2. Die Begegnung

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Als ich auch am nächsten Tag nach der Schule wieder im warmen Sand vor dem rauschenden Meer sitze und meine Ruhe genieße, geschieht es:

Verträumt starre ich auf das türkis-schimmernde Wasser und seufzte einmal hörbar aus. Das Buch in meinen Händen schreit buchstäblich danach verschlungen zu werden, doch die wunderschöne Aussicht, die mir geboten wird, lässt mich immer wieder aufblicken. Meine Hände streichen sanft über das raue Pergamentpapier und spielen etwas mit den Seiten, während ich die reine Salzluft tief in meine Lugen eindringen lasse. Der kalte Wind lässt mich den Sommer herbeiwünschen. Außerdem schlägt dieser Wind die Papierseiten gegen meinen Handrücken, weshalb ich meinen Blick abwende. Schlagartig vernehme ich eine tiefe Stimme, die ganz offensichtlich mich fokussiert.

"Hey! Was machst du hier?"

Erschrocken fahre ich zusammen und lasse mein Buch aus der Hand gleiten, welches nun vermutlich voller goldener Sand ist. Eine jungenhafte Gestalt nähert sich mir und ich rutsche instinktiv ein wenig nach hinten, soweit das im Sand möglich ist. Das Erste, das mein weit aufgerissenes Augenpaar erblickt, sind ausgelaufene schwarze Sneaker, die meiner Meinung nach, wirklich eine Reparatur nötig hätten. Langsam lasse ich meinen Blick über eine genauso restaurierfreudige blaue Jeans und über ein schlichtes schwarzes T-Shirt, das noch ganz in Ordnung zu sein scheint, huschen. Schließlich lande ich in karamellbraunen Augen, die mindestens genauso überrascht sind, mich zu sehen. Adrenalin schießt durch meine Adern, bereit für jede Gefahrensituation.

"Im Ernst. Was machst du hier? Normalerweise verirrt sich niemand an diesen Teil des Strandes", wiederholt er seine Frage, nachdem er anscheinend kapierte, dass ich nicht antworte.
Langsam beginnt mein Herz wieder in einem relativen normalen Rhythmus zu schlagen. Anstatt ihm endlich zu antworten, mustere ich ihn nur noch genauer. Sein Oberkörper scheint relativ gut gebaut zu sein. Seine leicht hoch gegelten braunen Harre, die einen guten Kontrast zu seinen leuchtenden Augen bilden, sehen von der leichten Meeresbrise etwas verwuschelt aus, sodass ihm vereinzelte Strähnen auf der Stirn kleben. Markante Wangenknochen wage ich zu erkennen und stelle mir somit die Frage, ob er nicht einen Makel besitzt? Klar erkenne ich den ein oder anderen Pickel, die auf seiner Stirn verweilen, aber wer hat diese kleinen Biester denn nicht?

Keine Frage, er scheint attraktiv zu sein. Doch attraktiv hin oder her. Wenn meine Tante erfahren würde, dass ich mit jemanden am Strand gesprochen habe, der auch noch dem männlichen Geschlecht angehört, kann ich mein Todesurteil unterschreiben. Es liegt also auf der Hand: Ich muss hier weg!

"I-ich...eh....ähmm...Muss los. Ciao!", stammle ich, während ich hastig meine Siebensachen zusammenkrame. Mit hochrotem  Kopf stehe ich auf und gehe einfach. Meine weißen Flip-Flops lassen die goldenen Körner unter mir sowohl sinken als auch aufwirbeln. 

Scheiße, ist das peinlich.

"Warte!", schreit seine schöne Stimme melodisch in meine Richtung und lässt mich bei ihrem intensiven Klang zusammenzucken. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen, als ich leichte Schritte im Sand erfasse. Die lebenswichtige Luft in meiner Lunge führt ihren Sauerstofftransport für einen Moment lang nicht fort und erzittert beim Echo seiner Stimme, die durch meinen Körper schwingt. Das hat zur Folge, dass ich augenblicklich schneller werde. Meine schweren Schritte beschleunigen sich und krampfhaft versuche ich das immer noch ausklingende Echo, wie bei einer Klangschale, aus dem Körper zu befördern. Und ehe er mich erreicht, hetze ich die steinerne Treppen hoch, um dann in Haus zu verschwinden.

Höchst erschöpft lehne ich mich an die Hintertür, fahre aber sogleich erschrocken auf, als das eiskalte Metall meine Haut streift. In der Villa bin ich froh, dass meine Tante nicht zu sehen ist, sodass ich meinen Scham ganz ungeniert ausführen kann.
Durch mein schnelles Eilen bin ich mächtig am Schnaufen und setzte mich erst mal aufs Sofa. Beschämt schließe ich meine aufgeregten Lieder und versuche meine verwirrten Gedanken zu ordnen:

Was war das denn bitte? Und was machte dieser Typ an meinem Strand? Natürlich verirrt sich niemand da hin. DESWEGEN BIN ICH JA DORT! Ein halbes Jahr lang hatte ich ihn für mich allein und jetzt ...jetzt kommt ER! 

Obwohl er ganz freundlich wirkte, ist es am besten ich verdränge diese peinliche Situation ganz schnell. In ein paar Tagen kann ich mich hoffentlich nicht mehr an diesen Typ erinnern.

Doch vergebens....

Egal wie sehr ich mich anstrenge, dieser Typ möchte mir die nächsten Tage einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Immer wieder spuken seine karamellbraunen Augen in meinem Kopf herum, und denken gar nicht daran, wieder zu verschwinden. Nein, sie klammern sich schadenfroh in mein Gehirn fest und sichern sich direkt die besten Plätze. Ich weiß auch nicht, was mich veranlasst, den ganzen Tag über meine Gedanken an einen Jungen zu verschwenden. Es ist absurd, dass mein Kopf freiwillig an eine männliche Kreatur denkt. Nein! Dieser Junge war keineswegs eine Kreatur. Er war bildhübsch. Aber andererseits ein Junge. Und Jungs und ich sind schon lange keine Freunde mehr!

Es ist...zum Haare ausreißen!

Grübelnd lehnte ich mich an dem kleinen Mosaiktisch auf meinem Balkon an, der mir die direkte Sicht, auf Meer verschafft. Der Wind bläst mir ein paar Strähnen, die unordentlich aus meinem Dutt hängen, ins nachdenkliche Gesicht. Mein Blick ist auf die hohen Wellen vor mir gerichtet. So weit weg vom Meer. Und doch irgendwie so nah... 

Zwei Tage lang habe ich es ausgehalten, meinen Zufluchtsort da unten zu meiden, aus Angst wieder auf IHN zu treffen. Aber ich fürchte, länger kann ich es nicht ertragen! Mir ist bewusst, dass ich, gerade in meinem Zustand, ein enormes Risiko eingehe. Schließlich könnte wieder alles in 1000 schmerzhafte Stücke zerfallen. Doch ich darf mich nicht länger von der Angst leiten lassen! Es ist, als wäre da ein Teil in meinem Herzen, der regelrecht danach schreit, es zu versuchen. 

Gesagt, getan! Einige Minuten später sitze ich an meiner alltäglichen Stelle, mit meinem Buch in der Hand, das ich heute wirklich vorhabe zu verschlingen. 

Es tut gut, wieder das kalte Wasser an meinen Fußspitzen zu spüren und mit den Händen durch den warmen Sand zu fahren. Es lässt mich förmlich Energie tanken. Meine Energie zum Leben sozusagen. Zufrieden darüber, dass ich mich nicht von diesem Jungen habe unterkriegen lassen, lächele ich den schaumigen Wellen entgegen. Diese Zufriedenheit dauert ganze drei Minuten an und dann erwische ich mich dabei, wie mein Herz schwer wird. Ich wage mich kaum folgenden Gedanken zu fassen, aber bin ich tatsächlich traurig darüber, dass dieser Typ heute nicht hier ist?

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Neues und vielleicht auch zu langes Kapitel, oder?...

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Baby don't hurt meWhere stories live. Discover now