Kapitel Dreiunddreißig, Alecia

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Ich rannte. 

Meine Gedanken drehten sich im Kreis zum Rhythmus meiner trommelnden Füße auf dem Boden. Was hatte ich getan?

War das richtig gewesen? 

Oder einfach nur dumm?

Auf welcher Seite stand ich eigentlich

Das hier war kein Buch. Das war kein Haufen fiktionaler Charaktere, der hier starb - das waren meine Freunde. Denn obwohl Mom mir versprochen hatte, dass niemand zu Schaden kommen würde, war ich mir sicher, dass das dazu da gewesen war, mich zu beruhigen. Ich hatte genug Bücher gelesen, um zu wissen, dass diese Art von Versprechen nie gehalten wurde.

Und ich hörte Schüsse. Schüsse, von denen sich jeder einzelne in meine Trommelfelle einbrannte. Schreie. Musik. Die Musik lief noch immer. 

Sie gaben nicht auf. 

Ich rannte weiter. Ich musste zu Maven. Ich musste Maven retten. Maven durfte nicht sterben. 

Niemand durfte sterben. Sie mussten die ganze Sache abblasen, sich zurückziehen. Es war mir inzwischen egal, ob die Musik zurückgebracht wurde; es durfte nicht so viele Opfer geben. Ich hatte von Beginn an gewusst, dass in einer Rebellion Leute sterben konnten, aber nun sah ich sie in meinem Kopf, während ich rannte: Freya. Sheena. Niall. Darragh. Seo. DJ. Meine Schwestern. 

Meine Schwestern. 

Ein Schrei entfuhr mir, wurde aber von dem Lärm um mich herum verschluckt. Meine Schwestern waren irgendwo da draußen. Was hatte ich getan? Was hatte Mom getan? Sie würden sterben! Und was war mit Dad? Was war mit Mom selbst? Auf einmal dachte ich nicht mehr an Maven, obwohl ich weiter auf mein Ziel zusteuerte. Meine Gedanken drehten sich allein um meine Familie. Meine Familie. 

Wieso hatte ich mit dieser blöden Rebellion anfangen müssen?

In diesem Moment bereute ich jede einzelne meiner Entscheidungen. Wieso hatte ich mir einbilden können, ich würde tatsächlich etwas verändern? Mit einem lächerlichen Plan, ein paar lächerlichen Schritten? Ich hatte ja nicht einmal den Überfall der Wächter auf Mavens Wohnung vorausplanen können, geschweige denn Cs Tod. 

Stürzt diese Stadt, Leute. Zum tomatigen Teppich, werdet die besten Rebellen, die die Welt je gesehen hat., fielen mir seine Worte wieder ein. Mit Tränen in den Augen rannte ich weiter, während mein Herz sich anfühlte, als müsste es platzen - nein, als wäre es schon geplatzt. Ich bestand nur noch aus Schmerz und Angst. 

Ich kam keuchend vor dem Hochhaus zum Stehen, in dem sich Maven, Seo und Darragh befanden. Ich drängte mich durch die Menschenmenge, die davor stand, und wollte gerade hineingehen, als ich plötzlich laut und dröhnend Mavens Stimme hörte. 

Nein. 

"Wir lassen uns nicht aufhalten!", rief er. "Ich weiß nicht, wie sie uns gefunden haben, aber wir geben nicht auf! Die Rebellion ist noch nicht Geschichte! Helft uns! Unterstützt uns! Macht mit! Zusammen sind wir stärker als sie!"

Nein. 

Musik ging an, so laut, dass ich sie in meinem ganzen Körper spürte. Seo begann mit dem Sprechgesang. 

"What do we want? Freedom! Yeah, what do we want? Freedom! Tell me, what do we want?"

"Freedom!", stimmten einige aus der Menge mit ein. 

"Lauter!", forderte Seo auf dem Dach. "What do we want?"

"Freedom!", schrien die Menschen um mich herum und reckten die Fäuste in die Luft. 

"Spell it!", rief Seo. "F.R.E.E.D.O.M.! F.R.E.E.D.O.M.! Helft mir!"

"F.R.E.E.D.O.M.!", riefen die Leute. "F.R.E.E.D.O.M.! F.R.E.E.D.O.M.!"

"Yeah, F is for Friends, and that's what we are. United we stand, the same goal in our hearts! R is for Revolution, and that's what we want. So come on, be loud and join us in our chant! Tell me, what do we want?"

"Freedom!", kam es von den Leuten. Es wäre beeindruckend gewesen, aber nun machte es mir nur Angst. Angst um all diese Menschen hier. Es konnte nur Minuten dauern, bis die Wächter auch hier waren. Und dann war das so schnell vorbei wie es angefangen hatte. 

Kurzentschlossen drängelte ich mich zur Tür durch und klingelte Sturm bei Darraghs Wohnung. Wider Erwarten öffnete er mir. 

Ich war noch nie so schnell eine Treppe hochgerannt. Als ich oben ankam, konnte ich kaum mehr atmen. Aber ich zwang mich, weiterzugehen, an Darraghs Tür zu klingeln. Adrenalin strömte durch meinen Körper, ließ mich alles außer meinem Ziel vergessen. Von draußen konnte ich dumpf die Musik hören. 

"D is for dreams, and that's what we have. Dreams of a future where this lies in the past! O is for over, and that's what it will be. Just a few more songs and we'll finally be free!"

Darragh öffnete, sah mich überrascht an. Erfreut überrascht, aber auch ein wenig vorwurfsvoll. 

Hätte er gewusst, was ich getan habe, hätte er mich nur noch vorwurfsvoll angeschaut. 

"Darragh", keuche ich. "Ihr müsst das aufhalten. Irgendwie. Schick eine Nachricht raus. Die müssen aufhören, zu tanzen."

"Komm erst mal rein." 

Als ich tat, was er gesagt hatte, schloss er die Tür hinter mir. Er sah mich ernst an. "Wenn du das mit den Wächtern meinst, das haben wir schon mitbekommen. Irgendwoher wissen sie unsere Standorte. Aber aufgeben ist keine Option. Alles, was wir tun können, ist weiter zu tanzen."

Ich konnte mich nicht mehr halten; ich ließ mich zu Boden sinken, vergrub das Gesicht in den Händen und ließ meinen Tränen freien Lauf. Die Verwirrung, die Angst und der Schmerz brachen vollends über mich herein und ich konnte kaum mehr atmen. "Du verstehst es nicht", schluchzte ich ohnmächtig nach Luft schnappend. "Ich war es. Ich habe euch verraten. Ich habe ihnen die Pläne gegeben."

Darragh kniete sich neben mich, umfasste meine Schultern, zwang mich, ihn anzusehen. "Was redest du da?", stieß er hervor. "Warum?"

"Ich dachte, es wäre das Richtige. Es sind so viele Menschen bei der Rebellion ums Leben gekommen letztes Mal ... aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, auf welcher Seite ich stehe. Aber bitte hol Maven da runter, Darragh. Und rette meine Familie."

Unglauben spiegelte sich in Darraghs Augen wider. "Du? Du hast die Rebellion gegründet!"

"Ich weiß." Ich schloss die Augen, um seinem Blick nicht mehr standhalten zu müssen. "Aber das hier ist kein Buch. Das ist keine lustige Freizeitunternehmung, kein Punkt die für Bucket List. Da draußen kommen Menschen ums Leben. Und es ist meine Schuld."

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntМесто, где живут истории. Откройте их для себя