10. Bereit?

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Kurz nach 19 Uhr tapse ich nervös die Treppe ins Erdgeschoss herunter. Jetzt kommt wohl der kniffligste Teil. Nämlich der Ich-erzähle-Theresa-von-Jungs-Teil. Na dann mal los...

Theresa sitzt in ihrem Arbeitszimmer auf einem schwarzen Stuhl über einem Haufen Papierkram, der neben ihrem großen Laptop verweilt. Obwohl ich das eigentlich gar nicht für nicht nötig halte, klopfe ich instinktiv an die hölzerne Tür, die sowieso schon offen steht. Ruckartig fährt ihr rundliches Gesicht in meine Richtung und ihre Gesichtszüge werden weich. Auch, wenn sie hauptsächlich von zu Hause aus arbeitet, trägt sie stets eine weiße Bluse unter einem bunten Blazer.

"Was gibt es, Lara?", fragt sie freundlich und deutet auf den Stuhl auf der anderen Seite des Glasschreibtisches. Um wenigstens ein klein wenig Zeit zu schinden, lasse ich meinen Blick über das geräumige Zimmer schweifen, in dem ich mich, meiner Berechnung nach, erst drei Mal befunden habe. Zu meiner Rechten befindet sich ein großes Fenster. Ein paar Leinwände mit teurer moderner Kunst schmücken die großen weißen Wände. Doch plötzlich fällt mir ein kleiner Bilderrahmen ins Auge. Er steht klein, aber fein auf ihrem Schreibtisch und zeigt ein Foto. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es bei meiner Ankunft ein Foto von Theresa mit meiner Mutter abbildete. Damals erzählte sie mir, dass dort nur ein Bild von ihren Lieblingsmenschen Platz haben dürfe. Doch, wenn ich das Bild nun betrachte, verformt sich mein Mund gerührt zu einem Lächeln. Auf dem kleinen Foto ist niemand anderes als ich zu sehen. ICH! LARA Jenkins! Wie ich frech die Zunge heraustrecke und der Kamera entgegenlächele, die mich in dieser Spontanaufnahme ertappt hat.

"Lara?", erkundigt sich meine Tante nach einer Weile, in der ich einfach gerührt dieses Foto ansehe, in dem ich keine Spur von Trauer zeige. Es sieht fast so aus, als wäre ich ein ganz normales, glückliches und vielleicht sogar auch hübsches Mädchen.

"Eh...", rasch beschließe ich mich wieder zu fangen, "es ist so, dass...eh...Also ein alter Freund aus San Francisco hat mich heute Abend zu sich eingeladen."

Zögerlich mustert sie mich etwas unglaubwürdig und legt langsam ihren knallgelben Kugelschreiber auf ihrem Papierkram ab. "Ein alter Freund? Bist du dir sicher, dass du alleine dort hin möchtest, Herzchen?", ihre Lippen verformen sich zu einem undefinierbaren Strich, an dem ich wenig Emotionen ablesen kann.

Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem ich sie darüber aufkläre, dass ich in keinster Weise mit Mason alleine wäre (auch wenn mir das sogar lieber wäre) und das Ganze eher eine Art Versammlung pubertierender Teenager sein wird - oder auch Party genannt.

"Ja. Ich vertraue ihm...irgendwie. Wir haben uns zwar lange nicht mehr gesehen, aber früher waren wir sehr gute Freunde", erkläre ich, in der Hoffnung einfach ein schlichtes 'Okay' von ihr zu hören.

"Wenn ihr euch lange nicht mehr gesehen habt, bezweifle ich doch stark, dass du ihm 100-Prozentig vertrauen kannst. Menschen können sich schneller ändern, als man glaubt. Ich habe dabei kein gutes Gefühl." Na toll, wie würde sie dann reagieren, wenn ich ihr prophezeie, dass ich morgen ein Date mit einem praktisch 'Fremden' habe?

"Ich weiß, dass ich ihm wirklich vertrauen kann, Theresa. Und außerdem kann die Möglichkeit bestehen, dass da noch...also ich meine es kann ja sein, dass da...noch andere aus meiner Schule sind."

Augenblicklich weiten sich ihre Augen und eine leicht schockierte Stimme kommt zum Vorschein: "Also eine Party?"Jap, genau das!

"Na ja. So würde ich das nicht bezeichnen. Es ist lediglich ei...", und prompt werde ich unterbrochen. "Lara, bei allem Respekt. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich auf eine Party lasse? Du weißt, was bei solchen Zusammenkünften alles passieren kann", demonstrativ schüttelt sie ihren Kopf und greift nach der vor ihr liegenden Lesebrille, die nun auf ihrer Nase Platz nimmt.

"Aber, Theresa. Du weißt, dass ich mich nicht in Gefahr bringen würde. Außerdem kann das doch nicht ewig so weitergehen, oder?", protestiere ich mit aufgebrachter Stimme.

"Du hast recht. Ich weiß, dass du dich anständig verhältst, aber im Gruppenzwang tut man manchmal Dinge, die nicht zu einem passen. Außerdem kann ich dir nicht folgen, warum du plötzlich Interesse an Partys hast." Dabei spricht sie "Partys" so aus, als wäre es ein Schimpfwort.

"Ich sagte doch schon, ein alter Freund hat mich gefragt. Ich habe mich gefreut, weil wir lange nicht mehr etwas unternommen haben. Er war total begeistert, als ich zusagte. Ich kann ihn doch jetzt nicht im Stich lassen!"

Eine grübelnde Stirnfalte taucht auf ihrer Stirn auf und ihre Unterlippe wird zögernd mit ihren Vorderzähnen zerbissen. "Ich weiß nicht, Lara. Natürlich wäre es nicht lobenswert, wenn du dein Wort brechen würdest, aber du hättest vorher um mein Einverständnis bitten müssen."

"Aber ich habe mich noch nie schlecht verhalten. Und ich habe dich auch noch nie um so etwas gebeten. Bitte, Theresa! Es wäre nicht fair, wenn ich ihn versetzten würde. Ich verspreche dir auch, dass ich mich weder betrinke noch sonst irgendetwas tue. Du kannst mir vertrauen. Es geht mir lediglich um seine Freundschaft, die ich heute vielleicht wiederherstellen könnte."

Mit ihren großen Augen sieht sie leicht mitleidig durch ihre rundliche Brille auf mich hinab. Mit meinem vornehmsten und süßesten Lächeln, das ich auf dem Kasten habe, sehe ich sie an, bis sie nach fünf Sekunden ein unentschlossenes Nicken zustande bringt. "In Ordnung." Allerdings fügt sie noch warnend hinzu: "Aber um spätestens 11 Uhr bist du wieder da!"

Überglücklich springe ich wie ein kleines Kind auf. "Danke, Danke, Danke!" Mit einem fetten Grinsen im Gesicht umarme ich meine Tante und ich merke, wie auch sie leicht zu lächeln beginnt.

-

Später um kurz vor 20 Uhr sitze ich hibbelig mit meinem Senf-farbigen Kleid auf der polar-farbigen Couch und warte sehnsüchtig auf das Klingeln an der Tür. Jedoch schließe ich nach einer 10-minütigen Verspätung, dass er seine Unpünktlichkeit wohl immer noch nicht abgelegt hat. Allerdings schellt es genau dann an der Tür. Wie von einer Tarantel gestochen, ziehe ich meine kleine Tasche an mich und haste in Richtung Tür. Diese wird kurz darauf schwungvoll von mir aufgerissen und ein grinsender Mason erscheint in meinem Blickfeld.

"Bereit?"

***
Kurze Info: Auf vielen Bilder, die unteranderem noch folgen werden, hat Lara blonde Haare, obwohl sie in der Geschichte als braun beschrieben werden. Das liegt daran, dass ich im Internet viele passende Bilder gefunden habe, wo sie jedoch zu dem Zeitpunkt noch blonde Haare besaß. Also nicht wundern...

Baby don't hurt meWhere stories live. Discover now