit seiner besonnenen Art und seinem analytischen Verstand fand er auf viele Fragen sinnvolle Antworten. Deshalb war er mit der Zeit zu meinem persönlichen Orakel von Delphi avanciert. Gerade im Moment konnten wir ihn leider nicht nach seiner Meinung fragen, da er während der Woche in Saratoga wohnte. Als Vorstandsvorsitzender eines großen Chemiekonzerns musste er ständig greifbar sein, und das bedeutete vor Ort.
Die Ehe meiner Eltern funktionierte trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb gut.

„Anscheinend sollen jetzt noch zwei Personen erkrankt sein, die gar nicht von einer Spinne gebissen wurden", sagte ich nachdenklich.

„Das ist doch Blödsinn", erwiderte meine Mutter, „bestimmt ist das reiner Zufall. Sichert ihr nur eure Wohnung, dann wird schon nichts passieren."

„Ich weiß nicht Mom, letztens saß in meinem Bad wirklich eine fette Spinne. Ich habe sie mit dem Wasserstrahl den Abfluss runter gespült."

Bei dem Gedanken daran musste ich mich schütteln.

„Aber das sind doch die Harmlosen. Die sehen nur schlimm aus, aber sie können dir nicht gefährlich werden. Ich glaube viel eher, irgendjemand hat ein giftiges Exemplar ausgesetzt, das sich vermehrt hat. Und jetzt haben wir den Salat."

Trotz der prekären Lage, in der wir uns meines Erachtens befanden, musste ich grinsen. Meine Mutter war eine Frohnatur, und es passte zu ihrem ganzen Wesen, dass sie erst einmal nach einer harmlosen Erklärung suchte. Auch wenn der gewissenhaft angebrachte Insektenschutz ihre Sorglosigkeit Lügen strafte.

„Ich hoffe, du hast Recht", sagte ich jetzt, nur halbwegs überzeugt.

„Komm, ich wollte dir noch die neuste Pflegespülung mitgeben. Die habe ich auf der Messe in San Diego entdeckt. Für den perfekten Sommerlook."

***

Wenig später machte ich mich mit meiner Spülung für den perfekten Sommerlook auf den Heimweg.

Levy und ich planten, heute Abend das lokale Weinfest in Grover Beach zu besuchen. Ohne explizit darüber gesprochen zu haben, wollten wir die Gelegenheit nutzen, noch einmal ganz unbeschwert auszugehen, bevor die Bedrohung durch die Spinnen unser Leben vielleicht in irgendeiner Weise einschränken könnte.

Als ich die Haustür zu unserem Apartment öffnete, war Levy schon startklar.

„Wir treffen uns um acht mit Vic und seiner Freundin. Wie lange brauchst du, bis du fertig bist?"

Ich presste die Lippen aufeinander, um zu verhindern, dass mir eine unhöfliche Erwiderung herausrutschte. Auch wenn es doch eigentlich ganz nett klang, das Fest gemeinsam mit einem anderen Pärchen zu besuchen, ließ Levys Äußerung meine Laune schlagartig sinken.

Von Mia wusste ich, dass sie und Jeremiah sich ebenfalls dort verabredet hatten, mit Chase, Marcus, Jamie und Erika. Das könnte eine unangenehme Situation werden, wenn ich da in bester Pärchenmanier aufkreuzte. Davon abgesehen, dass mir die Gesellschaft von Mia und den anderen sehr viel lieber gewesen wäre.

„Okay, dann mache ich mich fertig", murmelte ich, wenig begeistert.

***

Das County Summer Fair Fest fand einmal im Jahr statt und lockte die Bewohner von Grover Beach mit etlichen Weinangeboten, Foodtrucks oder selbst gemachten Eissorten.

Besonders reizvoll war die Tatsache, dass alle Anbieter ihre Stände entlang der Promenade aufgebaut hatten. Die dunklen Wellen des gewaltigen Ozeans und der breite Sandstrand mit vereinzelt brennenden Lagerfeuern boten eine wunderschöne Kulisse für das fröhliche Volksfest.

Von der Gefahr durch die Spinnenattacken war hier nichts zu merken. Noch nicht.

Levy parkte seinen MG auf dem großen Parkplatz in der Nähe des vorderen Eingangs zur Strandpromenade.

Mit einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr drängte er mich zur Eile.

„Komm, wir sind spät dran."

Wir bahnten uns einen Weg durch die Menge der vielen Menschen, die in kleinen Trauben vor den Buden standen, die Weinvarianten probierten oder sich bei den Foodtruckbetreibern verköstigen ließen.
Der Duft von Knoblauch und Thymian vermischte sich mit dem säuerlichen Geruch der Weine. Coolios Gangstas Paradise tönte uns aus den Lautsprechern entgegen.

An einem der Stehtische warteten Vic und seine Freundin auf uns, beide hatten bereits ein Glas Wein vor sich stehen. Levy begrüßte die beiden freudig, während ich mich im Hintergrund hielt. Ich fühlte mich so deplatziert, dass ich am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht hätte. Natürlich traf Vic und seine Freundin - die er mir als Kimberly vorstellte - keine Schuld, ich hatte einfach nur gar kein Interesse, meinen Abend mit ihnen zu verbringen.

Levy bestellte ein Glas Rotwein und eine Cola, während Kimberly sich mir zuwandte und mit einem leicht verwunderten Unterton sagte: „Schön, dich mal kennenzulernen, bisher haben wir Levy immer nur alleine erlebt."

Blöde Kuh, dachte ich und sagte:

„Oh ja, das wurde wirklich mal Zeit."

Sie lächelte unverbindlich und ich merkte, dass ich niemals mit ihr warm werden würde.

Während sich Levy und Vic über die neusten Raffinessen der Computerprogrammierung austauschten, ließ ich meinen Blick über die Promenade schweifen.

Ich beobachtete ein junges Paar, das sich heftig miteinander stritt, während ein älterer Mann, der offenbar zu tief ins Glas geschaut hatte, bedenklich hin und her schwankte. Zwei Kinder, in den Händen je eine riesige Zuckerwatte, drängten sich durch die Menge, und hinterließen dabei rosafarbene Zuckerfäden an unzähligen Hosenbeinen.

Und dann sah ich Chase.

VirusWhere stories live. Discover now