Kapitel Sechsundzwanzig, Maven

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Und dann war es so weit.

"Aufstehen, Leute, aufstehen! Es ist ein wunderschöner sonniger Tag und der perfekte Zeitpunkt für eine Rebellion!" Maven war hellwach. Er hatte letzte Nacht sogar geschlafen; damit sie alle ausgeruht waren, hatten sie das Training sein gelassen. 

Die Rebellen blinzelten gegen das Licht, das nun, da er die Vorhänge beiseite gezogen hatte, hineinfiel. Vereinzeltes Stöhnen war zu hören, nicht alle waren so schnell auf den Beinen wie Maven es erwartet hatte. Doch schließlich standen alle und die, die in anderen Räumen geschlafen hatten, hatten das Wohnzimmer betreten. Es war eng, sie standen dicht aneinandergedrückt und in den Türen zu Bad und Küche - wie immer -, aber es schien ihnen nichts auszumachen. Sie alle schauten Maven erwartungsvoll an, warteten scheinbar auf eine letzte motivierende Rede oder so etwas.

Maven sah sich nach Alecia um, konnte sie aber nirgends entdecken. Also sagte er ihren Namen: "Alecia?"

Sie drängelte sich nach vorne, in gebückter Haltung und mit gesenktem Blick. "Mom ist weg", flüsterte sie, so leise, dass nur er es hören konnte. "Sie ist einfach verschwunden. Ich habe sie seit gestern Abend nicht mehr gesehen."

Sorgen drängten sich Maven auf, wollten von ihm Besitz ergreifen. Aber er stieß sie weg. Nicht jetzt. Jetzt war die Rebellion wichtiger als alles andere. 

"Sie taucht schon wieder auf", sagte er leise zu Alecia. "Wir können das jetzt nicht mehr abblasen. Selbst wenn die Wächter sie haben, mit der Rebellion hilfst du ihr am meisten."

Sie nickte, sah aber nicht sonderlich überzeugt aus.

"Jetzt hilfst du mir, eine Rede zu halten? Ich kann immer noch nicht sonderlich gut reden, schon vergessen?", fragte er noch leiser. 

Zum ersten Mal schaute sie ihn an. Trotz der Trauer in ihrem Gesicht zuckten ihre Mundwinkel ein wenig. "Ist es wirklich so eine gute Idee, dich heute reden zu lassen?"

"Hey, ich hab die letzten beiden Tage darüber gebrütet", verteidigte er sich. "Aber spontan kann ich es einfach nicht. Hilfst du mir?"

Sie nickte. Fuhr sich übers Gesicht, bemühte sich offensichtlich, sich zu sammeln. Dann wandte sie sich an die Rebellen. "Tut mir leid, dass ich heute nicht in sonderlich guter Fassung bin, aber meine Mutter, Olivia 734, ist verschwunden."

Ein leises Raunen ging durch die Menge. Sie hatten alle ausdrücklich angewiesen, um diese Zeit an diesem Morgen hier zu sein. Wenn Alecias Mutter es jetzt nicht war, dann konnte das nichts Gutes bedeuten.

"Aber wir müssen trotz allem weitermachen", sprach Alecia weiter. "Die Rebellion ist wichtig. Die Rebellion ist die einzige Chance dieser Stadt. Wir sind die einzige Chance dieser Stadt, ja, dieses Landes. Die Musik muss zurückkommen. Die Poesie muss zurückkommen. Der nicht durch die Regierung zensierte Ausdruck von Kreativität muss zurückkommen. Sie können uns nicht länger in Ketten legen. Wir werden kämpfen, für die Zukunft unseres Landes! Seid ihr bereit dazu?"

Jubeln. Die Rebellen waren bereit. Sie hatten geübt und geplant und sich den Kopf zerbrochen, und nun wollten sie rebellieren. Sie wollten der Regierung in den Hintern treten. Sie wollten zeigen, dass eine Gruppe aus 54 Leuten eine ganze Stadt, vielleicht sogar ein ganzes Land, verändern konnte. 

Sie wollten die Musik zurück. 

Maven gefiel dieser Gedanke. Er grinste. 

"Dann lasst uns rebellieren!", schrie er, so laut er konnte. 

Die Rebellen zogen sich um, machten sich fertig. DJ überprüfte sein Equipement und die aufgenommenen Songs, Maven übte seine Rede noch einmal. Wer sein Solo hatte, den sah man jetzt mit konzentriertem Gesicht die Schritte durchgehen, wer für Livegesang zuständig war, dessen Stimme hörte man leise durch den Raum hallen.

Dann verließen sie das Haus, durch die Hintertür, durch den Keller, durch die Fenster. Vereinzelt, um nicht aufzufallen, obwohl wahrscheinlich keiner von ihnen wusste, ob es jetzt noch einen Unterschied machte.

Maven wollte Alecia hinter sich her aus dem Fenster ziehen, aber sie schüttelte seine Hand ab. "Ich bleibe kurz hier", sagte sie. "Nur falls Mom zurückkommt. Ich bin beim vereinbarten Zeitpunkt bei dir am Hochhaus."

Er sah sie skeptisch an. "Bist du dir sicher? Die Rebellion ist jetzt wichtiger als alles andere, Alecia. Du kannst das jetzt nicht vermasseln, nur weil du dir Sorgen um deine Mutter machst. Sie taucht schon wieder auf."

"Ach ja?" Alecia schnaubte. "Lass mich einfach hierbleiben. Ich komme schon zurecht. Und sonst musst du deine Rede halt alleine halten. So schlecht wie du immer tust kannst du gar nicht sein."

"Also gut. Aber du tauchst auf."

"Versprochen."

Also ging Maven. Dass sich das als gigantischer Fehler herausstellen sollte, das wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Er folgte den anderen und ging durch die Straßen, zielgerichtet bis zu Darraghs Haus im Stadtzentrum. Sein Auftritt würde in ungefähr eineinhalb Stunden hier sein, zusammen mit Alecia und Seo. Alecia und er würden reden. Seo kümmerte sich um den darauffolgenden Sprechgesang und die Animation der Leute. 

Und natürlich Darragh selbst, denn nun ja, es war sein Haus.

"Maven! Schön, dass du gekommen bist!" Darragh hielt ihm die Tür auf. Sie taten so, als würden die drei Rebellen ihn besuchen, damit es nicht auffällig wirkte. Ob irgendjemand es ihnen abnahm, wusste Maven jedoch nicht, also betrat er so schnell wie möglich hinter Darragh das Haus.

Als Seo eingetroffen war und Maven ihnen erklärt hatte, dass Alecia sich verspätete, nahmen sie den Aufzug noch zu Darraghs Wohnung im obersten Stock. Kaum waren sie oben, schaltete der fünfzigjährige Mann seinen Laptop an; Niall hatte versprochen, einigen von ihnen Aufnahmen der Überwachungskameras zu schicken. 

Es war ganz schön praktisch, dass ein Wächter bei der Rebellion dabei war.

Die drei Rebellen beobachteten auf dem Bildschirm, wie ihre Leute sich überall in der Stadt positionierten. Bisher schien alles nach Plan zu laufen. Sie trugen ihre Abspielgeräte und Verstärker in unauffälligen Einkaufstaschen mit sich herum und unterhielten sich wie alte Freunde. Maven lächelte zufrieden.

Einige hatten weitere Wege als andere, deswegen hatten sie den Beginn der Rebellion erst eineinhalb Stunden nach Aufbruch angesetzt. Überall in der Stadt würden die Rebellen mit dem Tanzen beginnen und wenige Minuten später würden Maven und Alecia ihre Rede halten. 

Er malte es sich in den schönsten Farben aus, während er auf dem Bildschirm einer Gruppe folgte, die in einen Hovertrain stieg, um zu einem entfernten Ende der Stadt zu gelangen. Er erkannte zwei von Alecias Schwestern und Sheena. 

Aber irgendwann konnte er sich nicht mehr davon ablenken, dass die Zeit unaufhaltsam verstrich und Alecia immer noch nicht hier war.

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now