21. Das Komplizierte

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Rachel lächelt gespielt belustigt auf, doch ich kann genau sehen, dass auch sie angespannt ist. Eher gequält versucht sie die vergangene Stimmung wieder zurückzuholen. "Hehe. D...das..ist doch...gar...nicht wahr, Logan." Dabei stupst sie Logan, der nun wütend ins Leere sieht, an. Irritiert blicke ich zu ihm und seiner nervös lächelnden Mutter hin und her. Dabei versuche ich mir zusammenzureimen, was gerade vor sich geht.

Einige Sekunden ist es so ruhig, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Allerdings weiß ich nicht, ob ich diejenige sein sollte, die diese Stille durchbricht. Ich kaue auf meiner Unterlippe herum, sehe mir noch mal das Foto an, versuche aber nicht von Logans Niedlichkeit als Baby abgelenkt zu werden.  Schließlich blicke ich dann die große Uhr an der Wand an. Laut gibt sie fröhlich tickende Geräusche von sich gibt. Tick, Tack, Tick, Tack,...

Mit einem Mal erhebt sich Logan mit einem polternden Geräusch und sieht nicht mich, sondern seine Mutter mit einem höchst vernichtenden Schimmern an. Seine Hände sind zu Fäusten geballt und ich bin mir sicher, dass er gleich explodiert, wie ein tropischer Vulkan. Obwohl ich keine Angst vor Logan habe, muss ich zugeben, dass dieses bedrohliche Funkeln, als würde er am liebsten auf etwas einschlagen, mich nicht gerade wohlfühlen lässt.

"Mom,...", seine Stimme hat eine beachtliche Tiefe angenommen. Sie ist unerwartet ruhig, aber man kann in diesem verachtenden Unterton ganz genau erkennen, dass er alles andere als ruhig ist. "Komm mir jetzt nicht mit Bens..." Gerade will er noch mal ansetzten, als seine Mutter plötzlich hektisch aufspringt und ihr Besteck klirrend auf dem Parkett zum Stehen kommt.

"Nein!", schreit sie aufgebracht, sodass selbst Logan etwas überrascht aus der Wäsche guckt. "Das ist nicht richtig so." Dabei schielt sie unauffällig zu mir, woraufhin ich ganz genau weiß, dass ich dieses Gespräch nicht mit anhören sollte. Auch Logans Augen treffen mich nach Rachels Hinweis und durchbohren mich mit einer undefinierbaren Note. Es ist, als müsse Logan mit sich selbst ringen, bis er letztlich eine Entscheidung trifft. Seine Glieder entspannen sich und auch seine Gesichtszüge werden weicher, bis ich schließlich wieder diesen liebevollen Blick auf mir spüre, den ich von ihm gewohnt bin. Es ist, als würde sich ein Schalter bei ihm umlegen und nun ist er einfach wieder Logan. Somit entspanne auch ich mich. 

"Du hast recht", murmelt Logan leise, wodurch Rachel einem erleichterten Seufzer entflieht. "Wir sollten jetzt gehen." Ich kann gar nicht so schnell schauen, da ist Logan schon aus dem Wohnzimmer verschwunden und im Inbegriff, das Haus und damit seine Mutter hinter sich zu lassen. Er scheut jegliche Mühe einer Verabschiedung und verschwindet einfach nach draußen.

Verdutzt sehen sowohl Rachel als auch ich die zugeschlossene Tür an. Dabei kann ich nicht fassen, was aus diesem Kennenlernen geworden ist. Ich kann nicht fassen, dass er vor seiner Vergangenheit geflohen ist. Obwohl ich es ihm eigentlich nicht mal übel nehmen dürfte, denn genau das Gleiche tat ich schon unzählige Male...

Nachdem ich mich gezwungenermaßen von Rachel, verabschiede, trete ich auch hinaus. Der kalte Wind lässt mich erzittern. Einige Meter entfernt nehme ich Logan mit gesenktem Blick wahr.

"Logan!", rufe ich verzweifelt, was zur Folge hat, dass er sich umdreht und zum Stehen kommt. Ich komme ein paar Schritte näher und stehe nun unmittelbar vor ihm. "Was war das gerade? Warum bist du plötzlich weggerannt?"

"Es tut mir leid, dass ich dich stehen gelassen habe. Ich musste einfach da raus." Er sieht mich enttäuscht an und fügt hinzu: "Ich konnte meiner Mutter nicht länger ins Gesicht sehen."

"Warum?", rutscht es mir sofort mit wenig Verständnis heraus.

Seine Hände zieht er schnell und locker in die Hosentaschen und schaut kurz nach unten, bis er mir wieder mit einem undefinierbaren Blick in die Augen sieht. "Weil...", er stoppt, zieht seine Hände wieder aus den Taschen und redet weiter, "Weil... Weil eben. Es ist kompliziert, Lara."

Mit dieser Antwort kann ich mich nicht zufriedengeben und hake weiter nach: "Was ist kompliziert?"

"Das würdest du nicht verstehen...", murmelt er unverständlich. Dann läuft er wieder weg. Das ist doch gerade nicht sein Ernst?!

"Hey!", schreie ich lautstark, "Dann erkläre es mir doch!"
Ratlos müssen meine Augen wieder mit ansehen, wie er weiter läuft. Jedoch lasse ich mich nicht so schnell aufhalten und sprinte, so gut es mir gelingt, hinterher.

"Bitte lass mich, Lara. Ich möchte jetzt alleine sein", höre ich schwach neben mir.

"Nein!", sage ich barsch, "Ich bin mir sicher, dass du das vorher klären wolltest. Aber jetzt rennst du vor deinen Problemen weg."

"Ich habe keine Probleme. Und ich renne ganz bestimmt nicht vor ihnen weg!", lacht Logan unverständlich, wobei ich fast schon wieder den Verdacht habe, dass er sauer wird. Allerdings ist mir das kurzzeitig egal, denn ich kann das nicht einfach so stehen lassen. Mein Herz brennt dafür, „Das Komplizierte" kennenzulernen, um nicht mehr im Unverstand leben zu müssen.

"Doch das tust du. Also lass mich dir helfen, ich höre dir gerne zu." So selbstbewusst wie möglich baue ich mich vor ihm auf. Für einen Bruchteil einer Sekunde wage ich zu beobachten, wie er sich anspannt und mit aller Kraft versucht zu verhindern, wie eine Zeitbombe zu explodieren. Jedoch schiebt er mich dann zur Seite, ehe sich seine Schritte beschleunigen und er schon wieder davonflüchten will.

"Rede mit mir!", schreie ich mit erhitzter Stimme und ziehe meine Jacke aufgrund des anhaltenden Windes fester an meinen Körper. Obwohl ich die Hoffnung schon beinahe aufgebe, dreht Logan sich dann doch um. Diesmal spüre ich förmlich seinen Schmerz. Er liegt in seinem Gesichtsausdruck - wie er die Augen für einen Moment geschafft schließt und seine Arme aufgebracht in die Luft wirft. Es ist ein unvermeidlicher Schmerz, den er mir dann mit lauter Stimme entgegen brüllt: "Ich bin adoptiert, verdammt!"

Baby don't hurt meWhere stories live. Discover now