Kapitel 14 - Veränderte Umstände

52 15 63
                                    

Becky und Tom Jonas hatten vor vier Monaten geheiratet. Für sie war es die zweite, für ihn bereits die dritte Ehe, was erklärte, dass beide die Vierzig schon überschritten hatten. Ihrer Beziehung tat das jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil, sie verstanden sich auf einer ruhigen und unaufgeregten Ebene, wussten sehr genau was sie wollten und verfügten über die finanziellen Mittel, um das auch verwirklichen zu können. In das alte, stark renovierungsbedürftige Haus waren sie kurz nach ihrer Hochzeit eingezogen und hatten es nun zu ihrem Lebensprojekt erkoren.

„Ich habe mir schon immer einen solchen Ofen gewünscht", schwärmte Becky, während sie geradezu zärtlich den weißen Marmorstein polierte, aus dem die kunstvolle Verkleidung des Kamins bestand.

Tom lächelte versonnen, als er seine Frau bei der Arbeit beobachtete. Halbe Sachen gab es für sie nicht, und das liebte er so an ihr.

„Na gut, wenn dich mal wieder die Arbeitswut gepackt hat, dann nehme ich mir nochmal unser Badezimmer vor. Der neue Spiegel bringt sich schließlich nicht von alleine an."

„Du bist ein Schatz", erwiderte Becky liebevoll und schenkte ihm ein Lächeln, das er nur als anbetungswürdig bezeichnen konnte.

Bewaffnet mit seiner Universal-Werkzeugkiste begab er sich wenig später in das kleine Badezimmer, das über tiefe, fast zum Boden reichende Fenster verfügte, die einen Ausblick in den kleinen Kräutergarten ermöglichten. Diese Fenster, die es nicht nur im Bad gab, sondern auch in den anderen Räumen, waren ein Grund, weshalb sie sich für dieses alte Holzhaus entschieden hatten.

Tom sah sich in dem kleinen Badezimmer um. Hier waren sie mit der Renovierung schon relativ weit gekommen, aber es  fehlten noch einige Kleinigkeiten. Seine Blicke glitten über die glatten Wände der neuen Wanne mit Whirlpool-Funktion, die sie extra hatten anfertigen lassen, um sie in dem kleinen Raum unterbringen zu können.

Eine dicke Spinne krabbelte auf der Innenseite der Wanne. Tom sog einmal scharf die Luft ein. Er hatte keine Angst vor Spinnen, aber er wollte sie keinesfalls in seiner Nähe haben. Schon gar nicht, wenn sie diese Größe hatten. Von den beunruhigenden Vorfällen der letzten Wochen hatte er gehört, jetzt gerade kamen sie ihm allerdings nicht in den Sinn. Trotzdem packte er geistesgegenwärtig die Handbrause und presste mit einer hektischen Bewegung die Finger auf den integrierten Starter. Kraftvoll strömte das Wasser aus dem Duschkopf. Tom zielte und traf. Die Spinne wurde für eine Sekunde von dem harten Strahl gegen die kalte Emaille gequetscht, bis sie langsam an der feuchten Wand nach unten rutschte. Die grotesk verhedderten Gliedmaßen verhakten sich an der Chromgarnitur der Wanne und verhinderten, dass der lädierte Körper in den Abfluss gespült wurde.

Tom seufzte genervt, betrachtete kurz seine ungeschützten Hände, zuckte die Achseln und angelte mit spitzen Fingern nach der Spinnenleiche.

Den Biss realisierte er im ersten Moment gar nicht. Er entsorgte das Tier in der Toilette und betätigte die Spülung. Erst danach bemerkte er ein seltsames Kribbeln in der Kuppe seines rechten Zeigefingers.

Leicht besorgt eilte er in die Küche und nahm sich eine Lupe aus der Schublade des Küchenschranks.

„Was ist los?", fragte Becky, doch Tom antwortete nicht.

Sein Finger fühlte sich taub an und zugleich so, als habe sich ein halber Liter Wasser darin gesammelt.

„Was zum ....?" Tom starrte durch das Vergrößerungsglas auf eine winzige Wunde in seiner Haut. „Ich dachte, dieses Vieh wäre tot."

„Was sagst Du, Liebling?"

„Daaachte dasch Vieh wäääre toodd"

„Tom? Weshalb sprichst Du so komisch?"

Becky hastete nun ebenfalls in die Küche, wo sie gleich darauf einen kleinen spitzen Schrei ausstieß. Erschrocken starrte sie ihren Mann an.

„Wasch?", fragte Tom verängstigt.

„Mein Gott, du hast einen allergischen Schock", keuchte Becky, „ich rufe 911."

Als die Notfallsanitäter zwanzig Minuten später eintrafen, war Tom nicht mehr ansprechbar. Die beiden jungen Männer reagierten besonnen, kontrollierten Puls und Atmung, setzten umgehend eine Braunüle und legten eine Infusion an. Das Bewusstsein erlangte Tom jedoch nicht wieder.

Aus der geschwollenen Fingerkuppe und dem Gebrabbel ihres Mannes konnte Becky sich zusammenreimen, dass er wohl von einer Spinne gebissen worden sein musste. Diese Information gab sie den Sanitätern mit auf den Weg, bevor diese das Haus mit Tom auf der Bahre verließen und sich auf den Weg Richtung Community Hospital of the Monterey Peninsula machten.

Becky setzte sich mit weichen Knien auf den antiken Brokatsessel im Wohnzimmer, wo sie unproduktiv aus dem Fenster starrte. Ihre Atmung beruhigte sich nur langsam wieder, der Puls raste noch immer wie ein durchgehendes Pferd. Der Schock saß ihr in den Knochen. Was war das gewesen, das Tom so außer Gefecht gesetzt hatte? Wirklich eine Spinne?

Es gelang ihr nicht, die Fassung wiederzuerlangen. Mit zitternden Fingern tippte sie den Namen des Hospitals in ihren Laptop ein und klickte auf die Kontaktseite, um die Telefonnummer herauszufinden. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ihr Anruf entgegengenommen wurde und ihr die Schwester am Empfang eine Auskunft erteilte.

Unveränderter Zustand. Sie bekommen sofort Bescheid, wenn sich etwas ändert.

Schließlich suchte Becky im Medizinerschränkchen nach ihren Notfallpillen - Tavor, wenn man mal kurz vorm Durchdrehen war - schluckte eine ganze und legte sich ins Bett. Ihre Beine zitterten und sie fröstelte, aber die gute alte Tavor erfüllte trotzdem ihren Dienst.

Als sie am nächsten Morgen erwachte, dämmerte es draußen. Die leuchtende Anzeige ihres Weckers zeigte 05:34 an. Becky fühlte ein unangenehmes Kitzeln im Hals. Sie räusperte sich mehrmals, was allerdings nicht half. Ihr Puls raste in ihrer Brust. Nervös schmatzte sie.

„Wasch zur H...", sie räusperte sich erneut, bekam das Wort Hölle nicht richtig über die Lippen.

Ich höre mich an wie Tom, dachte sie entsetzt. Panisch sprang sie aus dem Bett und hastete ins Badezimmer, wo der Spiegel, den ihr Mann gestern nicht aufhängen konnte, noch immer auf dem Fliesenboden stand. Sie ließ sich auf die Knie nieder und blickte mit weit aufgerissenen Augen ihr Spiegelbild an. Die Haut über den Wangen war angeschwollen, ebenso ihre Lippen. Durch das Weiß ihrer Augäpfel zogen sich unzählige rote Äderchen. Schlucken funktionierte mittlerweile gar nicht mehr.

VirusOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz