Kapitel 26 - Scharfe Nudeln und ein schlimmer Verdacht

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Ich habe es doch selbst nicht glauben können."

Katy hielt den Telefonhörer so fest umklammert, dass sich ihre Fingerspitzen weiß färbten.

„Aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen und untersucht. Die Ehefrau des Opfers hatte exakt die gleichen Symptome wie ihr Mann. Aber sie wurde nicht gebissen."

Für einen Moment hielt sie inne und lauschte auf das, was ihr Gesprächspartner zu sagen hatte.

„Nein, Paul, um Himmels Willen, du weißt doch wirklich, wie gewissenhaft ich sowas untersuche. Es gab keinen Spinnenbiss. Und trotzdem ist diese Frau erkrankt und schließlich gestorben, wenn auch nicht ganz so schnell wie ihr Mann. Bei dem ich übrigens sehr deutlich das Bissmal erkennen konnte."

Kurz stoppte sie ihren Bericht, versuchte sich zu sammeln.

„Einen derartigen Verlauf dürfte es eigentlich gar nicht geben", fuhr sie gleich darauf fort, und wippte dabei so wild mit dem Fuß, dass Francis Ford, der es sich auf ihrem Schoß bequem gemacht hatte, mit einem entrüsteten Maunzen das Weite suchte.

„Hör zu Paul, lass uns das vielleicht nicht am Telefon besprechen."

Sie schwieg, dann nickte sie.

„Gute Idee. Für italienisch bin ich immer zu haben. Zwanzig Uhr im DaJollys."

***

Das DaJollys verfügte nicht nur über eine excellente Küche sondern auch über eine wunderschön gestaltete Terrasse, auf der der Inhaber in Eigenregie seine Gäste bewirtete. Allenfalls an sehr frequentierten Tagen nahm er die Hilfe eines Angestellten in Anspruch, heute jedoch nicht.

Katy entdeckte ihren alten Freund in einer Ecke an einem Zweiertisch, von welchem er ihr verhalten zuwinkte. Hochgewachsen und athletisch gebaut, mit vollem dunklen Haar und kantigen Gesichtszügen, war Paul recht attraktiv. Unwillkürlich fragte sie sich, weshalb sich zwischen ihnen nie mehr entwickelt hatte, als die Freundschaft, die sie miteinander verband. Vielleicht interessierte er sich nicht für das andere Geschlecht oder aber, er war einfach ein ähnlicher Nerd wie sie selbst, mit der Arbeit so eng verbunden, dass für nichts anderes Zeit blieb. Im Grunde fand sie es nicht wichtig. Der lockere und trotzdem vertraute Umgang, den sie pflegten, reichte ihr vollkommen aus.

Herzlich umarmte sie ihren Kollegen und setzte sich dann auf den Stuhl, den er ihr höflich zurecht gerückt hatte.

„Buonasera signora, signor",

sagte Tadeo Jolly, der Inhaber, gut gelaunt und reichte beiden eine kleine, in Leder eingebundene Speisekarte.

Wenig später orderten sie Penne Arrabiata und eine Zuppa Minestrone mit frischem Ciabattabrot. Die ungewöhnlichen Umstände als Anlass nehmend, gönnten sich beide dazu noch einen Cocktail.

Nachdem das Essen serviert worden war, beugte sich Paul zögerlich über seinen Teller nach vorne und fragte:

„Also gut, ich bin ganz Ohr. Was sind deine Vermutungen?"

Katy rührte gedankenverloren in ihrem Passionflower, dem Cocktail auf Basis von Agave und Passionsblüte, in dem Ketel One Wodka und Holunderblütenlikör für die nötigen Umdrehungen sorgten.
Paul beobachtete sie aufmerksam. An seinem alarmierten Blick und der aufrechten, beinahe steifen Körperhaltung erkannte sie, dass sie ihn offenbar verunsicherte.

„Diese mysteriösen Spinnenattacken...Irgendetwas stimmt da ganz und gar nicht. Es wurde sogar schon von den Medien aufgegriffen, dass sich Menschen infiziert haben, die gar nicht gebissen wurden. Noch spricht man von einem Verlauf, der in der Natur denkbar ist. Keiner geht davon aus, dass etwas anderes dahinter stecken könnte", flüsterte sie, und Paul, der Mühe hatte, sie zu verstehen, musste sich noch weiter nach vorne beugen.

„Okay, okay, mal langsam jetzt. Was glaubst du denn was in Wahrheit dahinter steckt?"

Katy antwortete nicht gleich. Eine Weile starrte sie ihn nur schweigend an, während  die unterschiedlichen Stimmen der anderen Gäste und das Klappern von Besteck sich unangenehm laut in sein Gehör drängten. Und dann sagte sie etwas, das Paul den Appetit auf seine Penne Arrabiata verleidete:

„Ich glaube, es handelt sich bei den Arachniden um Exemplare, die als potentielle Krankheitsüberträger gezüchtet wurden. Bewusst manipuliert, meine ich."

Entsetzt starrte Paul in die Augen seiner Kollegin. Er registrierte, dass sie noch nicht wieder geblinzelt hatte.

Mit zitternder Hand fasste er an seine Kehle und räusperte sich mehrmals bevor er antwortete:

„Das ist schwer vorstellbar. Es kommt äußerst selten vor, dass sich Infektionen, die über Bisse oder Insektenstiche übertragen werden, plötzlich von einem Wirt auf den nächsten verbreiten. Man kennt dieses Phänomen in Einzelfällen beim Dengue-Fieber zum Beispiel. Aber noch nie...", hier erhob er den Zeigefinger, „...habe ich das bei einem Spinnenbiss erlebt."

„Eben", zischte Katy heftiger als beabsichtigt, „deshalb bin ich mir fast sicher, dass diese Tiere in irgendeiner Form manipuliert wurden."

Ihre Atmung hatte sich während ihres Vortrages fast selbst überholt und nun lief sie Gefahr, zu hyperventilieren. Während sie sich darauf konzentrierte, bis zehn zu zählen und erst dann die Luft langsam durch die Nase entweichen zu lassen, streifte ihr Blick einen Herrn am Tisch schräg gegenüber. Er beschäftigte sich betont gelangweilt mit seinem Mobiltelefon. Sein Essen stand unberührt vor ihm, das Besteck lag ordentlich daneben. Katys Lippen wurden taub.

„Selbst wenn man es mit einer Verbreitung ohne vorherigen Biss zu tun hätte, dann könnte das nur durch sexuellen Kontakt  stattfinden. Oder durch Blutübertragungen", nahm Paul das Gespräch wieder auf.

Katy wandte ihm ihre Aufmerksamkeit zu, registrierte aber aus den Augenwinkeln, dass der seltsame Mann sein Besteck aufgenommen hatte und die Gabel in die kunstvoll arrangierte Spaghetti-Pyramide auf seinem Teller stieß.

Ich sehe schon Gespenster, dachte sie.

„Könnte es eine zufällige Häufung anaphylaktischer Schocks sein?"

Katy schüttelte den Kopf.

„Nein, das glaube ich nicht. Natürlich passiert sowas immer mal, dass plötzlich ungewöhnlich viele Menschen allergisch reagieren. Oder dass sich eine Viruserkrankung häufiger verbreitet als in vorangegangen Monaten. Aber das Gift, das diese Menschen getötet hat, stammt von keiner hier ansässigen Spinne. Und dass die Beschwerden, die diese Toxine verursachen, auf einen Wirt übergehen, der damit gar nicht direkt in Berührung gekommen ist, das habe ich noch nie erlebt. Und da ist noch was anderes. Die Angriffe der Tiere fanden offenbar alle im Haus statt. Im Badezimmer. Das ist aber weder der natürliche Lebensraum der Schwarzen Witwe, noch der Braunen Einsiedler Spinne."

Aufgewühlt nahm sie einen tiefen Zug aus dem Trinkhalm, der in ihrem Cocktailglas steckte. Die Eiswürfel gaben ein leises Klirren von sich. Nervös ließ sie ihren Blick über die voll besetzte Terrasse schweifen und bemerkte, dass der Gast, der ihr so ungewöhnlich vorgekommen war, das Restaurant verlassen hatte. Ein Geldschein klemmte unter dem Teller mit den halb aufgegessenen Spaghetti.

VirusWhere stories live. Discover now