Kapitel Zehn, Alecia

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„Was machst du denn hier?", fragte ich Maven, als ich aufwachte und ihn neben der Couch auf dem Boden liegen sah.

„Schätze, ich bin eingeschlafen", murmelte er.

Ich lachte. „Ja, sieht ganz so aus. Haben wir was zum Frühstück?"

„An deiner Verfressenheit hat sich seit gestern nichts geändert."

Ich trat ihn sanft in die Seite. „Halt die Klappe und geh Brötchen holen."

Lachend richtete er sich auf. „Klar. Als gesuchter Krimineller gehe ich natürlich einfach bei der Bäckerei um die Ecke Brötchen holen. Man sollte meinen, nach all den Büchern, die du gelesen hast, weißt du das."

„Mann", sagte ich gespielt schmollend. „Das nächste Mal rette ich einem Bäcker das Leben."

Unser Gespräch wurde abrupt unterbrochen, als es an der Tür klingelte. Maven sprang schneller auf die Füße als ich gucken konnte. „Vielleicht ist es Elwin", sagte er und die Hoffnung in seiner Stimme machte mir Angst. So etwas endete nie gut. Am Ende standen noch Wächter vor der Tür.

„Öffne nicht!", rief ich, doch da hatte er die Tür schon aufgerissen – und fiel seinem Bruder in die Arme.

„Du Arsch, wo warst du?" Er wuschelte ihm durch die Haare. „Ich bin fast verreckt vor Sorgen."

„Mom hat gesagt, ich muss erst Hausaufgaben machen." Elwin verdrehte die Augen. "Drei Seiten Mathe, so eine Kacke."

Lächelnd betrachtete ich die Interaktion der Beiden, und gleichzeitig machte ich mir Sorgen. Elwin war der klassische Charakter, der in einer Rebellion, wie sie uns bevorstand, starb. Wir mussten ihn da raushalten, koste es, was es wollte.

Es tat mir weh, aber ich drängte mich zwischen die Brüder. „Und jetzt kannst du wieder gehen, Elwin. Schön, dass du hier warst."

Elwin hielt eine Tüte hoch. „Aber ich habe Brötchen mitgebracht."

„Dann lass die Brötchen eben hier. Verschwinde."

Maven funkelte mich wütend an. „Er bleibt. Was ist los mit dir?"

„Ich versuche nur, deinem Bruder das Leben zu retten", zischte ich, obwohl ich im selben Moment wusste, dass es lächerlich war. Sogar meine Schwestern steckten bereits mit drin. Nur wegen einem Klischee aus Büchern konnte ich nicht einfach jemanden ausschließen. Nicht wenn Maven ihn brauchte. Schließlich hatte schon Elwins Auftauchen hier bewiesen, dass Klischees sich nicht immer bewahrheiteten.

„Okay, okay, er bleibt", lenkte ich ein, bevor Maven noch etwas sagen konnte. „Willst du dich ... hinsetzen, Elwin? Danke für die Brötchen." Im selben Moment wie ich die Tür hinter ihm schloss, fragte ich mich, seit wann ich mich eigentlich verhielt als würde diese Wohnung mir gehören.

„Äh, gerne, danke", antwortete Mavens Bruder verwirrt und ich konnte ihm ansehen, dass er genau so verwirrt über mein Verhalten war wie ich selbst.

„Vergiss es", murmelte ich.

Maven durchbrach das unangenehme Schweigen, indem er Elwin die Brötchentüte abnahm und öffnete. Genießerisch atmete er den Duft der frischen Brötchen ein.

„Wer ist jetzt hier verfressen?", fragte ich in einem Versuch, die Leichtigkeit zwischen uns wiederherzustellen, und Maven lachte.

„Erwischt."

Elwin sah zwischen uns hin und her. „Seid ihr beiden ..."

Wäre Synchronkopfschütten eine olympische Disziplin gewesen, dann hätten Maven und ich in diesem Moment den ersten Platz belegt. Wir schüttelten unsere Köpfe so heftig, dass ich Kopfschmerzen davon bekam.

„Nein, nein, nein", sagte ich und verdrängte jegliche Gedanken an Liebesgeschichten und letzte Nacht. „Wir sind nur Freunde."

„Wenn überhaupt", fügte Maven hinzu. Schnell fischte er ein Brötchen aus der Tüte und biss hinein. „Mmh."

Elwin sah immer noch zwischen uns hin und her, offensichtlich noch verwirrter als zuvor. „Okay", sagte er gedehnt. Und dann, etwas fröhlicher: „Krieg ich auch ein Brötchen?"

Maven drückte ihm die Tüte in die Hand. „Na klar."

Während des Frühstücks redeten wir über alles und nichts, aber auf keinen Fall über die Rebellion. Keiner von uns wollte das Thema ansprechen, während sich die Zeiger auf Elwins Uhr langsam bewegten und die Zeit viel zu langsam, aber dennoch unaufhaltsam verstrich. Obwohl Mavens Bruder um elf Uhr morgens gekommen war, schien der Abend viel zu schnell näherzukommen. Denn auf acht Uhr abends hatten wir die Leute, die uns unterstützten, wieder zu uns herbeordert.

Leider gingen fast alle entweder einer Arbeit nach oder zur Schule, was das Training ein wenig schwierig gestaltete. Wir konnten nur abends und nachts an unserem Plan arbeiten, und natürlich am Wochenende. Nur Freya, die alte Frau vom Stockwerk unter uns würde gegen ein Uhr mittags kommen, damit wir an unserer Musik arbeiten konnten. Ich spielte Gitarre, sie sang und Maven und die anderen tanzten dazu – es sei denn, es fand sich noch jemand anderes, der ein Instrument spielte.

Freya war früh dran. Bereits um zehn vor eins stand sie vor der Tür, ein zerfleddertes Heft in der Hand. „Ich habe einen Song geschrieben", kündigte sie statt einer Begrüßung an und nahm mich dann prompt in die Arme. Ein wenig überrumpelt erwiderte ich die Umarmung, die kräftiger ausfiel als ich es bei Freyas zierlicher Statur erwartet hätte.

„Lass hören." Ich schloss die Tür hinter ihr. Maven und Elwin, die das Gespräch gehört hatten, sahen uns erwartungsvoll an.

„Oh, jetzt gleich? Na gut." Sie blätterte in ihrem Heft, bis sie die Seite fand, die sie suchte. „Kannst du mich begleiten? Spiel einfach, was du glaubst, was passt."

Ich nahm meine Gitarre aus der Ecke, in die ich sie gestern gestellt hatte.

„Und eins, zwei, und eins, zwei, drei, vier ...", zählte ich an und spielte den ersten Akkord, obwohl ich noch gar nicht wusste, wie die Melodie ging. Freya ließ sich davon nicht beirren und begann, zu singen.

"All I wanted was freedom.

Freedom to dance and the right to sing.

All I wanted was a song,

But that was a forbidden thing.

And when we did it anyway,

They taught my children how to fly.

I want to let this melody

Make things again how they used to be.

And after all, I want to believe

In what we are trying to achieve.

I want to let this melody

Make everyone around me free

Give them the freedom they need

To sing songs just like this.

Just like this.

..."

Ich tat mein Bestes, um sie mit der Gitarre zu begleiten, und obwohl es mir nicht immer gelang, applaudierten Maven und Elwin nach dem Ende des Liedes begeistert. «Das war wunderschön, Freya!», rief Maven so laut, dass ich glaubte, die ganze Stadt müsste es hören.

Die alte Frau wurde ein wenig rot. «Danke. Es ist erst ein Entwurf. Ich arbeite noch daran.»

«Ach was. Das war perfekt.» Maven schüttelte den Kopf. «Die Leute werden es lieben.»

«Wenn sie uns lange genug zuhören, bevor wir erschossen werden», gab Elwin zu bedenken.

Ich ignorierte ihn. Mir war eine Zeile des Lieds wieder eingefallen und ich sah Freya an. «Wurden deine Kinder wirklich getötet, weil sie Musik machten?»

Ihr Blick wurde traurig. «Ja. Das war kurz nach der Einführung des neuen Gesetzes. Was denkst du, warum ich rebellieren will?»


DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now