2. Kapitel

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Als ich die ersten Bäume hinter unserer Siedlung erreiche, höre ich eine raue Melodie.

Ich entdecke Silas, der an einen Baum gelehnt vor sich hin singt. Vorsichtig schleiche ich mich näher heran, ohne ihn zu stören und höre auch endlich, welche Worte er flüstert.

„While some marching band keeps its own beat in my head while we're talking ..."

Silas hat die Augen geschlossen und seine Stimme wird zunehmend fester und lauter.

„About all of the things that I long to believe, about love, the truth, what you mean to me ... And the truth is ... Baby,  you're all that I need!"

Seine so sanfte Tonlage ist bei der letzten Zeile kräftiger geworden und er holt tief Luft, bevor er mit einer unglaublich schönen, klaren Stimme mit dem Refrain beginnt. Ich weiß, dass Silas echt gut singen kann und er sich dabei anhört wie ein Rockstar, aber gerade klingt er irgendwie traurig.

Als ob das Lied für ihn eine tiefere Bedeutung hat, die ich nicht kenne.

„I want to lay you down in a bed of roses, for tonight I'll sleep on a bed of nails. Oh, I want to be just as close as the Holy Ghost is and lay you down on a bed of roses!"

Als der letzte Ton endet, trete ich hinter Silas und begrüße ihn mit einem fröhlichen: „Bon Jovi?"

Silas fährt zusammen, dreht sich mit ausgestreckter Faust um und versucht vor Schreck mir eine zu verpassen.

„Woah, beruhig dich!", ich kann die Faust gerade noch mit meinem Arm blocken und erspare mir damit eine blutige Nase.

Silas schnauft erleichtert: „Hast du davon, wenn du dich so anschleichst!"

Ich grinse bloß: „Sorry, dass du warten musstest! Mein Vater hatte noch etwas mit mir zu besprechen..."

Silas nickt und beweist seine fantastischen Freund-Qualitäten indem er nicht sofort fragt, über was wir denn so dringend reden mussten, sondern einfach mit einem Kopfnicken Richtung Wald deutet: „Wollen wir?"

Ich nicke und ziehe mir das Shirt über den Kopf. Neben mir schält sich auch Silas aus seinen Kleidern.

Keine Sekunde später stehen wir uns als Wölfe gegenüber.

Ich grinse wieder, was in dieser Gestalt bestimmt ziemlich dämlich aussieht, denn der braune Wolf vor mir schnaubt amüsiert.

Mein eigener Pelz ist grau-schwarz gefleckt. Silas nennt ihn manchmal spaßeshalber Flickenteppich, aber ich weiß, dass er es nett meint. Ich habe das Wort zumindest nie so liebevoll gehört, wie er es ab und an ausspricht. 

Silas ist mein bester Freund, schon immer gewesen und da er der Sohn des Betas ist, haben wir uns schon als Welpen versprochen, dass er mein Beta wird.

Seine grünen Augen funkeln immer noch belustigt, als er sich umdreht und mit wedelndem Schwanz zwischen den Bäumen verschwindet.

Es ist ein kühler Herbstnachmittag und ich meine im Wind zu riechen, dass bald Schnee kommen wird.

Begeisternd hechelnd renne ich Silas hinterher. Der Wind peitscht mir um die Ohren und bald kann ich die weißen Pfoten von Silas vor mir sehen.

Ich hab dich, Aatu, rufe ich Silas über unseren Link und benutze dabei seinen Seelennamen. Gemäß alten Traditionen ist das der Name deiner Wolfgestalt und in Wolfsform reagiert man tatsächlich besser auf diesen als auf den ‚Menschennamen'.

Meistens haben die Namen keine tiefere Bedeutung als ‚Wolf' oder irgendetwas verwandtes, bei mir sieht das allerdings anders aus.

Vergiss es, Kohaku, linkt Silas zurück und rempelt mich kurz mit seiner Schulter an, bevor er wieder schneller wird. Ich mag zwar größer und breiter gebaut sein als sein Wolf, aber dafür verliere ich jedes Wettrennen.

Meine orangenen Augen glühen und erinnern an die Bedeutung meines Seelennamens: Bernstein.

Ich habe meine Mutter einmal gefragt, woher mein Seelenname, denn wüsste, dass sie aus Japan hergezogen war und warum ihr Seelenname denn nicht japanisch sei.

Sie hatte einfach nur gelächelt und gemeint, dass der Name ganz unabhängig von dem Land sei, aus dem man kommt. Aber dass sie der Mondgöttin dankbar wäre, dass sie mir einen Namen geschenkt hat, dessen Bedeutung so wunderbar zu mir passt.

Ich schnaufe, glücklich darüber den Wind zu spüren, der an meinem Fell zerrt und lege noch einen Zahn zu.

Bald kommen Silas und ich an die Grenze unseres Reviers, den Fluss und halten an.

Silas tänzelt um mich herum, die Ohren aufgerichtet und sichtlich stolz auf seinen Sieg.

Ich knurre spielerisch und haue ihm einmal mit der Pfote auf den Kopf. Sein verdutzter Gesichtsausdruck bringt mich zum Lachen und ich vergrabe die Schnauze kurz in seiner Flanke, um mein Jauchzen zu dämpfen.

Beleidigt tritt Silas einen Schritt zur Seite und schüttelt sich einmal durch. Dann schnaubt er kurz auffordernd in meine Richtung und wendet sich zum Gehen.

Wir trotten langsam nebeneinanderher und meine Ohren zucken wild in alle Richtungen, um vielleicht ein Kleintier zum Jagen aufzuspüren.

Silas schüttelt bloß kurz den Kopf. Keine Zeit, informiert er mich, ich muss wieder Heim, Babysitten.

Ich jaule kurz enttäuscht auf, bevor er mich sanft in die Seite knufft, wer von uns kam denn bitte zu spät?

Geschlagen seufze ich und erhöhe das Tempo.

Wir wollen die kleinen Welpen ja nicht zu lange warten lassen.



So, jetzt gibt es also tatsächlich schon zwei Kapitel!

Ich liebe das Lied übrigens, deswegen kam es mir auch irgendwie in den Kopf, als ich die Szene geschrieben habe ... Ich kam allerdings erst durch die The Voice of Germany Aufführung von Matthias Nebel drauf und ich bin einfach nur in Love mit diesem Cover >.<

By your sideWhere stories live. Discover now