Kapitel 21 - Eine unterschwellige Drohung

43 14 33
                                    

Katy Cool war fortan nicht mehr cool. Im Gegenteil. Selbst nachdem man sie in der noblen Limousine ohne erwähnenswerte Vorkommnisse wieder zu ihrem Hotel chauffiert hatte, war es ihr nicht gelungen, zu ihrer alten Souveränität zurückzufinden. Stattdessen saß sie nun schon seit geraumer Zeit auf dem breiten Kingsize Bett ihres hochwertig eingerichteten Zimmers und kämpfte darum, ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen.

Eingehend betrachtete sie das karierte Muster auf den hellen, bodenlangen Vorhängen, ohne es wirklich wahrzunehmen. Hinter ihrer glatten Stirn rasten die Gedanken.

„Ich ersuche Sie, jeden Verdacht, den Sie zur Gattung der Arachniden, sowie zu einer möglichen Krankheitsübertragung haben, für sich zu behalten.
Es liegt auf der Hand, dass keinem mit einer Massenpanik geholfen wäre und wir brauchen auch keine Verschwörungstheoretiker", hatte Colin Steward mit einem derart lauernden Unterton zu ihr gesagt, dass ihr übel geworden war.

Was wollte er denn damit andeuten? Dass sie ihren Vorgesetzten wichtige Erkenntnisse verschweigen, Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vorenthalten sollte? Das ging vollständig gegen ihr Berufsethos. Wissenschaftliche Errungenschaften durften nicht im Verborgenen bleiben. Gefährliche Vorgänge aber auch nicht.

Musste sie jetzt etwa fortwährend in Angst leben, kontrolliert zu werden?

Es dauerte lang, bis Katy sich halbwegs gefangen hatte. Irgendwann stand sie auf, betrat das gepflegte Badezimmer und machte sich fertig fürs Bett.

***

Nach einer ruhelosen Nacht nahm Katy sich vor, wenigstens das Frühstück zu genießen, bevor sie die Heimreise antrat.

Zwar hatte sie für das „Problem Colin Steward" noch keine Lösung gefunden, aber sie gehörte zu den Menschen, die Entscheidungen immer lieber mit gefülltem Magen trafen. Außerdem war das Hotel für sein reichhaltiges Frühstücksbuffet bekannt.

Zu Recht, wie sich wenig später herausstellte. Darauf ließ allerdings auch der vollständig besetzte Speisesaal schließen. Wollte sie die Autofahrt nicht doch mit leerem Magen bestreiten, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich irgendwo dazuzusetzen.

Am Tisch eines älteren Herren war noch ein Platz frei.

„Darf ich?", fragte sie freundlich.

„Aber natürlich", erwiderte er ebenso freundlich, während er mit der Hand auf den freien Stuhl deutete.

Sie hängte ihre Strickjacke über die Lehne und sah sich aufmerksam in dem großen, offenen Raum um. In der Mitte war ein beeindruckendes Buffet aufgebaut, mit zahlreichen Gebäckvariationen, einer großen Auswahl an unterschiedlichen Käsesorten, Bacon und Würstchen, Pancakes, Scrambled Eggs, Doghnuts und Bagels. Obstkörbe mit Bananen, Äpfeln und Orangen, Schüsseln mit Blau- und Erdbeeren dienten nicht nur als Hingucker, sondern lieferten auch die nötige Dosis an Viraminen.

Ringsherum reihten sich die vollbesetzten Tische, aufgelockert von großen Pflanzenkübeln, die das trügerische Gefühl von Privatsphäre vorgaukelten. Spektakulär war dafür der Ausblick aus einer gigantischen Fensterfront, die dem Frühstücksraum einen Anstrich von Freiheit gab. Ein atemberaubender Anblick auf die Berge des Silicon Valley bot sich den Hotelgästen.

Der verlockende Duft nach frisch zubereitetem Kaffee mischte sich mit dem rauchigen Geruch des gebratenen Specks. Ein Hauch von Orangenaroma lag in der Luft. Nur die penetrante Geräuschkulisse störte.

Katy bediente sich reichlich am Obst und am Käse, nachdem sie sich an einem
Hightech-Automaten einen Latte Macchiato gezapft hatte.

Kaum saß sie vor ihrem Teller, begann ihr Tischnachbar ein Gespräch.

„Die erste Schlagzeile heute Morgen: Jetzt überträgt sich dieses Gift schon von Mensch zu Mensch."

In Katys Magen bildete sich ein eisiger Klumpen.

„Wie bitte?"

„Na, sie wissen doch, diese ganzen Spinnenbisse, an denen jetzt schon mehrere Leute gestorben sind. Anscheinend wurden zwei Patienten in eine Klinik eingeliefert, die genau dieselben Symptome hatten, aber gar nicht gebissen wurden. Es wird selbstverständlich verharmlost, uns naive Bürger will man natürlich wieder für dumm verkaufe"

Katy verschluckte sich an dem Bissen Käse, den sie sich zuvor in den Mund geschoben hatte. Sie gab ein unvorteilhaftes Gurgeln von sich, das in einen heftigen Husten überging.

„Lieber Himmel, geht es Ihnen nicht gut?", fragte der ältere Herr mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ist schon gut, alles in Ordnung. Mir ist nur gerade gar nicht mehr so nach essen", erwiderte sie, nachdem der Anfall abgeklungen war.

Sie griff nach ihrer Strickjacke und wandte sich zum Gehen.

„Bitte entschuldigen Sie mich", presste sie noch hervor, um dann alles stehen und liegen zu lassen.

Eine knappe halbe Stunde später checkte sie aus und trat die Heimreise an. Auf halber Strecke stoppte sie, gönnte sich jedoch nur einen schwarzen Kaffee ohne alles, und besorgte einen Blumenstrauß für ihre Nachbarin.

Der Kaffee schwappte während der gesamten restlichen Fahrtzeit unangenehm in ihrem Magen hin und her. Als Katy nach einer guten Stunde endlich die Treppenstufen zu ihrem Apartment emporstieg, wusste sie, dass sie sich übergeben musste.

Entsprechend kurz fiel die Blumenübergabe aus.

„Komm doch rein, bestimmt kannst Du einen Kaffee gebrauchen", rief June überschwänglich, nachdem sie gerührt den Strauß in Empfang genommen hatte.

Kaffee. Oh Gott, mir kommt es hoch.

„Das ist ganz lieb, aber ich muss mir was eingefangen haben. Ich werde mich erstmal hinlegen. Ich danke dir, dass du dich um Francis gekümmert hast."

Der Gesichtsausdruck ihrer Nachbarin wechselte von erfreut zu tief besorgt.

„Gute Besserung, meine Liebe", sagte sie teilnahmsvoll.

Müde wandte Katy sich ihrer Wohnung zu und schob den Schlüssel in das Schloss. Doch der sonst so geschmeidige Schließmechanismus klemmte. Verwundert rüttelte Katy am Türknauf. Sie versuchte es erneut. Ein leises Knirschen ertönte, das war alles. Sie zog fest an der Klinke, drehte den schmalen Schlüsselgriff mit leichter Gewalt, bis ihr Zeigefinger schmerzte. Schließlich löste sich der Widerstand und die Tür sprang auf.

Kopfschüttelnd betrat sie den Wohnungsflur. Und musste augenblicklich ins Badezimmer stürmen, weil ihr der Mageninhalt hochkam. Als sie später vollkommen erschöpft unter einer flauschigen Decke auf dem Sofa lag, den Kater zu ihren Füßen, hatte sie den Vorfall mit dem Türschloss vergessen.

VirusWhere stories live. Discover now