35. Königin der Ozeane

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"Bist du fertig?", erkundige ich mich bei Scarlett, da ich es schon gar nicht mehr aushalte, länger vom Meer getrennt zu sein. Nach dem Frühstück, das wirklich unglaublich kostete, fragte sie mich begeistert, ob wir später an den Strand gehen wollen. Ich schätze mal, ihr müssen meine sehnsüchtigen Blicke ins glitzernde Meer aufgefallen sein...

"Gib mir noch zwei Minuten, ich habe hier ein kleines Klamottenproblem. Code...Orange würde ich sagen." Verwirrt luge ich in das Zimmer hinein, in dem sich sämtliche Klamotten und Badebekleidung über dem gesamten Boden verteilen. "Weißt du was?", sie schmeißt auch den nächsten Bikini einfach weg und widmet sich jetzt einem rosafarbigen Badeanzug, "Geh einfach schon mal vor. Ich bin dann gleich unten."

Da ich keine Zeit verschwenden will, indem ich mir ihren 'Code Orange' antue, willige ich schmunzelnd ein und mache mich auf den Weg. Meine Flip-Flops machen beim Hinuntersteigen einiger Treppenstufen laute Geräusche, während die große Tasche auf meiner Schulter schmerzt. Jedoch zählt für mich im Moment nur das Meeresrauschen, das ich vereinzelnd wahrnehmen kann, und mich alles vergessen lässt. 

Nachdem ich die schwere Terrassentür aufstoße, zaubert sich sogleich ein zufriedenes Lächeln in mein Gesicht. Ich atme die salzige Luft tief ein, zähle bis 10 und fühle mich plötzlich wie neugeboren.

Hastig will ich in den goldenen Sand springen, als ich im Augenwinkel etwas Interessantes entdecke. Ich zögere. Zwischen dem kleinen Boot und der Wand des Hauses steckt eingeklemmt etwas Türkisfarbenes - etwas Großes. Neugierig laufe ich hinüber und sehe mir das mysteriöse Stück genauer an.

"Das hat mal meiner Mom gehört. Sie ist hier manchmal mit mir surfen gegangen", ertönt unerwartet Scarlettes Stimme, die ,obwohl sie so sanft wie immer klingt, mich unglaublich erschreckt. "Sorry, wollt' dich nicht erschrecken", piepst sie lächelnd und nimmt mich auf den Schock kurz in den Arm. Das knifflige Code Orange-Klamottenproblem muss sie wohl doch gelöst haben, denn ein schlichter Bikini umschlingt nun ihre schöne Modelfigur.

"Kannst du surfen?", fragt sie, während sie das verstaubte Board herausfischt und gleich noch ein zweites hinterher. Kleinlaut und noch leicht verwirrt höre ich mich "Ja" sagen.

"Klasse! Los, wer als Erste im Wasser ist!", schreit sie daraufhin und rennt über den schweren goldenen Sand einfach hinfort.

"Was?", frage ich perplex, doch das hört sie gar nicht mehr. Was ist denn jetzt los? Sie dreht sich nochmal um, streckt mir die Zunge heraus und rennt weiter auf das türkisfarbene Meer zu. Die hat doch einen Knall...

Kopfschüttelnd starre ich das Surfboard an. Als Kind liebte ich es surfen zu gehen, aber... jetzt? Eine Sekunde zögere ich. Sollte ich...sollte ich das wirklich...?

Zweifel und Schuldgefühle überkommen mich auf einmal. Ich fühle mich, als hätte ich es gar nicht verdient, Spaß zu haben. Als wäre es mir nur erlaubt, mich wieder in den Schlaf weinen.

Dieses Gefühl kenne ich schmerzlich gut.  Früher hatte ich nie dagegen angekämpft, aber heute...heute fühlt es sich anders an. Irgendetwas in mir sagt mir, dass ich nicht mehr in dem Meer meiner Tränen ertrinken muss. Irgendetwas sagt mir, dass ich diesen Schmerz dieses Mal vielleicht sogar überleben könnte. Ich muss nicht ertrinken. Vielleicht muss ich einfach nur lernen, die Wellen zu reiten?

Entschlossen nicke ich, schnappe ich mir das Board und renne, als ginge es um mein Leben. Meine Füße tragen mich Meter für Meter über den knirschenden Sand, bis zum Wasser, welches hohe Wellen schlägt und meine Fußspitzen nass werden lässt. Ich atme tief durch, beobachte etwas die Wellen, bis ich auch die letzten Zweifel ablege und im wahrsten Sinne des Wortes ins kalte Wasser springe.
Zunächst spritzt das salzige Wasser kalt auf meine Haut, die sich mit einer Gänsehaut zu helfen versucht, doch dann gewöhnt sich mein Körper allmählich daran.

Baby don't hurt meWhere stories live. Discover now