4. Kapitel - Lyall

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Ich verschlucke mich fast an meinem Apfel als Valerie ins Esszimmer gestürmt kommt.

Ihre roten Locken fallen ihr ungekämmt ins Gesicht und ihre Augen funkeln mich wütend an.

Ich schlucke nervös und versuche mich zu erinnern, ob ich kürzlich irgendetwas getan hätte, das den gemeinen Blick meiner kleinen Schwester rechtfertigt. Mir fällt nichts ein.

„Du!", faucht sie dennoch: „Kannst du Papa bitte erklären, dass ich nicht zu diesem blöden Treffen gehe?"

Ich lege den angebissenen Apfel zur Seite und hebe beschwichtigend die Hände: „Wenn er sagt, dass du mitkommen sollst, misch ich mich da nicht ein!"

Val schnaubt entrüstet: „Du kannst doch nicht immer einfach nur seine Meinung nachplappern!"

„Doch", ich zucke mit den Schultern: „Ich kann!"

„Valerie, mach dich fertig, wir fahren gleich los!", ertönt die Stimme meines Vaters aus seinem Zimmer den Flur runter und ich werfe Val einen vielsagenden Blick zu.

„Du solltest wohl besser mal deine Haare kämmen ... Und dich vielleicht umziehen!", rate ich ihr mit einem belustigten Blick auf ihr ausgeleiertes Nachthemd mit dem Wuffels-Aufdruck.

Sie dreht sich kommentarlos um und verschwindet die Treppe nach oben.

Ich nehme einen weiteren Bissen von meinem Apfel und schlucke mit ihm gemeinsam meine Nervosität herunter. Weniger vor dem tatsächlichen Treffen, sondern viel mehr die Sorge meinen Vater zu enttäuschen.

Ich seufze und stehe auf, um mir Schuhe anzuziehen.

Das andere Rudel zu treffen wird sicher lustig...


Mein Vater parkt das Auto und als wir aussteigen, werden wir direkt von einem breitschultrigen Mann mit braunen Haaren begrüßt.

Er stellt sich als Alex, der Beta des Rudels und als unser Begleiter vor.

Mein Vater, Valerie und ich folgen ihm und ich fühle, wie sich Valerie nervös an den Ärmel meiner Jeansjacke krallt. Ich lege beruhigend meine eigene über ihre und lächle sie sanft an: „Alles ist gut, Val!"

Sie nickt unsicher, lockert ihren Griff aber etwas.

Ich weiß, dass sie Menschenmengen hasst. Und darüber hinaus, lastet der Druck meinen Vater nicht zu enttäuschen ebenso auf ihr, auch wenn er sich von meinem unterscheidet.

Ich muss ein perfekter Alpha sein, sie muss einfach ‚normal' sein, darf sich nichts anmerken lassen.

Ich stupse sie an: „Nach der Begrüßung kannst du bestimmt gehen und Myriam von der Schule abholen. Wir sind auf dem Weg hierher an ihr vorbeigefahren, falls du dich erinnerst?"

Val nickt begeistert. Seit Myriam zur Schule im anderen Revier gewechselt hat, da unsere geschlossen wird, hat Valerie sie seltener gesehen und sie vermisst ihre beste Freundin.

Wesentlich entspannter lässt Val mich nun vollständig los, flüstert ein leises „Danke" in meine Richtung und verdrückt sich dann ans Ende unserer kleinen Prozession.

Als ich aufschaue, sehe ich auch warum. Wir sind angekommen und das Rudel erwartet uns.

Neben einem großen, breit gebauten Mann mit gräulichen Haaren -bestimmt der Alpha- steht eine zierliche, asiatische Frau. Auf seiner anderen Seite sieht mich ein großer Junge, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, erwartungsvoll an. Er hat wilde, schwarze Haare und blaue Augen, die mich kurz kritisch mustern. Als ich ihn anlächle, entspannt er sich merklich und entdeckt nun Valerie hinter mir.

Kurz bin ich abgelenkt von meinem Vater, der sich dem anderen Alpha vorstellt und als mein Blick wieder auf den Jungen fällt, sieht er fast schon verletzt aus.

Was ist denn mit dem passiert?

Als der Junge meinen fragenden Blick bemerkt, lächelt er schnell und vertreibt den betrogenen Ausdruck aus seinem Gesicht.

Er geht entschlossen auf mich zu und streckt mir seine Hand entgegen: „Hi, ich bin Eric! Ich hoffe ihr hattet eine gute Fahrt hierher?"

Ich schüttele seine Hand kurz und nicke: „Es gab keine Probleme. Ich bin Lyall, freut mich endlich die andere Seite der Stadt zu sehen!"

Wir grinsen uns beide an. Er scheint in Ordnung zu sein.

„Wer war eigentlich das Mädchen?", fragt Eric neugierig.

War? Ich drehe mich um und sehe, dass Val gerade aus der Siedlung verschwindet. Ohne unserem Vater Bescheid zu sagen. Das gibt Ärger, denke ich besorgt.

„Meine kleine Schwester", antworte ich Eric: „Sie holt ihre Freundin von der Schule ab...Vielleicht kommt sie zurück, dann kannst du sie wirklich kennen lernen!"

Eric nickt, auch wenn er irgendwie hin und hergerissen aussieht. Als würde er sich freuen und gleichzeitig Angst vor etwas haben. Ich zucke innerlich mit den Schultern. Ich kenn ihn vielleicht fünf Minuten, es geht mich nichts an.

Wir schweigen für eine kleine Weile, auch wenn Eric die Stille unangenehm scheint.

Schließlich hält er es nicht mehr aus: „Wie ist es bei euch so? Gibt es noch mehr Probleme als die Schule?"

Ich nicke knapp: „Der Bürgermeister will einen Teil des Waldes in unserem Revier abholzen...Soll wohl irgendwas stattdessen hingebaut werden."

Ich balle meine Hände zu Fäusten, bevor ich mich zwinge sie wieder zu entspannen und fahre mir durch die Haare.

Gerade als Eric etwas erwidern will, stolpert ein kleiner Welpe über meine Füße.

Mit seinen großen Pfoten und den noch größeren Augen erinnert er mich im ersten Moment an das Wuffels auf Valeries Nachthemd.

Ich beuge mich runter und streiche dem Kleinen über das flaumige Fell. Er japst zufrieden und beißt mir spielerisch mit kleinen, aber spitzen Zähnen in den Finger.

„Oh, Sorry!", entschuldigt sich Eric hastig und pflückt den Welpen vom Boden.

„Kein Problem!", ich grinse. Der Kleine ist einfach zu niedlich, wie er mit riesigen Augen zu Eric aufschaut und ihm dann plötzlich die Zunge ins Gesicht streckt.

Etwas entfernt heult der Rest des Wurfs nach seinem Spielkameraden und der Welpe in Erics Arm bellt als Antwort und windet sich aus Erics Griff.

„Vorsichtig!", ruft dieser erschrocken und setzt den Kleinen zu seinen Füßen ab. Mit wild wedelndem Schwanz sprintet er zu den anderen Welpen und beginnt sofort sich mit dem Größten des Haufens zu raufen.

Eric und ich betrachten das wilde Pack.

„Du hast doch Alex kennengelernt, oder? Das sind die Welpen seiner Schwester. Sie hat sich entschieden, in ihrer Wolfsgestalt Kinder zu bekommen und seither sind Silas und ich immer dazu verdammt, auf den Wurf aufzupassen, wenn sie und ihr Mann weg sind", erklärt er mir und schafft es gleichzeitig gerührt von der Putzigkeit der Welpen und genervt von ihrer Präsenz zu klingen.

Mein Grinsen wird breiter.

„Wer ist eigentlich Silas?", werfe ich ein, aber bevor Eric mir antworten kann, rufen unsere Väter nach uns.

Scheinbar kommt jetzt der Part, indem wir alle rumsitzen und alles Organisatorische diskutieren.

Obwohl, wahrscheinlich nicht alles, aber man kann ja optimistisch sein!

Eric und ich werfen uns einen gleichsam gequälten Blick zu und laufen ins Haus.


Das erste Kapitel aus einer anderen Sichtweise!

Ihr könnt ja gern raten, inwiefern Lyall noch eine Rolle spielen wird 😊

Und ja, ich weiß, dass Wolfswelpen nicht unbedingt wie Pokémon aussehen, aber ich finde Wuffels einfach zu süß, um ihn unerwähnt zu lassen!

PS: Sorry, ich hab unterschätzt, wie anstrengend die Schule wieder ist, deswegen hat es ein bisschen gedauert ;-;


By your sideWhere stories live. Discover now