>>EK| Der schiefe Turm der Stühle

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Ein Wecker ließ mich erschrocken zusammenzucken. Achja, Schule. Mein Gesicht in den Kissen vergrabend fing ich an, frustriert einen Kriegsschrei von mir zu geben, ehe ich mich mit einem Ruck aufsetzte und stumm in den Spiegel schaute. Zu sehen war eine zerzauste Claire in einem weißen Bett mit blau geblümter Bettwäsche.

Seufzend rieb ich mir den Schlaf aus den Augen und quälte mich aus dem Bett, um in das Badezimmer nebenan zu tapsen, welches ich mir mit meinem Bruder teilen musste. Zum Glück hatte er Uni immer eine halbe Stunde nach meinem Schulbeginn, sodass wir nie zeitgleich das Bad besetzen könnten.

Als ich eine Stunde später die Aula betrat, waren noch keine Schüler da, lediglich der Hausmeister, welcher die Stühle gerade aufstellte, Leon und einige anderen Lehrer, als auch unsere Schuldirektorin.

Da Mrs. Skyrunner momentan mit Leon beschäftigt war, lief ich kurz in ihr Blickfeld, damit sie mich bemerkte, ehe ich zu unserem Hausmeister lief. Dabei fiel mir auf, dass es ein anderer Hausmeister war. Wo war unser alter hin?

„Entschuldigen Sie, brauchen Sie vielleicht Hilfe?", fragte ich ihn dennoch höflich und lächelte, als er zu mir hochblickte.

Er sah nach einem lieben Mann Ende vierzig aus. Seine Haare waren braun und attraktiv gestyled, seine Augen strahlten Wärme und Jugend aus. Aber irgendwie passte er hier nicht genau rein, er sah nach einem recht attraktiven beschäftigten Mann aus. Zumindest strahlte seine ganze Anwesenheit ‚Autorität' aus.

Verwundert blickte er mich an, ehe er mich breit anlächelte, sodass sogar seine grünen Augen zu strahlen begannen. „Das wäre sehr lieb von dir, Liebes", entgegnete er mir, woraufhin ich ihn noch einmal kurz anlächelte.

Während ich begann, einen Stuhl vom Stapel zu ziehen und richtig zu platzieren, begann er ein Gespräch mit mir: „Gehst du in die Oberstufe?" - „Ja, ich gehe jetzt in die zwölfte Klasse", antwortete ich ihm. Er nickte nur anerkennend.

Neugierig fragte ich ihn: „Sie sind neu hier, nicht wahr? Ich habe Sie hier noch nie gesehen." Beeindruckt blickte er mich an. „Ich hätte nicht gedacht, dass es jemandem auffällt. Immerhin sind die Hausmeister hier nur Mittel zum Zweck und nichts Relevantes", lachte er leise vor sich hin, „Ich bin Christian." - „Freut mich, Sie kennenzulernen, mein Name ist Clarissa, aber alle nennen mich Claire."

Während wir weiterhin die Stühle platzierten, erzählte er mir ein bisschen von sich, wie beispielsweise, dass er eine Frau hatte, die er seit seinen jungen Jahren kannte und sogar zwei wunderbar gesunde Kinder mit ihr hatte. Dabei missfiel mir sein trauriger Ausdruck im Gesicht nicht, doch nachfragen wollte ich nicht, da es dann doch zu privat werden würde.

„Weißt du, meine kleine Tochter geht bald auch auf die Schule hier, sie wird eine tolle Schülerin ", teilte er mir begeistert mit und strahlte wieder diese Glückseligkeit aus. Bei seinem Anblick wurde mir ganz warm ums Herz. Wie sehr wünschte ich mir, dass mein Vater manchmal so von uns sprach, doch so war das Leben nicht. Aber ich hatte mich daran gewohnt.

„Clarissa, kommst du? Wir brauchen die Pläne!", rief mich die strenge Stimme von der Direktorin. Überrascht musste ich feststellen, wie Mrs. Skyrunner den Hausmeister schüchtern und nahezu verängstigt zunickte, doch als ich mich zu diesem drehte, erkannte ich nichts Auffälliges.

„Ihre Tochter kann sich wirklich glücklich schätzen, einen Vater wie Sie zu haben. Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit an unserer Schule und hoffe zeitgleich, dass wir uns wiedersehen", lächelte ich warmherzig und wendete mich nach einem Lächeln seinerseits zu Mrs. Skyrunner.

Bei ihr angekommen übergab ich ihr die vorgesehenen Pläne von den verschiedenen AGs und ebenso von den verschiedenen Kursen. Es war dieses Jahr unerwartet viel geplant worden, sodass ich auf jeden Fall sagen konnte, dass es zu Problemen kommen würde bei der Terminfestlegung.

„Die Basketball und Fußball AG fordern dieses Jahr wieder, dass das Finale bei uns stattfindet. Das müssten wir jedoch mit der anderen Schule absprechen, denn sobald ich sie kenne, werden sie das Finale auch bei sich haben wollen. Der Kunstkurs hat sich glücklicherweise dazu bereit erklärt, dem Theaterclub zu helfen mit den Kulissen. Außerdem würde die Theatergruppe auch dieses Jahr ein Stück aufführen", fing ich an, den Plan zu erklären, welcher seit Anfang der Schule von mir zusammengestellt wurde.

Innerhalb von zehn Minuten klärten wir dann noch, welche Veranstaltungen erwähnenswert wären und wozu wir noch mehr Informationen geben sollten.

Als das getan war, lief Mrs. Skyrunner bereits die Stufen auf den kleinen Podest hoch, während ich mich wieder zu Christian umdrehte. Noch immer war er nicht fertig und ich fand es enttäuschend, dass so viele Lehrer rumstanden und nichts taten, anstatt ihm zu helfen.

Eilig lief ich zu den letzten Stapeln von Stühlen und half, sie aufzustellen, da die Türen bereits in zehn Minuten geöffnet werden würden, auch, wenn sie nicht abgeschlossen waren. Da die Türen aus Fensterglas bestanden, sah ich draußen auch schon einige Schüler rumlaufen.

Verwundert blickte der Hausmeister zu mir, da er das Stuhlruckeln hörte. Doch ich lächelte ihm nur kurz zu, ehe ich fortfuhr. Das Problem bei mir war, dass die Stapel recht hoch waren, weshalb ich mich ziemlich strecken musste. Noch war das kein Problem, da ich noch den von Christian begonnenen Stapel beenden konnte, wie zuvor auch, aber es waren nur noch zwei Stühle auf diesem.

Verzweifelt blickte ich nach oben und plötzlich kam ich mir vor wie ein kleiner Zwerg. Was ich ja irgendwie auch war.

Ein Blick nach rechts zeigte mir, dass der Hausmeister einen Stapel zu sich gezogen hatte und die Stühle leichtfertig auf den Boden hievte.

Wow, Claire, du bist echt schlecht.

Genervt zerrte ich am obersten Stuhl und sah den Stapel schon verdächtig wackeln. Aber darauf gab ich recht wenig, stattdessen zog ich noch stärker, bis mein Stuhl endlich runter ging. Aber leider nicht nur mein Stuhl. Der ganze Turm voller Stühle war auf dem besten Weg, auf mich zu fallen und mir fiel nichts anderes ein, als mich an den Stuhl in meinen Händen zu krallen und die Augen zuzukneifen.

„Aber echt, das kann man nicht mit ansehen", seufzte jemand hinter mir genervt und amüsiert zugleich und kurz darauf spürte ich, wie ein warmer Körper an meinem Rücken stand, den Kopf wahrscheinlich über meinem. Vorsichtig blickte ich hoch, nur, um Phil zu sehen, welcher mit roter Nase da stand, den rechten Arm gegen die Stühle gedrückt.

Mit seiner freien Hand zog er mich da grob weg, ehe er näher zu dem Turm schritt und diesen wieder stabil aufstellte. Danach griff er den obersten Stuhl und stellte ihn auf dem Boden ab. Diesen Vorgang wiederholte er, bis alle Stühle wild auf dem Boden verteilt waren.

Schniefend massierte er sich kurz die Schläfen und blickte mich danach gereizt an. Sofort erwachte ich aus meiner Starre und begann die Stühle richtig hinzustellen. „Warum bist du gekommen? Mit deiner schlechten Ich-bin-erkältet-Laune machst du hier nur alle krank. Wortwörtlich", fragte ich ihn und schenkte ihm dennoch einen dankbaren Blick.

„Ach, ich wollte die Versammlung nicht verpassen. Keine Ahnung. Außerdem hat Ash mir erzählt, dass es hier neue heiße Schüler geben soll", teilte er mir mit und schaute mich am Ende mit einem anzüglichen Blick an. Ja, er war schwul, für die, die es noch nicht gemerkt hatten.

Phillip war blondhaarig und blauäugig. Persönlich hatte ich weniger mit ihm zu tun als mit den anderen. Damit meinte ich, dass ich mich mit ihm noch nie privat getroffen hatte, aber dennoch waren wir gut befreundet.

Von seinem Wesen her war er eher aufgedreht und unvorsichtig. Er liebte es, shoppen zu gehen und ebenso auf Partys zu gehen. Oder zu veranstalten. Von daher war er ein reiner Gute-Laune-Mensch, aber wenn er krank war, war es das Schlechte in Person.

Ich antwortete ihm nicht, sondern stellte den letzten Stuhl in die Reihe. Auch Christian war fertig, denn er kam eilig zu mir und bedankte sich bei mir. „Du warst mir eine echt große Hilfe. Bis bald", grinste er breit und stahl mir ein weiteres Lächeln. Und genau in dem Moment, in dem ich mich in die erste Reihe begeben wollte, um meinen Platz einzunehmen, gingen die Türen auf und die ganzen Schüler strömten hinein.

Freu mich über Kommentare und Votes~xxT

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