Kapitel 9 - unangenehme Entdeckungen

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Ich beobachtete Levy, wie er mit hoch konzentriertem Blick vor unserem Kleiderschrank stand. Die massive Schiebetür aus dunklem Mahagoniholz war weit geöffnet und bot einen freien Blick auf eine große Auswahl an Hemden und Pullovern mit V-Ausschnitt.

Hektisch schob er die Kleiderbügel hin und her und griff sich eines der Hemden, nur um es sofort wieder zurück zu hängen.
Schließlich entschied er sich für ein blassblaues und wählte dazu eine dezente graue Krawatte.

„Das hier? Was meinst du?"

Er hielt mit der rechten Hand das Hemd hoch und drapierte mit der anderen die Krawatte um den Kragen.

„Ja, sieht gut aus", sagte ich und bemühte mich, den missmutigen Unterton aus meiner Stimme zu filtern.

Levy würde für das gesamte Wochenende nach San Francisco fliegen. Dort sollte er das Sicherheitsprogramm eines kleinen, aber gut gehenden Herrenausstatters überarbeiten. Natures Best Clothes hieß das Unternehmen, oder so ähnlich. Jedenfalls handelte es sich um einen äußerst lukrativen Auftrag. Keine Frage, Levy machte Karriere. Und zwar ohne mich. Wenn man ihn fragte, dann würde er sagen, dass ich mich seinem Weg verweigerte. Ihn nicht unterstützte, weil es mich nicht interessierte.

War das so? Ich wusste es nicht. Ich bewunderte ihn ehrlich für das, was er in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt hatte. Seine entwaffnende Intelligenz und sein analytischer und nüchterner Verstand imponierten mir, aber all diese Eigenschaften ließen ihn auch gleichzeitig ein wenig fremd erscheinen. Unnahbar.

Ich sah ihm dabei zu, wie er ein wenig nachlässig das Hemd zusammenlegte und es mit der Krawatte in die kleine schwarze Reisetasche packte.

„Das wärs, glaube ich. Du könntest immer noch mitkommen, Ava."

Mit einem leichten Seufzer setzte ich mich aufs Bett.

„Und wer kümmert sich dann um Casanova? Ich habe nun mal am Wochenende einen meiner Reittage", gab ich zu bedenken.

„Und das kann man nicht ein Mal verschieben?", fragte Levy mit deutlicher Skepsis in der Stimme.

Er hatte nicht Unrecht, ganz bestimmt hätte ich Ronnie, dessen Pferd ich für einen monatlichen Obolus zwei Mal in der Woche betreute, um einen einmaligen Tausch der Reittage bitten können. Vor allem, weil er der Betreiber der Reitanlage war, und einige seiner Pferde als zusätzlichen Nebenverdienst vermietete. Er wäre durchaus in der Lage, Casanova selbst zu betreuen, wenn ich mal ausfiel.

„Das ist unzuverlässig. Sowas würde ich nie verlangen", sagte ich mit einer Ernsthaftigkeit, die Levy resigniert die Achseln zucken ließ.

„Na gut, dann also wieder ein Single-Wochenende", murmelte er und ließ mich allein im Schlafzimmer zurück. Gleich darauf hörte ich ihn im Flur über irgendetwas stolpern.

„Verdammt noch mal Ava, kannst du deine stinkenden Reitstiefel vielleicht auf den Balkon stellen?"

Ich sparte mir die Antwort. Meine Reitklamotten waren ein ständiger Störfaktor für Levy, aber ich sah nicht ein, dass ich jedesmal auf den Balkon verschwinden sollte, wenn ich mich für mein Hobby umzog.

Ich nagte gedankenverloren an der Innenseite meiner Unterlippe.
Die merkwürdige, unterkühlte Stimmung zwischen uns gefiel mir ganz und gar nicht. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Levy das Wochenende alleine in San Francisco verbrachte, schon gar nicht, nachdem wir eine erneute Meinungsverschiedenheit gehabt hatten.

Okay, ich wollte ihn nicht begleiten, weil ich die vielen fremden Menschen scheute, weil ich mir San Francisco alleine würde erschließen müssen und keine weitere Funktion hätte, als die Begleitung des cleveren IT-Spezialisten zu sein.

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