Kapitel 13 - Spätestens jetzt wäre ein Hautarzt vonnöten

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Als Levy am Sonntag Vormittag zurück kam, vermieden wir beide das Thema Drogenkonsum. Das heißt, mir lag es auf der Zunge, scharrte dort mit den Hufen wie ein Rennpferd in der Startbox, nur um dann scheu zu tänzeln und sich leicht panisch zurückzuziehen.

Was genau wollte ich denn sagen? Und störte es mich persönlich tatsächlich so sehr, dass er Kokain nahm? Ich meine, schließlich war ich nicht seine Mutter! Und auch nicht sein Gesundheitsapostel. Dennoch - gutheißen konnte ich den Vorfall auch nicht.

Ich presste die Lippen aufeinander. Das schlechte Gewissen meldete sich wieder,  zeitgleich mit meinem Bedürfnis, die Einnahme von Suchtmitteln zu kritisieren. Immerhin hatte ich meinen Alleingang gestern Abend sehr genossen, während Levy in San Francisco einen so wichtigen Schritt auf der Karriereleiter bewältigen musste. Ich fühlte mich schuldig deswegen, auch wenn das wahrscheinlich in keiner Relation stand.

Und so schlichen wir beide um das Thema wie Katzen um den heißen Brei.
Levy, der es hasste, sich rechtfertigen zu müssen und ich, weil ich nicht den richtigen Einstieg fand. Oder vielleicht auch, weil ich mich einfach davor drücken wollte.

Stattdessen erzählte er begeistert von seinen Erlebnissen in San Francisco und versäumte dabei nicht zu erwähnen, in was für einem edlen Hotel man ihn untergebracht hatte.

„Ein Wahnsinnsblick aus dem Panoramafenster, direkt auf Alcatraz übrigens", schwärmte er mir vor. „Wusstest Du eigentlich, dass im Jahr 1962 drei Insassen von der Gefängnisinsel geflohen sind? Durch die Lüftungsschächte haben sie es nach draußen geschafft und konnten dann mit einem selbstgebauten Schlauchboot entkommen."

Fasziniert lauschte ich seiner Erzählung. Zugegeben, solche Geschichten liebte ich. Wahre Begebenheiten, deren Ende im Unklaren blieben, mit einer ordentlichen Portion Dramatik und einer Prise Mystik.

„Man hat sie nie gefasst, weißt du? Teile ihres Bootes und der Schwimmwesten sind später angetrieben worden, aber ...",

hier hob Levy ein wenig theatralisch den Zeigefinger,

„ihre Leichen wurden nie gefunden! Man nahm an, dass alle drei ertrunken sind."

Ich stellte mir vor, wie kalt das Wasser des Pazifiks gewesen sein musste, wie beklemmend das Gefühl, wenn der Wellengang Salzwasser in Augen und Mund spülte, und wie schon nach kürzester Zeit die Muskeln brannten wie Feuer. Was mochte ihnen tatsächlich widerfahren sein? Waren sie wirklich ertrunken?

Als Levy schließlich zum nächsten Thema überging, hatte ich mir schon den dritten Kaffee einverleibt.

„In der Fishermans Wharf kannst du überall frische Austern essen. Die schmecken wirklich göttlich! Und am Pier 39 wimmelt es von Seelöwen. Die hätten dir auch gefallen. Sie liegen da faul im Wasser rum und sonnen sich."

Ich grinste. Oh ja, Seelöwen standen auf meiner Beliebtheitsskala tatsächlich recht weit oben. Austern weniger.

„Es wäre schön gewesen, wenn du mitgekommen wärst", sagte Levy plötzlich.
Überrascht sah ich ihn an. Ich war nicht davon ausgegangen, dass er mich vermisst hatte. Und doch streckte er jetzt die Hand nach mir aus und sagte:

„Wir haben ein bisschen was nachzuholen, findest du nicht?"

***

Eine gute Stunde später stand ich im Türrahmen und betrachtete den im
Bett liegenden Levy. Er schlief tief und fest. Ich knabberte gedankenverloren an meiner Unterlippe, während ich darüber nachdachte, wann sich diese Faszination der Anfangszeit in irgendetwas anderes verwandelt hatte. Und vor allem, weshalb? Hätte es nicht so romantisch bleiben können wie zu Beginn unserer Beziehung?

Ich seufzte. Schließlich zog ich den Reißverschluss meiner Reithose zu, quälte mich in die engen Lederreitstiefel und verließ unser Apartment.

Sonntags stand neben Reiten noch Stallmisten auf dem Programm. Mia und ich erledigten das meist gemeinsam, bevor wir zu einem längeren Ausritt aufbrachen. Auch heute hatten wir uns wieder verabredet.

***

Die Jungs kommen gleich auch noch", sagte Mia nebenbei, während sie unter Olgas Bauch herumkroch, um noch den letzten Staubpartikel aus ihrem Fell zu entfernen.

„Was soll das heißen?", blaffte ich sie an.

„Wie, was soll das heißen? Genau das, was ich gesagt habe."

„Ich habe gerade eine Box ausgemistet. Ich stinke! Und überhaupt, guck doch mal wie ich aussehe!"

Jetzt blickte sie prüfend zu mir hoch.

„Und du hast Stroh im Haar", bemerkte sie grinsend.

„Haha, im Ernst jetzt, das geht nicht."

„Ich konnte sie nicht daran hindern", erwiderte Mia, und fügte nach kurzem Zögern hinzu:

„Und weißt du, ich freue mich auch irgendwie, dass Jeremiah zu sowas Lust hat. Es fühlt sich fast ein bisschen an wie ein Date."

Ich verstand sie natürlich, weshalb ich ihr das unerwartete Treffen ungern vermiesen wollte. Aber die Vorstellung, dass Chase gleich ebenfalls auftauchen würde, machte mich so nervös, dass mein Herzschlag Kapriolen schlug. Außerdem bildeten sich hektische Flecken auf meinem Dekolleté und dem Hals, solche, die sich in Sekundenschnelle vervielfältigten. Man hätte eine Rechenaufgabe aus ihnen machen können:

Pro Sekunde verdoppelt sich die Anzahl der Flecken. Nach 40 Sekunden ist der komplette Hals übersäht mit diesen unschönen Rötungen. Wie viele Sekunden hatte es gedauert, bis die Hälfte des Halses bedeckt war?

Naaa? Wer weiß die Antwort auf diese dermatologische Rechenaufgabe?

Genervt packte ich mir eine Wurzelbürste und bearbeitete mit Feuereifer Casanovas Fell damit. Wenn ich schon hoch rot aussah, dann sollte das wenigstens auf Anstrengung zurückzuführen sein.

Der Fuchs wandte seinen großen Kopf zu mir und blickte mich verwundert an. Ich streichelte ihm mit der Handfläche über seine samtig weiche Nase.

„Ja, ich weiß, ich funke durch, leg mich mal einer in Reis", sagte ich leise, was Casanova mit einem verständnisvollen Schnauben kommentierte.

Mia grinste.

„Jetzt beeil dich, dass wir auf den Platz kommen", drängte sie mich.

Ich hob den Sattel auf Casanovas Rücken, verschloss vorsichtig den breiten Gurt, bevor ich mich der Trense widmete. Zum Glück war der große, gemütliche Wallach freundlich und ließ sich problemlos aufzäumen.

Wenig später folgte ich Mia und Olga durch die Stallgasse nach draußen auf den neu angelegten Abreiteplatz. Das monotone Klappern der Hufe auf dem asphaltierten Weg gab uns den Takt vor.

Klipp, klapp, klipp, klapp.

Mia hielt den hölzernen Schlagbaum, damit ich hindurch gehen konnte, bevor sie selbst das weitläufige Viereck betrat.

Kaum hatte ich meine Fußspitze in den Steigbügel geschoben, um mich auf den Pferderücken zu schwingen, hörte ich die Fahrgeräusche eines herannahenden Autos und das Knirschen von Reifen auf Kies.

Jeremiah und Chase hatten ihr Vorhaben, einen Tag mit uns bei den Pferden zu verbringen, tatsächlich in die Tat umgesetzt.

VirusWhere stories live. Discover now