38. Im Regen unserer Schuldgefühle

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Schmunzelnd sehe ich dabei zu, wie auch der mittlerweile eingetroffene Max sein letztes Stück Salamipizza genüsslich herunterschluckt. Scarlett hat begonnen von ihrem verrückten Auslandsjahr nach dem Abschluss zu erzählen und uns mit ihren lustigen Geschichten alle ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Nun ist sie in der Küche verschwunden, um die leeren Teller in die Spülmaschine zu räumen. Im Augenwinkel sehe ich Max seiner Freundin verliebt hinterherschauen.

„Du hast echt eine tolle Frau abbekommen", flüstere ich ehrlich. Max Augen leuchten auf, ehe er noch breiter zu grinsen beginnt. „Ich weiß", sagt er stolz. Auch ich beginne zufrieden zu schmunzeln.

„Lass sie nicht gehen." 

Max nickt ernst, was ich ihm zur Verdeutlichung prompt gleich tue. Dann erhebe ich mich vom bequemen Sofa. Ehe ich mich auf den Weg ins Schlafzimmer mache, rufe ihm noch zu: „Ich gebe euch mal ein wenig mehr Zweisamkeit..." Dabei zwinkere ich und wackele peinlich mit den Augenbrauen. Er verdreht nur die Augen, weshalb ich kurz auflache.

Im Schlafzimmer angekommen, schmeiße ich mich auf das flauschige Bett. Aufgrund störender Unebenheiten an meinen Rücken, muss ich jedoch nochmals aufstehen, um dann mit Verwundern mein Handy vorzufinden. Mein Handy!

Erstaunt darüber, dass ich es in den letzten 24 Stunden nicht einmal einen Blick würdigte, nehme ich es in die Hand. Mein unsicheres Passwort ist, nach dem Einschalten, schnell eingegeben und meine Finger gleiten nur so über den Bildschirm. Schlagartig beginnt das Gerät laute, frohe Töne zu trällern und mir Benachrichtigungen anzuzeigen, die ich gar nicht erst richtig nachvollziehen kann. Scheiße!

Nervös gehe ich zuerst auf die rot leuchtende Anruferliste. Ich überfliege die zwei verpassten Anrufe von Theresa, die für sie sogar untypisch wenig sind. Doch als ich Logans Name öfter als mir lieb ist aufblitzen sehe, muss ich hart schlucken. Mit zittrigen Fingern scrolle ich bis zum letzten Anruf von ihm, welcher nicht mal 20 Minuten her ist. Ich komme auf die unglaubliche Anzahl von 24 verpassten Anrufen Logans Seite und muss noch mehr Kraft aufwenden den großen Klos in meinen Hals herunterzuschlucken. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Mein Herz hämmert wild gegen meine schmerzende Brust, als ich mit zitternden Fingern auf den berühmten Messenger WhatsApp klicke und mir direkt 102 Nachrichten ins Gesicht springen. 6 kann ich Theresa zuordnen, wobei zwei davon Fotos sind. 89 davon gehören jedoch zu Logan. Die anderen sind nur lästige Spamnachrichten unserer Kursgruppen der Schule. Als ich leicht ängstlich die ersten Nachrichten von Logan durchlese, fühlt es sich an, als würde sich ein scharfes Messer quer durch mein Herz rammen.

《Hey, Lara, was soll das?》

《Wo bist du?》

《Was habe ich falsch gemacht?》

《Ruf mich bitte zurück》

《Ist das etwa dein Ernst???》

《Du kannst doch nicht einfach gehen!》

《Ich komme dich jetzt suchen!》

《Ich kann nicht fassen, dass du gerade wirklich abgehauen bist!》

《Ich bin so wütend!》

《Was denkst du dir eigentlich?》

《Ganz ehrlich, was ist dein Problem?》

《Kannst du mich bitte mal zurückrufen???》

《Du bist so scheiße!》

《Mann!》

《Wieso?》

《Fuck 》

《Bitte...》

《Bitte, gehe nicht einfach so.》

《War unsere Zeit denn so schlimm miteinander?》

《Wenn ja, hättest du mir das auch einfach sagen können!》

《Es ist so respektlos von dir, dass du nicht mal ein Lebenszeichen von dir gibst.》

《Ehrlich Lara, ich weiß nicht, was ich falsch gemacht haben könnte, aber wenn du es mir gesagt hättest, hätte ich es vielleicht wiedergutmachen können.》

《Ich mache mir große Sorgen.》

《Ich weiß nicht, wieso ich dich nicht aufgeben kann.》

Die nächsten Nachrichten überfliege ich nur flüchtig. Meine Gedanken spielen verrückt und mein Herz klopft so stark, sodass ich mich gar nicht richtig aufs Lesen konzentrieren kann. Stattdessen entschließe ich mich dazu, auf meine Mailbox zu gehen. 4 Nachrichten werden mir angezeigt. Meine Schuldgefühle werden von Sekunde zu Sekunde schwerwiegender. Wenigstens kann ich mich dazu zwingen nur die letzte seiner Nachrichten anzuhören, da ich mir schon förmlich vorstellen kann, was für schreckliche Schimpfwörter er in den ersten für mich erfand.

Schweratmend halte ich leicht zittrig mein kaltes Handy an mein linkes Ohr und knabbere ungeduldig auf meinen Nägeln herum. Als ich seine unerwartet ruhige Stimme höre, setzt mein Herz kurz aus.

《Okay Lara, vermutlich wird das nun meine letzte Nachricht an dich sein, da ich bereits im Auto sitze. Aber ich hab's verstanden, okay? Du reagierst weder auf meine Nachrichten noch auf meine Anrufe, was nicht gerade zu meiner Beruhigung beiträgt. Ich hab offensichtlich etwas verdammt, verdammt falsch gemacht und du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Selbstvorwürfe ich mir in den letzten Stunden zugesteckt habe. Es tut mir so sehr leid und ich könnte dir noch so viele Gründe sagen, warum das so ist, nur leider habe ich erfahrungsgemäß nur noch wenig Zeit übrig, bis die Mailbox voll ist...Also: Lara, du kannst mich doch nicht einfach so verlassen! Ich brauche dich und, wenn du mich einfach so zurücklässt, fühlt es sich ehrlich gesagt echt scheiße an. Ich kann dich einfach nicht loslassen. Und, wenn du das hier aus irgendeinem Grund doch abhören solltest, lass mich bitte nicht im Regen meiner Schuldgefühle stehen und rufe mich zurück. Okay? Es würde mir auch reichen, wenn du mir einfach nur schreibst, aber bitte gib mir ein Lebenszeichen von dir. Melde dich einfach auf irgendeine Weise...》

Mit gerunzelter Stirn und feuchten Augen entferne ich ganz langsam das Handy von meinem Ohr. Meine Haut beginnt schrecklich zu glühen und meine Gedanken spielen verrückt. Ich fühle mich, als würden eine Millionen Steine mein Herz schwer nach unten drücken und ich mit jedem geschwächten Herzschlag vielleicht nicht mehr die Kraft zum Leben hätte.

Unwillkürlich muss ich an diesen letzten Abend denken. Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, wie schrecklich egoistisch ich mich verhalten habe. Ich hatte so einen großen Schock erlitten, dass ich gar nicht richtig bei Sinnen war. Mein Kopf hatte gebrummt und gedrückt. Es war mir gar nicht möglich, klare Gedanken zuzulassen. Ich bin einfach so weggerannt...Oh Gott!

Mein Hals wird plötzlich ganz trocken.

Ganz egal, was Logan tatsächlich für Absichten mit mir hatte, war es unglaublich kindisch und respektlos, in so zurückzulassen. Ja, und ich habe ihn sogar noch beschimpft! Fuck! Zutiefst beschämt, vergrabe ich die Hände in meinen braunen Haaren. Ich bin ein schrecklicher Mensch.

Noch total erdrückt von den ganzen Schuldgefühlen, die schlagartig auf mich hineinströmen und mich wie ein Blitzschlag mitten ins Herz treffen, schellt mein Kopf ruckartig Richtung Tür. Keine geringe als Scarlett steht davor. Ihre Schultern samt ihrer Arme hängen schlaff an ihrem Körper herunter. Ihr Gesicht ist in tiefe Falten gelegt und ihr Mund hat sich zu einem dicken Strich verzogen. Doch ihre Augen sprechen mich unerwartet direkt an. Sie spiegeln pure Verzweiflung und Mitleid wider. 

Als sie mein verheultes Gesicht erblickt, das übersät mit Haarsträhnen, die an der salzigen Tränenflüssigkeit festkleben, ist, ändert sich etwas in ihrem Gesichtsausdruck. 

Ich...", sie bricht ab, um wieder von vorne zu beginnen, doch diesmal mit viel direkter und messerscharfer Stimme. „Er ist da."

„W-wer?", flüstere ich verwirrt, mit dem Hauch von Stimme, den ich noch aufzwingen kann.

„Logan."

Baby don't hurt meWhere stories live. Discover now