5. Kapitel

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Ich starre seit geschlagenen sieben Minuten auf die Uhr, die an der Wand gegenüber hängt.

Sieben Minuten. Seit exakt sieben Minuten habe ich kein einziges Wort der Diskussion mehr verstanden.

Besser gesagt, habe ich aufgehört zuzuhören. Mein Hirn hat ab der dritten Wiederholung derselben Argumentationsfolge einfach abgeschaltet und als ich Eric einen Blick zu werfe, sehe ich, dass es ihm nicht anders geht.

Falls ich mich richtig entsinne, versuchen seine Eltern und mein Vater immer noch zu klären, ob unser Rudel sein Lager aufgeben soll und in das andere Revier zu ziehen.

Ich beobachte die Mimik der anwesenden Personen. Zumindest die Erwachsenen sehen noch motiviert aus, abgesehen von Alex, der sich dazugesellt hat und nun aussieht, als würde er seine Entscheidung bereuen.

Erics Eltern, Hanako und Adrian, sind Feuer und Flamme und mit Herzblut dabei.

Mein Vater hingegen sieht immer noch irritiert aus, wenn Hanako sich zu Wort meldet. Wahrscheinlich mag er es nicht, dass sie sich als Luna in die Situation einbringt. Mein Vater ist altmodisch. Und er hat keine besonders glückliche Geschichte mit Mate-Bunds und damit auch leider mit meiner Mutter.

Ich stütze meinen Kopf auf meine Hand und überlege, wann ich meine Mutter zuletzt gesehen habe. Ich denke, an meinem 19. Geburtstag. Davor an Valeries 17. Auch wenn Val gar nicht mitgekommen ist.

Ob Val wohl noch einmal mit Myriam hierherkommt? Die Schule sollte doch jetzt irgendwann aufhören, oder?

Mein Blick schweift wieder zu Eric, der genau so anwesend wie ich in der Gegend rumstarrt.

Ob er sich auch Gedanken um die Leitposition des neuen, vereinten Rudels macht? Ich kann ihn eigentlich ziemlich gut leiden und will nicht mit ihm darum streiten. Wenn es meinem Vater nicht so wichtig wäre, würde ich vermutlich direkt abtreten. Mir eine nette Freundin suchen und hoffentlich eine Beziehung führen, die länger als zwei Monate geht. Oder mich damit beschäftigen, ob ich eine Mate habe ...

Das Gespräch stoppt. Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder den Erwachsenen zu und sehe ihre belustigten (Erics Eltern) und strengen (mein Vater) Blicke. Ich zucke schuldbewusst zusammen.

„Wir machen eine Pause!", erklärt Adrian und sogar Alex kann sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen. Ich grinse, stehe auf und strecke mich. Nach dem stundenlangen Sitzen fühlt sich mein Körper ganz steif an und am liebsten würde ich in meiner Wolfsgestalt eine Runde laufen.

In einem fremden Revier wäre das aber wahrscheinlich keine sonderlich gute Idee und deswegen begnüge ich mich mit einem kurzen Spaziergang im Viertel. Natürlich auf zwei Beinen.

Auch wenn mein Wolf sich seltsam unruhig verhält.

Ich versuche das Gefühl abzuschütteln, scheitere aber kläglich.

Als ich ein paar Minuten später wieder zur Hütte zurück gehe, sehe ich Valerie und Myriam vor dem Eingang sitzen.

„Hey!", grüße ich die beiden. Val grinst mich an, während Myriam nur schief lächelt. Ihre weißen Haare leuchten förmlich in der Sonne und die Piercings in ihrem Ohr und der eine in ihrer Lippe blitzen bei jeder Bewegung auf. Ich habe in den zwei Jahren, die sie die silbernen Ringe schon hat, noch nicht herausgefunden, wie sie sich mit den Teilen verwandelt.

Sie fährt sich mit der Hand durch die kurzen Stoppeln an ihrer Schläfe, bevor sie sich die längeren Strähnen ihres Sidecuts hinters Ohr streift: „Wie warten auf Silas... Er will uns seine Cousins vorstellen."

Ich verziehe verwirrt das Gesicht: „Wer ist Silas? Und wer sind seine Cousins?"

„Silas ist der Sohn von Alex", erklärt Val und beantwortet damit auch gleichzeitig meine zweite Frage. Seine Cousins sind dann wohl die kleinen Wölfe, die ich schon kennengelernt habe. Zumindest halbwegs.

Ich seufze. Ich würde auch lieber mit den Welpen spielen als weiter dieser todlangweiligen Diskussion beizuwohnen.

Trotzdem gehe ich wieder rein, nachdem ich mich von Val und Myriam verabschiedet habe und verirre mich erstmal. Das Haus ist nicht mal besonders groß, hat aber trotzdem eine beachtliche Anzahl an Türen und Gängen.

Als ich (endlich) die Tür zum Esszimmer finde, bleibe ich erstaunt im Rahmen stehen.

Da steht ein Junge im Raum. Er redet mit Alex. Sie haben die gleichen braunen Haare, auch wenn die des Jungen länger sind. Die Spitzen kitzeln seine Schultern, als er den Kopf zu Eric dreht, der neben Alex steht. Grüne Augen blitzen auf und ich höre ihn leise lachen.

Mein Magen wird heiß, genau wie mein Gesicht und ich weiß einfach, dass sich seine Haare wie Seide anfühlen, wenn man mit den Fingern hindurchkämmt.

Ich schlucke nervös.

Meine Finger krallen sich in meine Handfläche und hinterlassen kleine, rote Sicheln, als ich mich zwinge meine Hände wieder zu entspannen.

Mein Wolf ist aufgeregt, aber gleichzeitig auch ruhig. Es fühlt sich warm an und sicher.

Jetzt habe ich Silas wohl auch endlich mal gesehen.

Und meinen Mate gefunden.

Fuck.

Mein Vater wird mich umbringen...


Hat wieder ein bisschen gedauert, aber das nächste Kapitel steht bereit...

Bald erfahrt ihr dann auch mal was aus Vals und Silas Sicht 😉

Nächstes Kapitel wird aber vermutlich noch mal Lyall (wer braucht schon einen Schreibplan, wenn man sich sowieso nicht dran hält ;-; )


By your sideWhere stories live. Discover now