Kapitel Elf, Maven

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Maven war überrascht davon, wie gut die Tanzstunden liefen. Die meisten der nun siebzig Leute lernten schnell, obwohl sie von ihren Arbeits- und Schultagen müde waren, und alle waren genauso begeistert von Freyas und Alecias Lied wie er. Liedern, müsste er eigentlich sagen, denn es wurden schnell mehr. Freya schrieb die Texte, Alecia begleitete sie auf der Gitarre und steuerte hin und wieder ein paar Worte oder Zeilen bei. Sie kannte sich gut mit Worten aus. Kein Wunder, dachte Maven, sie schien wahnsinnig viele Bücher gelesen zu haben.

Neben dem Training nahmen Maven und Alecia sich Zeit, die Leute kennenzulernen. Und deren Geschichten waren so unterschiedlich wie sie selbst. Da war Lyria, eine ehemalige Ballerina, die trotz ihres hohen Alters immer noch wunderschön tanzen konnte. Niall, der nur wegen seiner Liebe zu einer von Alecias Schwestern – die Maven immer noch nicht auseinanderhalten konnte – hier war. Julica, deren Karriere als Rapperin gerade begonnen hatte, als das Verbot der Musik eingeführt wurde. Oder C, dessen Kleidungsstil so ausgefallen war wie sein Charakter und für den die Rebellion nur ein Punkt auf seiner Bucket List war. Sie waren keine Soldaten, keine Leute, die eigentlich qualifiziert gewesen wären, zu rebellieren. Sie waren Träumer und Musiker und Freunde. Aber sie waren perfekt für das, was sie vorhatten.

Oft saßen einige von ihnen noch bis zum Morgengrauen zusammen und arbeiteten weiter an den Plänen, übten neue Tanzschritte, schrieben Lieder oder redeten einfach nur. Selbst Alecia wirkte in diesen Momenten ansatzweise entspannt.

«Also.» C lachte. «Ich finde, wir sollten pinken Glitzer tragen.»

Seo bewarf ihn mit ihrem Stift. «Kannst du nicht einen Augenblick lang ernst bleiben? Wir werden ganz bestimmt nichts tragen, was pink ist. Oder glitzert. Und erst recht nicht beides.»

«Warum eigentlich nicht?» Alecia tippte sich mit dem Finger ans Kinn, wie sie es oft tat, wenn sie nachdachte. Wann Maven begonnen hatte, sie zu beobachten, wusste er nicht.

«Was, ist das dein Ernst?», fragte Seo entsetzt.

«So ziehen wir immerhin die Aufmerksamkeit der Leute auf uns. Allgemein ist Pink völlig unterbewertet. Es ist eine tolle Farbe!», erklärte Alecia.

C überlegte. «Eigentlich war das ein Scherz, aber warum nicht?»

«Bevor ich Pink trage, lasse ich mich lieber erschießen», kam es von Julica, die bisher die ganze Zeit über in ihr Notizbuch geschrieben hatte. Scheinbar schien sie dennoch zuzuhören.

«Hey, sag nicht so was, das bringt Pech!», rief C.

«Zurück zum Thema.» Maven klopfte mit dem Stift auf sein Notizbuch, das er eigentlich nur vor sich hatte, um so zu wirken als hätte er alles im Griff. «Welche Kleidung sollen wir tragen?»

«Lasst uns abstimmen.» Alecia kicherte. «Wer ist alles für pinke, glitzernde Outfits?»

«Nein, nein, nein, hier wird gar nichts abgestimmt. Nicht, wenn dann manche Leute abspringen.» Freya schüttelte den Kopf. «Vielleicht können wir verschiedene Kleidung tragen. Wir sind schließlich keine Wächter.»

«Aber irgendwie sollten wir uns doch schon einheitlich kleiden», widersprach C. «Sonst begreifen die Leute nicht, dass wir zueinander gehören.»

«Wäre das denn so schlecht?», überlegte Seo. «Vielleicht würde es uns helfen, wenn es die Wächter nicht begreifen. Das könnte dafür sorgen, dass wir sicherer sind.»

Alle sahen sie verständnislos an und sie verdrehte die Augen. «Denkt nach. Wir werden versuchen, die Leute zum Tanzen zu bewegen. An verschiedenen Orten der Stadt. Wenn wir das schaffen und die Wächter dann auf eine ganze Gruppe tanzender Leute treffen, dann haben sie keine Ahnung, wer die Anführer sind. Außer wir haben ein einheitliches Outfit, das sie an jedem der verschiedenen Orte wiedererkennen.»

«Wenn wir einfach Alltagskleidung tragen, dann gehen wir in der Masse unter», führte Maven den Gedanken fort.

«Genau.»

«Aber das ist so langweilig», beklagte sich C, der heute einen aus für Maven unerfindlichen Gründen einen neonorangen Strickpulli trug. «Dann verstehen die Leute ja gar nicht, dass wir Rebellen sind.»

«Wir müssen auch die ganz praktischen Dinge bedenken», sagte Alecia. «Wo kriegen wir zweiundsiebzig zueinander passende Outfits her? Ohne dass wir irgendeinen unschuldigen Kleiderladen in die Sache mit reinziehen?»

«Einundsiebzig», korrigierte Maven energisch. «Lass Elwin da raus.»

«Mir soll es recht sein.»

«Leute, was haltet ihr von dem?», fragte plötzlich Julica, und dann begann sie, zu rappen.

«F is for friends, and that's what we are. United we stand, the same goal in our hearts!

R is for revolution, and that's what we want. So come on, be loud, join us in our chant!

E is for everything, and that's what we risk. But we know that in the end it is worth it!

E is for exaggeration, and that's what they did. So come on, join us, it is worth it!

D is for dreams, and that's what we have. Dreams of a future where this lies in the past!

O is for over, and that's what it will be. Just a few more songs and we'll finally be free!

M is for the music, and that's what we'll bring back. So join the revolution and be part of the attack!"

Alle brauchten einen Moment, bis sie begriffen, welches Wort die Fünfundzwanzigjährige buchstabiert hatte, aber dann brachen sie in spontanen Beifall aus.

«Na ja, ich arbeite noch daran», sagte Julica. «Es ist dazu gedacht, die Leute zu animieren. Vielleicht von einem Dach aus oder so, irgendein hoher Punkt. Dazu tanzen kann man ja nicht.»

«Klar.» Alecia tippte auf den Kreis in der Mitte des Stadtplans, den irgendjemand für sie besorgt hatte. «Du könntest hier sein, bei der Hauptaktion.»

Die Hauptaktion war noch nicht näher bestimmt. Sie alle hatten keine Ahnung, was sie genau tun wollten. Einer der Rebellen, Darragh, hatte ihnen nur gesagt, dass ihm ein Hochhaus im Stadtzentrum gehörte, das einen Dachbalkon hatte. Auf diesem Dachbalkon wollten sie irgendetwas machen, irgendetwas Großes, aber ihnen fiel nicht viel ein. Irgendjemand würde eine Rede halten, vielleicht Maven, aber er war kein guter Redner. Und sonst ... Vielleicht war Julicas Rap ein guter Anfang.

«Okay», sagte die Rapperin auf Alecias Vorschlag hin ein wenig überrascht. «Gerne.»

Alecia, die im Gegensatz zu Maven wirklich mitschrieb, notierte sich die Idee.

«Dann ist die Sache mit dem pinken Glitzer jetzt gestorben?», fragte C in diesem Tonfall, bei dem man nicht entscheiden konnte, ob er es ernst meinte oder nicht.

«Gestorben und begraben», bestätigte Maven, der selbst nicht wirklich vom Gedanken angetan war, ein pinkfarbenes, glitzerndes Outfit zu tragen.

«Wuhuuuuuu!» Seo stieß die Hände in die Luft und die Gruppe brach in kollektives Gelächter aus.


DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now