16. Von der wahren Liebe und Pralinen

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Der Film ist sowohl einer der lustigsten und traurigsten, die ich je gesehen habe. Schon seit 20 Minuten flimmert nichts mehr über die große Leinwand, weshalb die meisten Autos schon nach Hause gefahren sind. Nur Logan und ich sind geblieben. 

Sobald auch die Neonlichter der Anlage erloschen sind, nehmen wir auf seiner Motorhaube Platz, während ich noch an meiner Sprite schlürfe und hoffe, dass dessen Kälte mir nicht die Zähne zu Eiszapfen gefrieren lässt. Andererseits wäre die Kälte ein guter Kontrast zu der heutigen hitzigen Nacht...

"Der Film war toll, aber mir hat die Situation am Anfang nicht gefallen. Dieser Typ hat sie doch nur wegen ihrer Beliebtheit geliebt", steuert Logan zu unserer nachträglichen Evaluation des Films bei. "Ja, aber letztlich ist er ja mit Eva zusammen gekommen. Sie war von Anfang an seine wahre Liebe!", schwärme ich und nehme nochmals einen kräftigen Schluck meines kalten Getränks.

„Ja, stimmt, seine wahre Liebe."

Lange Zeit sagt Logan nichts mehr. Erst nachdem er sich nervös am Nacken gekratzt hat, fragt er unsicher: "Sag mal, glaubst du an so etwas?" Sein wunderschönes Gesicht ist nun zu mir gedreht und seine Augen leuchten genauso hell, wie die Scheinwerfer des Autos.

Verwirrung macht sich in mir breit: "Was genau meinst du?"

"Na, glaubst du an die wahre Liebe? Bedingungslos? Auf den ersten Blick und bis zum Tod?" Neugierig starrt er mich an, als ich mir überrascht auf die Zunge beiße. Glaube ich an die wahre Liebe?

Früher, bevor mein Leben im Chaos versank, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als eines Tages, wie in den vielen Disney-Filmen, mit Prinz Charming in den Sonnenuntergang zu reiten. Ich schätze, ich habe naiverweise die Existenz von wahrer Liebe nie angezweifelt. Und selbst Tristan, der all meine Träume und Sehnsüchte innerhalb einer einzigen Sekunde in 1000 Teile zerspringen ließ, gelangt es nicht, meinen Glauben an die wahre Liebe zu vergiften. Selbst nach Jahren der Erschöpfung, Erniedrigung und des seelischen Verfalls, habe ich nie einen Gedanken daran verschwendet, dass ich nicht auch das haben könnte, das meine Eltern hatten. Die gleichen liebevollen Blicke und die gleiche lebenslange Loyalität. 

Dabei war mir innerlich immer bewusst, dass der Traum von einer normalen Liebe für mich unmöglich sei. Mir war bewusst, dass ich nie so lieben könnte, wie jemand anderes es verdient hätte. Doch wenn ich mir das ehrlich eingestehe, wollte ich nie aufhören, davon zu träumen. Es besänftigte mich. Es war ein Lichtblick in der wohl dunkelsten Zeit meines Lebens.

"Ja, ich schätze schon", gebe ich unsicher zu, „Ich glaube, die Vorstellung, dass eine Person dich mit allem, was er oder sie hat, liebt, ist unglaublich schön. Das Gefühl, dass man nie mehr alleine ist. Dass man Ruhe und Frieden im Herzen einer anderen Person gefunden hat. Dass sich zwei unvollkommene Seelen zu einer unzerstörbaren Vollkommenheit ergänzen. Irgendwie...irgendwie beruhigt mich das."

Mein Herz klopft stark, als ich in Logans faszinierten Augen starre. Dabei weiß ich nicht so recht, ob mir meine Ehrlichkeit peinlich sein sollte, oder ob ich genau in Logans Herz gesprochen habe.

„Und...du denkst du wirst diese Liebe finden?" Augenblicklich bildet sich ein großer Kloß in meiner Kehle, denn ich nur bedingt zu schlucken schaffe. Jedoch ermahne ich mich den Blick zu heben und meine unverblümte Gedankenwelt mit Logan zu teilen.

„Um ehrlich zu sein, denke ich oft an das, was Forest Gump in diesem Film gesagt hat: 'Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Du weißt nie, was dich erwartet.' " Logan nickt wissend. „Ich weiß nicht, ob in meiner Pralinenschachtel eine gleiche Praline wie mich enthalten ist. Jemand, der mich all den Anderen vorzieht und mich tatsächlich bis zum Tod liebt. Aber vielleicht ja schon." Tapfer versuche ich zu lächeln. Vielleicht habe ich meine Praline aber auch schon längst gefunden...

Nach kurzer Zeit gebe ich unsicher von mir: „Ich...ich hoffe das war jetzt nicht zu viel für dich. Normalerweise bin ich nicht so offen und kitschig..." 

Logan schüttelt heftig mit dem Kopf. „Nein, nein. Das war echt...schön. Danke, für deine Ehrlichkeit."

Unter seinem aufrichtigen Blick färben sich meine Wangen unwillkürlich rot, sodass ich verlegen wegschaue. Um die Aufmerksamkeit aber von meiner Wenigkeit abzulenken, frage ich dann: "Was ist mit dir? Glaubst du daran?"

Überrascht hebt er seine Augenbraue. "Ehrlich gesagt...keine Ahnung! Ich bin jung. Ich muss erst noch herausfinden, in welche Pralinenschachtel ich überhaupt gesteckt wurde. Bis jetzt weiß ich noch nicht mal, was ich für eine Praline bin." Er wirkt, während er wild mit seinen großen Händen gestikuliert, ein wenig überfordert. Verständlich. Wer ist bei so einer großen Frage nicht überfordert?

Und dennoch kann ich nicht verhindern, dass ich plötzlich leicht enttäuscht bin. Ein kleiner Teil von mir hätte gehofft, dass jemand wie Logan genau weiß, was er von der Liebe hält. Ein kleiner verkorkster Teil in mir hätte sich sogar gewünscht, dass er einen schnulzigen Text herunter rattert und am Schluss begreift, dass ich seine Praline bin. Und dann hätte er mich geküsst. Es wäre ein leidenschaftlicher und aufrichtiger erster richtiger Kuss eines verdorbenen Teenager-Mädchens gewesen. Oh Gott, reiß dich zusammen, Lara!

„Du wirst sicher deinen Weg finden, Logan.", flüstere ich und schaue nachdenklich zum leuchtenden Mond.

„Du auch", höre ich ihn hauchen, als er unerwartet seine warme Hand auf meine legt. Diese winzig kleine Berührung führt dazu, dass sich meine Nackenhaare aufstellen. Mit rasendem Herzen blicke ich in das vom Mondlicht erhellte Gesicht Logans. Ein sanftes Schmunzeln leuchtet mich an. Ich wünschte, ich könnte diesen Moment für immer festhalten.

Doch genau in diesem Moment schrecke ich auf, als mein Handy auf einmal laute Geräusche von sich gibt. Sowohl Logan und ich sehen uns überrascht an, als wären wir beide in die Realität zurückgekehrt. Während ich mein Handy aus meiner Hosentasche fische, nimmt Logan seine schützende Hand von meiner. Eine augenblickliche Kälte durchfährt mich, weshalb ich kurz zögere. Und durch dieses Zögern erlischt der laute Anruf. Verunsichert entsperre ich mein Handy und sehe folgende Mitteilungen:  Zwei verpasste Anrufe und vier Nachrichten von Theresa, in denen sie mir mitteilt, dass ich um 23 Uhr spätestens wieder zu Hause sein soll.  

Da ich jegliches Zeitgefühl verloren habe, schaue ich panisch auf die Uhr. 22:52

Scheiße, ich bin am Arsch!

Baby don't hurt meWhere stories live. Discover now