1. Realitäts(un)nahe Bücher

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Sicherlich gibt es bessere Möglichkeiten, als hier im warmen Sand meine Zeit mit Tagträumereien zu verbringen. Aber, wenn ich ehrlich bin, gibt es für mich momentan nur noch die Alternative mir 3 Seiten Französischvokabeln in der Schriftgröße 9 einzuprügeln. Und da passe ich wohl lieber! Das kann ich schön auf morgen verschieben...

Zufrieden mit diesem Entschluss schließe ich meine Augen und atme die salzige Meeresluft erneut tief in meine Lunge ein. Auf einmal werde ich störend aus meiner Gedankenwelt heraus geklingelt, als mein Handy Töne von sich gibt, die ich nicht ignorieren kann.

"Lara?"

"Hm?", murmelte ich in mein schwarzes Smartphone.
"Kommst du bitte hoch? Es ist schon spät und ich möchte nicht, dass du da im Dunkeln allein sitzt. Komm doch bitte", ertönte die sanfte und leicht besorgte Stimme meiner Tante.
Sie ist nett. Verdammt nett, aber manchmal wünschte ich mir mein altes Leben ohne sie zurück.
"Mhm. Ich komme."
Und somit drücke ich auf den rot leuchteten Hörer meines Displays.
Sie hat recht. Es ist relativ spät geworden. Und bei dem Gedanken, dass ich hier ganz allein im Dunklen sitze, löst es auch bei mir ein mulmiges Gefühl aus.

Schließlich schmeiße ich meine Sachen in die Tasche und mache mich auf den kurzen Weg nach Hause. Es sind maximal 30 Schritte, die den verlassenen Sandstrand von dem prächtigen Wohnhaus meiner Tante trennen. Zum Glück! Für mehr sportliche Bestätigung bin ich nämlich nicht gebaut.

Seufzend schließe ich die Hintertür der Villa auf und betrete das geräumige Wohnzimmer. Dort finde ich auch schon meine Tante auf dem polarweißen Sofa vor.
Sie ist circa 38, was ich aber nicht genau bestätigen kann, denn exakt weiß ich das nicht. Allerdings kann ich sagen, dass sie relativ jung aussieht. Blonde schulterlange Haare, immer ein Hauch von Make-up und leuchtend braune Augen, genau wie meine Mutter. 

Grundsätzlich kann ich nur Gutes über sie erzählen. In den sechs Monaten, in denen ich sie verspätet kennenlernen durfte, ist mir ihrer fürsorglichen Art unglaublich ans Herz gewachsen. 
Vertieft sieht sie in ein Magazin, das auf ihren übereinandergelegten Beinen in der schwarzen Skinny-Jeans Platz findet und jede paar Sekunden umgeblättert wird.

"Hi", mache ich mich bemerkbar, woraufhin sie sofort aufsieht.
"Lara! Gut, dass du da bist. Ich finde es nicht vorteilhaft, wenn du so spät noch da unten sitzt.", sie seufzt hörbar aus und fährt fort, "Ich möchte dir keine großen Grenzen setzten, aber es ist besser, wenn du früher nach Hause kommst." Nun hat sie ihren besorgten Rehblick aufgesetzt.
Einen Augenblick schiele ich aus dem Panoramafenster im Wohnzimmer, um mir den schwarzen Himmel über dem jetzt auch schwarzen Meer einzuprägen. Mir war gar nicht bewusst, dass es tatsächlich so spät geworden ist...

"Die Zeit verging so schnell. Morgen komme ich früher", erwidere ich gerade noch so laut, dass sie es verstehen müsste. Ihre Gesichtszüge werden weicher und ein leichtes Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus, bevor sie mir zufrieden zunickt. Das ist mein Stichwort, was so viel wie 'Ich-bin-fertig-mit-Reden-und-wie-ich-dich-kenne,-willst-du-gleich-verschwinden,-also-geh!' heißt.

-

 
Nach einem super langweiligen Schultag, den ich damit verbracht habe, Aufgaben über elektromagnetische Schwingungen zu verfluchen, kann ich es kaum abwarten aus diesem trostlosen Gebäude herauszukommen.
Endlich an der frischen Frühlingsluft kitzelt mich schon der kühle Wind. Meinen Reißverschluss der Jacke, die heute Morgen nach einer Rankingshow neben der grünen und der blauen gewonnen hat, ziehe ich etwas nach unten. Wie zu erwarten steht auch schon der mir altbekannte schwarze Pickup auf dem Parkplatz der Schule. Ich frage mich, ob er vielleicht gerade gewaschen wurde, da er heute besonders glänzend aussieht. Und dann frage ich mich sofort, wie Theresa sich diese ganzen teuren Sachen eigentlich leisten kann. Klar, sie hat irgendeinen superwichtigen Job, wo man viel Kohle verdient, aber für mich ist das alles immer noch total befremdlich. Zumindest habe ich früher nicht in so einer Villa mit "Privat-"Strand gewohnt, sondern in einem ganz normalen Haus, mit meiner ganz normalen Familie. Die Erinnerung daran lässt mich schwach grinsen.

Ich greife nach dem Autotürgriff und ziehe diesen zu mir, was zu Folge hat, dass sich die Tür  öffnet. Geschickt schmeiße ich mich auf den Ledersitz. Meinen kleinen Rucksack werfe ich achtlos auf die Rückbank, bevor ich wie immer meine Kopfhörer herauskrame. Die Musik ist wie ein Rettungsanker für mich, der mir hilft, den Kopf freizubekommen. Mein ständiges Gedankenkino da oben, geht mir nämlich manchmal ziemlich auf die Nerven.

"Hallo Lara. Na, wie war die Schule?", nehme ich gerade noch die immer-freundliche Stimme meiner Tante war, ehe laute Musik in meinen Ohren dröhnt.
Gleichgültig zucke ich einfach nur mit den Schultern und beende somit die oberflächliche Konversation, doch ich wende mich nicht ab. Keine Ahnung warum, aber als ich meine Tante von der Seite betrachte, kommt mir blitzartig folgende Tatsache in den Sinn: Sie ist jetzt die Einzige, die ich noch habe. Und sofort fühlt sich mein Herz noch schwerer an, als sonst.
„Ich wünschte, das wäre alles nur ein schlechter Traum", ertappe ich mich dabei, wie ich es selbst kaum begreifen kann, was aus mir geworden ist. 

Das passiert mir in letzter Zeit immer öfters. Das Nicht-Wahrhaben, meine ich. Schließlich hatte ich mir mein Leben früher so anders vorgestellt. So viel bunter und lustiger. Ich träumte von diesem perfekten Leben, in dem ich meine wahre Liebe heirate, eine erfolgreiche Karrierefrau werde und ganz viele kleine Laras großziehe. Vielleicht ist es lächerlich, aber manchmal träume ich noch immer davon. Dabei weiß ich genau, dass ich meinem Schicksal nicht mehr entfliehen kann.  Dieses neue Leben ist jetzt meine Realität. Jedoch fühle ich mich als, wäre ich die einzige Siebzehnjährige, die in einem Käfig festsitzt, der aus kindersicheren Material besteht.
Und das Leben hier drin ist verdammt nochmal langweiliger als elektromagnetische Schwingungen. Ganz ehrlich!

 
Natürlich bin ich mir bewusst, dass mein Leben jetzt nun mal so sein muss, aber ist es denn so falsch mehr zu wollen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich dankbar für diese Chance sein und nicht herumweinen. Schließlich kann ich auch nichts an der Situation ändern. Und, wenn ich ganz ehrlich bin, bleibe ich lieber in meinem Käfig, als wieder die Vergangenheit zu durchleben.

Ich muss es endlich einsehen: Für mich, Lara Jenkins, wird es kein anderes Leben mehr geben! Es wird kein Prinz Charming angelaufen kommen und mein Leben verändern können. Es wird nie wieder ein Tag kommen, an dem ich tatsächlich glücklich sein werde.
Mag sein, dass so etwas in Büchern oder Filmen passiert, aber insgeheim wissen wir alle: Ein Buch ist nichts weiter als eine Wunschgeschichte, die niemand jemals erleben wird. Es ist verdammt nochmal nicht die Realität!

Tja, als mir all diese Gedanken durch den Kopf gingen, hätte ich niemals gedacht, dass sich auch mein Leben schon sehr bald in ein klischeehaftes Buch verwandeln würde.



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Was haltet ihr vom ersten Kapitel?

Gefällt euch mein Schreibstil?

War das Kapitel zu lang oder zu kurz?

Liest das hier überhaupt jemand? 😅

Baby don't hurt meDove le storie prendono vita. Scoprilo ora