30| Ms. Arrogant

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„Und alles, was du tun musst, ist theatralisch eine Babypuppe auf die Straße zu werfen und heulend wegzurennen?", lachte Aidan mich aus und schaute mir ungläubig in die Augen. Genervt wiederholte ich meine Antwort: „Nein, das ist das, woran sich Dornröschen angeblich erinnert. Aber am Anfang spiele ich quasi die Wahrheit, also, dass mir als Mutter gedroht wird, mein Mann vor meinen Augen umgebracht wird und ich in einem Moment der Unachtsamkeit des Drohenden weggerannt bin. Das Kind lege ich vor eine Tür, klopfe, renne weg und werde quasi von den Schatten eingeholt und ermordet. Joa..."

Noch immer lachte mein großer Bruder ohne wirklichen Grund, aber da ich keine Lust hatte, auf ihn zu warten, bis er sich beruhigte, setzte ich mich in Bewegung Richtung seines Autos. Im Grunde genommen fand ich seine Aussage gar nicht so falsch. Ich war genervt von der Rolle.

Ein Ruf ließ mich innehalten.

„Hey, Claire!"

Verwirrt drehte ich mich um und hielt Ausschau nach dem Schuldigen. Wenig später entdeckte ich Nate, welcher gefolgt von Mel - die mich wohlbemerkt mit einem verdammt gruseligen Blick anschaute - zu mir joggte. „Was willst du?"

Die Skepsis war nicht überhörbar, doch dennoch tat er so, als würde ich ihn nicht argwöhnisch anschauen und damit rechnen, dass er gleich ein Glas Nutella herausholte und den Pflanzen zu essen geben wollte. „Ich habe eine Bitte", fing er an und kratzte sich dabei an seinem Nacken.

Na super, wenn du so etwas sagst, dann steigt mein Vertrauen dir gegenüber natürlich rasant.

Bevor ich nachhaken konnte, fuhr er fort: „Also, du bist ja eine gute Schülerin. Ist es möglich, dass du mit mir den Text lernst? Ich bezweifle, dass ich das alles alleine lernen kann und nichts gegen dich, aber wenn ich mich mit dir treffe, wird keiner denken, da liefe etwas. Bei anderen Mädchen würden Gerüchte entstehen."

„Wenn du mich schon um Hilfe bittest, solltest du es vermeiden, mir im Nachhinein zu sagen, ich sei zu langweilig oder hässlich, als dass man eine Beziehung mit mir führen könnte, geschweige denn etwas anderes Sexuelles anfangen. Und lern doch mit Mel oder so", erwiderte ich kalt und drehte mich wieder um. Aidan war mittlerweile bereits in seinem Auto und wartete auf mich.

Ein begeistertes Quietschen ertönte, welches meinem Ohr nahezu für immer seinen Sinn nahm. Doch dem setzte Nate schnell ein Ende, indem er meinte: „Ne, mit ihr will ich nicht lernen, denn Mel ist zwar echt nett und süß, aber die Gerüchte würden zu krass starten. Außerdem bist du mir etwas schuldig. Vergessen?"

Seit wann interessierten ihn überhaupt Gerüchte? Er war einer der Schulidioten, die dachten, sie seien etwas Besseres und denen die Meinung anderer keine Rolle spielte. Ein selbstsicheres Gefühl verriet mir, dass es sich wahrscheinlich lediglich eine Ausrede war, um nicht offen zuzugeben, dass er auf mich angewiesen war. Aber er hatte schon Recht. Ich war ihm etwas schuldig dafür, dass er mir bisher so oft geholfen hatte.

„Bitte, bitte, bitte, ich habe die Hauptrolle, das wird echt schwer sonst!", bettelte er und setzte seinen Hundeblick auf.

„Claire, beeil dich, meine Fresse, ich will noch was essen!"

„Glück für dich, dass Aidan mich so unter Stress setzt. Komm später einfach vorbei, du wolltest ja eh noch mit meinem Bruder was machen. Aber ich sag' dir eines: sobald ich merke, dass du nicht wirklich versuchst, etwas zu lernen, schmeiße ich dich aus dem Haus, nachdem ich dich eigenhändig kastriert habe. Schließlich hättest du dann meine Zeit unnötig verschwendet." Mit diesen Worten meinerseits und dem Unterstützen seiner Lüge von vorhin, verschwand ich, nicht ohne ihn einmal gespielt lieb anzulächeln.

-Melanies Sicht-

Genervt blickte ich ihr hinterher, wie sie liebtuend verschwand. Ich wusste von Anfang an, dass Nathans Aussage, er würde heute noch zu Claires Bruder müssen, gelogen war. Sonst hätte sie nicht extra erwähnt, dass er heute Abend vorbeikommen sollte.

Ich hatte keine Angst, dass er irgendwie Interesse an ihr haben könnte, denn war die kleine Claire nichts Besonderes in jederlei Hinsicht. Ihr Aussehen war langweilig, ihr Charakter war langweilig und ebenso sie selbst, ihr Wesen. Sie war ein langweiliges Mauerblümchen. Er würde in ihr nicht das Abenteuer finden, welches in seinen Augen stets loderte.

Nathan brauchte ein Mädchen an seiner Seite, welches ihn herausforderte, ihm beistand und auf ihn hörte. Ein Mädchen, welches ihm seine ganze Aufmerksamkeit und Liebe schenkte, aber auch sich selbst. Welches optisch perfekt mit ihm zusammenpasste und von jedem beneidet wurde, damit sein Ruf noch mehr in den positiven Bereich stieg.

Ein Mädchen wie mich. Und das würde ich ihm noch klar machen.

Doch zuerst musste ich in diesem Falle wohl mit Claire reden, dass ich ihre Zustimmung, ihre Rückendeckung versichert hatte. Und darum beschloss ich kurzerhand, ihr noch vor Nathan einen Besuch abzustatten.

-

„Mel? Was machst du denn hier?", wurde ich von Claire begrüßt, die mich überrascht musterte. Ich hätte mein Outfit auch so angeschaut an ihrer Stelle, denn es war offensichtlich, dass sie sich keine Markensachen gönnte, die vor allem den Körper so schmeichelten.

„Ich wollte dir nur einen kurzen Besuch abstatten", antwortete ich ihr und hoffte inständig, dass sie auf mein gefälschtes Lächeln einging und meine Sorge erkannte.

Jackpot. „Ach, Mel, ich sehe dir doch an, dass irgendwas ist. Möchtest du mit auf mein Zimmer? Du wirst ja wohl einen Grund haben, warum du wirklich hierhergekommen bist."

Resigniert seufzend nickte ich und befand mich wenige Sekunden später in ihrem Zimmer, wo ich mich direkt auf ihr Bett niederließ, meine Beine überkreuzt.

Als ich erkannte, wie sie versuchte, unauffällig auf die Uhr zu blicken, wurde mir bewusst, dass ich nicht allzu viel Zeit hatte. Und ebenfalls, dass sie mich gerade als ziemlich unerwünscht ansah.

„Ich weiß nicht, mit wem ich darüber reden soll und da du meine einzige Freundin bist, mit der ich über alles reden kann, dachte ich mir, dass allein du es verstehen würdest, ohne mich zu verurteilen. Ich weiß nicht, Claire, ich bin so verloren zur Zeit und weiß nicht, was ich tun und denken soll, doch das, was ich jetzt gerade machen will, ist reden. Du bist die einzige, der ich vertrauen kann", redete ich drauf los und hinterließ somit den perfekten Eindruck eines aufgewühlten, verzweifelten Mädchens.

„Beruhig dich erst einmal! Egal, was ist, Mel, sprich mit mir", forderte Claire mich mitfühlend auf. Sie war definitiv zu naiv.

Dann lassen wir die Bombe mal platzen. „Ich bin schwanger."

Stille.

Entsetzt fing sie sich nach einer Zeit und fing an, vor sich hin zu stottern, unfähig, einen richtigen Satz von sich zu geben. Oh ja, definitiv zu naiv.

Lachend beobachtete ich sie, bis sie irgendwann zu verstehen schien, dass das nicht mein ernst gewesen war. „Glaubst du wirklich, ich wäre so doof und lasse mich von irgendeiner beliebigen Person schwängern, mit der ich nichts Festes geplant habe? Nein, was ich dir sagen will hat viel mehr Wichtigkeit. Ich habe mich verliebt. In Nathan." - „Aber du kennst ihn doch kaum?"

Es war ihrem Gesichtsausdruck abzulesen, dass sie dies noch mehr aus der Bahn warf, als meine Behauptung, schwanger zu sein. Doch weshalb?

„Schon, aber ich habe die letzten Tage sehr viel mit ihm unternommen und er ist wirklich nett. Er ist charmant, umsorgend, heiß, muskulös, süß, einfach perfekt. Es ist Liebe auf den ersten Blick gewesen!"

Verwirrt stand Claire an ihrem Schreibtisch und blickte mir fest in die Augen, obwohl ihr die Situation unangenehm zu sein schien.

„Und wo liegt das Problem?", fragte sie schließlich und lenkte damit das ganze Gespräch in die richtige Richtung.

Theatralisch seufzend warf ich mich auf die Matratze und starrte die Decke einige Sekunden an, ehe ich fortfuhr. Schließlich war das der einzig wahre Grund meines Kommens gewesen.

„Du musst mir versprechen, dich nicht in Nathan zu verlieben, geschweige denn, sein Interesse zu wecken, okay? Ich habe genug Konkurrenz und du bist meine Freundin, also musst du mich unterstützen und mir helfen, mit ihm eine Chance zu haben. Und Freunde machen sich nicht an den Crush des anderen ran." - „Was?"

Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen, diesmal wieder ein ereignigloseres :3
Sollte ich öfter in den Sichten anderer Charaktere schreiben? Würde mich sehr über Rückmeldungen und Votes freuen! xxT~

Please, not again ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt