Kapitel Acht, Alecia

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"Und wenn ihr irgendwo einen elfjährigen Jungen trefft, der Elwin heißt, bitte schickt ihn zu mir. Oder sagt mir wenigstens, ob es ihm gut geht, wenn ihr wiederkommt", bat Maven die Leute. Er tat mir leid. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine meiner Schwestern zu verlieren. 

"Dann könnt ihr jetzt gehen", sagte ich, aber in diesem Moment klopfte es an der Tür. 

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Maven und ich sahen uns an, in seinen Augen spiegelte sich meine eigene Angst wider. 

"Versteckt euch", zischte er den Leuten zu. "Irgendwo."

"Du willst achtundsechzig Leute verstecken? Wo willst du achtundsechzig Leute verstecken?", flüsterte ich. Aber sie waren schon dran, quetschten sich in Ecken und andere Zimmer und hinter das Sofa, darauf bedacht, keinen Ton von sich zu geben.

"Hallo?", kam eine weibliche Stimme von außen. 

"Wir müssen aufmachen", zischte ich. "Tun wir einfach so als seien wir ein Paar, das hier eine Wohnungsbesichtigung machen will."

"Aber was ist mit der Einrichtung?"

"Dann sagen wir eben, wir seien gerade erst eingezogen. Und hätten ein paar Gäste eingeladen." Ich wies auf die letzten paar Leute, die verwirrt auf dem Sofa sitzen geblieben waren. "Und jetzt komm."

Ich hakte mich bei ihm unter und zog ihn zur Tür. Bevor er protestieren konnte, öffnete ich. 

Vor der Tür stand eine ältere Frau und sah uns ein wenig verwirrt an. Ich lehnte mich an Maven, um so zu tun, als wären wir zusammen, und er versteifte sich kaum merklich. 

"Guten Tag", sagte ich förmlich und zwang mich zu einem Lächeln. 

"Guten Tag", erwiderte die Frau. "Wohnen Sie seit Neuestem hier? Ich habe eben Geräusche gehört und dachte ..."

"Ja, wir wohnen hier. Sind gerade erst eingezogen", log Maven. "Und es tut mir leid, wenn wir sie gestört haben, wir haben ein paar Gäste zu Besuch."

Die Frau beugte sich vor und flüsterte so leise, dass es sonst keiner hören könnte: "Ich dachte, ich hätte Musik gehört."

Einen viel zu langen Moment lang sagte niemand etwas. 

Dann stieß Maven hervor: "Sie müssen sich getäuscht haben."

Es war zu spät, um zu lügen. Die Mundwinkel der älteren Frau wanderten leicht nach oben. "Sie können mich nicht anlügen. Ich bin zwar alt, aber nicht schwerhörig. Können Sie das noch einmal spielen?"

"Äh, was?" Nun klammerte ich mich wirklich an Maven fest. 

"Ob sie dieses Lied noch einmal spielen können. Das auf der Gitarre, oder was für ein Instrument das war. Ich habe seit Jahren keine Musik mehr gehört."

"Das trifft sich gut", sagte Maven, und ich hätte ihm den Mund zuhalten sollen, aber ich war so geschockt von den Worten der Frau, dass ich nicht reagieren konnte. "Wir planen nämlich gerade eine Rebellion gegen das Verbot der Musik. Wenn Sie sich uns anschließen, dann werden sie oft Musik hören können. Vielleicht irgendwann sogar legal."

"Maven! Wir können doch nicht einfach irgendwelche Leute einweihen!", rief ich. 

"Wieso nicht? Sie mag Musik. Sie wird uns nicht verpfeifen", verteidigte er sich. 

Die ältere Frau lachte. "Nein, das werde ich wirklich nicht. Erzählen Sie mir mehr über diese Rebellion. Darf ich hereinkommen?" 

Maven und ich sahen uns an. Lange. 

"Es ist jetzt ohnehin zu spät, Ihnen etwas  vorzumachen", sagte ich dann und musste ein Seufzen unterdrücken. "Kommen Sie herein."

"Ihr könnt rauskommen!", rief Maven den Rebellen zu, die sich versteckt hatten. "Und wären Sie vielleicht so nett, uns etwas zu Essen zu bringen?", wandte er sich dann an die Frau. "Wir können die Wohnung nicht verlassen und hatten seit gestern Abend nichts mehr ..."

Sie lächelte freundlich. "Natürlich. Ich komme gleich wieder." Sie drehte sich um. "Ich bin übrigens Freya", sagte sie noch, bevor sie die Treppe hinunterging.

"Ihr könnt doch bleiben", sagte Maven zu den Leuten. "Und etwas zu Essen müsst ihr uns auch nicht mehr bringen."

"War ohnehin eine blöde Idee, sie wegzuschicken. Die paar Stunden hätten wir es auch ohne Essen ausgehalten", zischte ich ihm zu. 

"Du vielleicht", erwiderte er. "Aber ich kann nicht mit leerem Magen tanzen." 

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"Dann los. Beginnen wir", sagte er. "Alecia, kannst du noch einmal das Lied spielen, das du vorher gespielt hast?" 

Ich stopfte mir den Rest meiner Pizza in den Mund. "Mm-hm", nuschelte ich. "Gleich." 

Ich wollte nicht verfressen wirken, aber ich war wirklich hungrig gewesen und nun fühlte es sich an, als könnte ich die ganze Nacht hindurch weiteressen. Aber Maven hatte ausnahmsweise mal recht - wir mussten das hier vorantreiben. 

Ich nahm meine Gitarre und begann, zu spielen. Kaum erklangen die ersten Töne, bewegte sich Maven. Er tanzte, und für einen Moment lang war ich so fasziniert, dass meine Finger die richtigen Saiten nicht mehr fanden. 

Seinen wütenden Blick daraufhin fand ich nicht mehr so faszinierend, weswegen ich schnell weiterspielte, dieses Mal richtig. Er tanzte weiter, und ich musste mich stark beherrschen, mich aufs Spielen zu konzentrieren. 

"Das ist Tanzen", sagte er zu den Leuten. "Aber ich werde mit ein paar einfacheren Schritten beginnen. Wir versuchen jetzt alle erst einmal, im Takt zur Musik zu gehen." 

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt