Lesenacht Teil 3

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Luxe

Ich wandte meinen Blick von Luke ab und blickte zu der Stimme hinüber. Während der andere geredet hatte, hatte sich die Tür geöffnet und der Referendar war mit neuen Unterlagen hereingekommen. Natürlich hatte ich ihn schon davor bemerkt, ich war schließlich nicht in meiner eigenen Welt gefangen.

Luke schon. Luke, der gerade heftig zusammenzuckte und zu dem Referendar herum fuhr.

„Ähm, das... das kann ich erklären", stotterte er leise vor sich hin.

Seine Freunde schlichen derweil leise zurück auf ihre Plätze, anscheinend unbemerkt von dem Typen da vorne. Der wiederum hatte nur Augen für Luke, der unter dem überraschend strengen Blick zu schrumpfen begann. Ich selbst musste mir ein schadenfrohes Grinsen verkneifen. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass jetzt gleich die Standpauke des Jahres folgen würde.

„Ich denke, diese Situation muss nicht erklärt werden. Ich sage jetzt, wie das für mich aussah und dann werdet ihr mir sagen, ob das stimmt. Meiner Meinung nach warst du wegen eurer Prügelei auf dem Schulhof sauer und wolltest dich hier an ihm rächen. Stimmt's oder habe ich recht?", wollte der Referendar, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, schlussendlich wissen.

„Stimmt. Tut mir leid."

Dann schlich er auf seinen Platz zurück, während der Typ ihn mit Blicken zu erdolchen versuchte. Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie wirkten beide vertraut. Luke gab sonst nicht so schnell nach, besonders Referendaren machte er gerne das Leben schwer.

Aus einem plötzlichen Impuls heraus hob ich meine Hand. Mit einem Nicken nahm er mich dran.

„Es tut mir leid, aber könnten Sie ihren Namen noch einmal wiederholen? Ich erinnere mich leider nicht mehr daran."

Wieder seufzte der Referendar.

„Ich bin Alex Atems."

Atems? Überrascht hob ich beide Augenbrauen. War es möglich, dass er und Luke Brüder waren? Während er mir Blätter gab musterte ich ihn genauer. Er sah tatsächlich etwas aus wie mein Feind Nummer eins. Und das Benehmen passte auch. Aber die beiden könnten auch Cousins sein. Jedenfalls passten sie vom Aussehen her zusammen.

„Die Unterlagen, die ich dir gegeben habe, behandeln das Thema eures Strafaufsatzes. Da sind unter anderem Folgen, Zeitungsberichte etc. zu finden. Viel Spaß damit."

Ach stimmt, da war ja etwas. Ein verdammter Aufsatz, etwas, was meine schadenfrohe Laune sofort dämpfte. Aber ich konnte mir vorstellen, dass er es nur gut mit den Unterlagen meinte. Es würde mir zumindest einen Teil der Recherche vereinfachen. Und ich konnte jetzt schon damit beginnen.

Also, um das Thema schnell hinter mich zu bringen, begann ich zu lesen. Sieben Seiten, alle mit demselben Inhalt. Und nichts, was ich nicht schon wusste. Auf der letzten Seite fiel mir dann ein Bericht ins Auge, der mich schmunzeln ließ.

Zehntklässler verteidigt sich gegen Schüler der Abschlussklasse

Der schönste Tag meines Lebens. Damals hatte ich den Idioten an meiner alten Schule ein für alle mal klargemacht, dass ich mich nicht von ihnen zum Opfer machen ließ. Es hatte zwar für mich nicht viel besser geendet als die Prügelei mit Luke, aber es hatte meinen Ruf an der Schule verbessert.

Die Schüler dort folgten schon seit Urzeiten dem Prinzip von töten oder getötet werden. Und ich hatte mich nun mal erfolgreich gegen die selbst erklärten Herrscher des Schulhofs gewehrt. Aber das war Vergangenheit. Und man sollte ja bekanntlich nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart leben.

Wenn ich jetzt so darüber nachdachte hatte ich die letzten Monate dort gelebt. In der Vergangenheit bei meinen Eltern, bei meinen schon längst verjährten Problemen. Es wurde Zeit, sich dem vergangenen zu stellen.

Das Klingeln der Schulglocke riss mich aus meinen überraschend philosophischen Gedanken. Ich hatte tatsächlich die gesamte Stunde über den Texten und meiner Vergangenheit gebrütet. Ich sollte echt überlegen, Philosoph zu werden. War ja auch irgendwie eine Art, die Menschen in der Umgebung zu verstehen.

Mit schmerzendem Rücken packte ich meine Sachen zusammen und verließ dann das Gebäude. Dabei zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und machte Musik an. Apropos Musik, nächste Woche stand eine Klausur an. Und ich hatte noch nicht gelernt. Eine Tatsache, die mich kurzzeitig von meinen anderen Sorgen ablenkte.

Aber da tat sich mir noch ein Problem auf. Wenn ich meinen etwas spontanen Plan bald nicht durchsetzte, dann würde ich ihn nie durchziehen. Aber wie?

Ein Kompromiss musste her. Während ich den Bus betrat, der gerade eben gehalten hatte, zerbrach ich mir den Kopf darüber. Aber auch die Fahrt brachte nichts. Und der Weg, den ich dann zu dem Haus hinauf ging, war auch nicht viel aufschlussreicher.

Das einzige, was ich erreichte, war ein vollkommen erschöpftes Ich, welches einfach nur noch schlafen wollte. Aber ich musste lernen. Und meinen Plan vielleicht mit Rhyse diskutieren. Rhyse, der mir gerade nebenbei die Tür öffnete.

„Hi", begrüßte ich ihn simpel.

Rhyse lächelte mich kurz, dann schloss er die Tür hinter mir. Während ich die Treppe hoch in mein Zimmer ging, hörte ich Rhyse noch etwas hinter mir herrufen.

„Essen steht im Kühlschrank. Ich fahre zu meiner Oma, möchtest du später mit?"

Ich drehte mich herum und schüttelte den Kopf.

„Ich muss noch für eine Klausur lernen. Aber danke für das Angebot."

Dann setzte ich meinen Weg fort. In meinem Zimmer angekommen schleuderte ich meinen Rucksack neben meinen Schreibtisch und ließ mich auf den Stuhl fallen. Mein Blick legte sich auf die weiße Wand vor mir.

Sekundenlang starrte ich sie einfach nur an, dann blinzelte ich und bereitete mich mental auf die bevorstehenden Lernstunden vor. Schließlich ließ ich meinen Blick über den Lernzettel gleiten, den ich vor Urzeiten mal erstellt hatte.

Mit einem Seufzen suchte ich meine Unterlagen zusammen und sortierte sie in Stapel. Bald lagen drei hohe Stapel, aufgeteilt in Bücher, Blätter und Aufzeichnungen, vor mir. Genervt fuhr ich mir durch die Haare. Warum begann ich immer erst eine Woche vorher zu lernen?

Aber Vorwürfe brachten nichts, ich musste es ja trotzdem machen. Und Informationen für den Aufsatz musste ich auch noch sammeln, mit den Blättern konnte ich nicht viel Anfangen. Verdammter Mist aber auch.

*****
Der nächste Teil. Ich bin ganz stolz, dass ich das schon geschafft habe.

Over and Out, _Amnesia_Malum_


𝔻𝕖𝕤𝕡𝕖𝕣𝕒𝕥𝕖 𝕃𝕠𝕧𝕖Όπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα