Kapitel 25 - Maklerwitze

39 13 35
                                    

Mit zitternden Fingern schloss ich die Haustür auf. Es war schon nach Mitternacht, und ich war später dran als ursprünglich geplant. Das schlechte Gewissen stand mir mit Sicherheit deutlich ins Gesicht geschrieben.

Und trotzdem tanzten die Schmetterlinge in meinem Bauch gerade einen heißen Tango.

Immer wieder ließ ich den Abend Revue passieren, so wie eine Lieblingsszene im Film, von der man nicht genug bekommen konnte.

***

Wir waren am Wasser zurückgelaufen, barfuß über den kühlen, festen Sand, während die Ausläufer der Wellen immer wieder unsere Füße überspülten. Chase nahm meine Hand, ohne mich dabei anzusehen. Irgendwie fühlte sich die Stimmung zwischen uns seltsam an - statisch aufgeladen und gleichzeitig gehemmt.
Als ob sich gerade etwas sehr Intimes abgespielt hätte.

Ein frischer Wind wehte vom Meer herüber, doch mein Adrenalinspiegel war viel zu hoch, als dass ich frieren würde. Mittlerweile war es weit nach dreiundzwanzig Uhr und der Himmel hatte eine tiefschwarze Färbung angenommen. Trotzdem wurde es nie wirklich dunkel. Das Licht der zahlreichen Straßenlaternen erhellte den Strand und warf einen rötlichen Schimmer auf die träge anrollenden Wellen. Fast wirkte es, als würden hunderte kleine Flammen auf den Schaumkronen tanzen.

In den Salzwasserpoldern tummelten sich Pelikane, die auf einen späten Mitternachtssnack hofften. Als wir an ihnen vorbei liefen, klapperten sie aufgeregt mit ihren Schnäbeln, als ob sie befürchteten, dass wir ihnen die kleinen Salzkrebse, die sich in dem stehenden Gewässer verbargen, streitig machen wollten.

Ihre offensichtliche Entrüstung brachte uns zum Lachen und verdrängte für einen kurzen Moment die merkwürdige Befangenheit, die uns so fest im Griff gehabt hatte.

Viel zu schnell erreichten wir den Parkplatz, auf dem Chase' metallicblauer Ford Series Truck stand. Er öffnete mir die Tür und ließ mich einsteigen.

Nachdem er sich hinter das Steuer gesetzt und den Gurt angelegt hatte, sah er mich fragend an.

„Wo darf es denn hingehen, die Dame?"

„Ocean View 203", antwortete ich, „du musst nur vorne links auf die Hauptstraße und dann wieder links den Berg hoch."

Er nickte.

„Ja, ich weiß wo das ist."

Verblüfft zog ich die Augenbrauen hoch.

„Nein, ich habe dich nicht gestalkt, keine Angst. Ich verkaufe Häuser. Das ist mein Job."

Und auf meinen verständnislosen Gesichtsausdruck hin fügte er noch hinzu:

„Ich habe gerade meinen Abschluss gemacht, zum Makler. Ich kenne mich also ganz gut aus hier in Grover Beach."

„Das hätte ich jetzt irgendwie gar nicht gedacht", gab ich zu.

Er zuckte die Achseln und erwiderte mit einem amüsierten Unterton:

„Das denkt keiner. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir immer anhören kann."

„Zum Beispiel?"

„Oh, sowas in der Art: Wie bricht man einem Immobilienmakler die Nase? Indem man die Provision unter einen Glastisch legt."

Ich prustete los.

„Entschuldige, aber das ist wirklich witzig."

„Klar. Ich hab auch kein Problem damit. Obwohl der Verdienst gar nicht der größte Anreiz für mich ist."

Ich wartete, ob Chase noch weiter ins Detail gehen würde, doch er schwieg, während er den Blinker setzte und in meine Straße einbog.

Schneller als gedacht tauchte der Apartmentkomplex auf, in dem sich meine Wohnung befand. Er stoppte - auf mein Bitten hin - einige Meter weiter vorne. An der kleinen Zornesfalte zwischen seinen Brauen konnte ich ablesen, wie sehr ihm das missfiel.

„Du weißt schon, dass es so nicht weitergehen kann, oder?", fragte er und ich realisierte, dass jegliche Leichtigkeit aus seiner Stimme verschwunden war.

***

Leise legte ich den Haustürschlüssel auf den kleinen Marmortisch und kickte die Chucks in die Ecke. Sand aus ihrem Inneren verteilte sich auf dem Fliesenboden. Nicht gut. Ich griff mir Kehrblech und Handfeger und beseitigte sorgsam die verräterischen Spuren.

Im selben Moment öffnete sich die Tür von Levys Büro und Sekunden später stand er im Flur. Mir schoss die Röte ins Gesicht. Ich hätte genauso gut ein „Ertappt"-Schild hochhalten können. Dass er mich prüfend betrachtete, konnte ich ihm nicht verdenken.

„Das war aber dann doch noch ein langer Abend", stellte er fest, und ich konnte nicht sicher sagen, ob in seiner Stimme ein zynischer Unterton mitschwang.

„Hast du alles erledigt, was du noch bearbeiten wolltest", antwortete ich ausweichend.

Er überhörte meine Frage und sagte stattdessen:

„Du scheinst dich aber prächtig amüsiert zu haben, dass du erst jetzt nach Hause kommst."

„Ach, ich hab mich einfach nur mit Mia festgequatscht", erwiderte ich und gab mir große Mühe, meiner Stimme einen unbeteiligten Klang zu geben.

„Am Strand?", fragte Levy kühl.

Ich stand auf, räumte das Kehrblech zurück in Küche und sagte:

„Genau, es war mir zu laut auf dem Fest. Komm schon, lass uns schlafen gehen. Ich bin hundemüde."

Mit diesen Worten stahl ich mich an ihm vorbei ins Bad, putzte mir die Zähne, tauschte meine Klamotten gegen ein leichtes Nachthemd aus Seide und verzog mich anschließend demonstrativ ins Schlafzimmer.

Levy folgte mir wenige Minuten später, und ich befürchtete insgeheim, dass er vielleicht noch mehr im Sinn haben könnte, als sich der Nachtruhe hinzugeben. Aber nachdem er sich ins Bett gelegt hatte, zog er die Decke bis unters Kinn und drehte sich von mir weg.

Auch gut, dachte ich erleichtert und schämte mich gleich wieder dafür.

Hellwach lag ich neben ihm, lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge und starrte in die Dunkelheit. Von draußen drang diffuses Licht durch die schmalen Schlitze der Jalousien und malte ein schemenhaftes Muster auf die Bettwäsche. Ich rieb meine Füße aneinander, weil ich die Beine nicht still halten konnte. An Schlaf war wirklich nicht zu denken, meine Gedanken ratterten durch mein Gehirn wie ein wildgewordener D-Zug.

Ich fühlte mich zu Chase hingezogen, doch auf der anderen Seite traute ich ihm nicht. Levy bedeutete für mich Alltag, bekannter und vertrauter Alltag. Auch wenn Romantik und Spannung sich daraus  gerade verabschiedeten.

Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Ich war in eine Affäre hinein gerutscht zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Reichte es denn nicht, dass der Bevölkerung von Kalifornien offenbar ein sehr ernstes Problem bevorstand? Musste ich mir zusätzlich noch selbst eines erschaffen?

VirusWhere stories live. Discover now