Kapitel Sechsunddreißig, Maven

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Ein breites Grinsen im Gesicht ging Maven die Treppe hinunter, die vom Dach in Darraghs Wohnung führte. Seo hatte ihn hinuntergeschickt, um sich zu erkundigen, wie es in den anderen Stadtteilen lief. 

Obwohl er sich um seine Freunde fürchtete, konnte Maven nicht verhindern, dass er lächelte. Bei ihnen oben war es so gut gelaufen. Trotz seiner ein wenig vermasselten Rede waren die Leute dabeigeblieben, und bei Seos Sprechgesang hatten sie wahnsinnig gut mitgemacht. Von draußen konnte er noch immer dumpf die Musik hören; Seo hatte mit einem zweiten Lied begonnen. Sie würden gewinnen. Er war sich sicher.

Nur um Alecia machte er sich Sorgen. Sie war immer noch nicht aufgetaucht. Wo steckte sie? Hoffentlich wartete sie wirklich nur zu Hause auf ihre Mutter und war nicht unterwegs einem der Wächter begegnet. Denn obwohl Maven ein wenig wütend auf sie war, weil sie ihn hatte sitzenlassen, ertrug er die Vorstellung nicht, dass ihr etwas zugestoßen war.

Umso überraschter war er, als er sie und Darragh bei der Eingangstür der Wohnung fand. Alecia saß auf dem Boden und weinte hemmungslos, während Darragh sie ansah als könnte er es nicht fassen. Was er nicht fassen konnte, das wusste Maven nicht. Aber bei Alecias ersticktem Schluchzen war er sich sicher, dass es nichts Gutes war. 

"Darragh?", fragte er leise. 

Der Rebell drehte sich um und sah zu ihm hoch. "Maven. Gut, dass du hier bist. Wir haben ein Problem. Alecia hat uns verraten."

Maven blinzelte. Er hatte die Worte gehört, er wusste, was sie bedeuteten, aber sie wollten keinen Sinn für ihn ergeben. Alecia. Hat. Uns. Verraten. Alecia hat uns verraten. 

"Was?", fragte er mit tonloser Stimme. 

"Alecia hat uns verraten", wiederholte Darragh, während Alecia selbst noch stärker weinen musste. "Sie hat den Wächtern unsere Standorte und unseren Plan verraten."

Nun traf der Sinn der Worte Maven ins Gesicht wie ein Faustschlag. Alecia hatte sie verraten. 

Er sah sie an, wie sie auf dem Boden saß, das Gesicht in den Händen vergraben. Sie sah aus wie ein Häufchen Elend. Aber er konnte kein Mitleid für sie empfinden; alles, was er fühlte, war Wut. 

"Was hast du getan?", brüllte er und sie gab ein leises Wimmern von sich. 

"Es tut mir leid", piepste sie. "Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was richtig ist."

"Aber ich weiß es", knurrte Maven. "Es wäre richtig, wenn ich dich aus dem Fenster werfe für das, was du getan hast! Wie konntest du? Warum? Warum hast du das getan?"

Darragh richtete sich auf und hielt ihn an den Schultern fest. Alecias Schultern bebten. 

"Es tut mir leid. Sie sagten, sie würden niemandem etwas tun."

"Sie sagten, sie würden niemandem etwas tun?", wiederholte er ihre Worte fassungslos. "In welcher Welt lebst du eigentlich? Die werden uns alle erschießen, inklusive dich und deine Familie! Das ist keine Regierung, die das Beste für uns will! Das ist ein Haufen machtgieriger Arschlöcher! Denkst du wirklich, sie würden niemandem etwas tun, der sich ihnen entgegenstellt? Der gegen sie rebelliert?"

Alecia schüttelte heftig den Kopf. "Nein. Ich wusste nicht, was ich tun soll, Maven. Mom hat mir von dieser Rebellion damals erzählt ... wo in der Rebellion wahnsinnig viele Menschen ums Leben gekommen sind. Dass Musik und Kreativität ihre Propaganda waren. Dass sie Menschen getötet haben, die nicht auf ihrer Seite waren - aber auch Leute, die sie einfach nicht mochten. Es war ein Massaker. Es war grausam. Du hättest hören sollen, was sie gesagt hat. Ich hatte einfach Angst, dass so etwas wieder passiert. Es tut mir leid."

"Ich sollte dich aus dem Fenster werfen", sagte Maven abermals, weil er nicht besonders gut mit Worten war und nicht wusste, was er sonst sagen sollte. 

"Dann mach", stieß sie hervor. "Ich habe es verdient. Ich hätte nie mit der Rebellion anfangen sollen. Es war alles ein Fehler. Und dass ich euch verraten habe, war scheiße. Ich hätte mich für eine Seite entscheiden sollen, aber ich habe es nicht getan. Ich habe gedacht, niemand würde sterben, aber das war naiv. Mach doch."

Das leise Geräusch der Musik draußen wich kollektivem Jubel, aber nun hatte er für Maven einen bitteren Beigeschmack. "Was sollen wir tun?", fragte er leise. Er würde Alecia nichts tun. Natürlich nicht. Auf einmal war er beinahe zu verzweifelt, um weiterhin wütend zu sein. 

"Wir können nichts tun", sagte Darragh. "Weitermachen. Hoffen, dass genug Leute auf unserer Seite stehen, damit wir die Rebellin durchbringen können. Ich mache Tee. Und dann erzählst du uns mal genau die ganze Geschichte von der Rebellion damals, Alecia. Aber davor geht Maven erst einmal aufs Dach und teilt Seo mit, dass sie so lange weitermachen soll wie sie kann. Und wenn sie nicht mehr kann, dann wirst du sie ablösen, okay?"

Maven nickte, obwohl er sich nicht sicher war, ob das wirklich alles war, was sie tun konnten. Darragh verschwand in der Küche, während Maven hoch aufs Dach ging.

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now