Kapitel Vierundzwanzig, Maven

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Und dann hatte der Stundenzeiger die Zwölf hinter sich gelassen und steuerte auf die Eins zu. Alecia und Maven hatten den Plan fertig aufgeschrieben und schwiegen nun seit einer Weile, aber es kam einem guten Schweigen zumindest nahe, auch wenn sie beide angespannt waren.

Als er nun auf die Uhr sah, sagte Maven: „Wir sollten gehen. Also, wenn du willst. Ich kann auch alleine gehen."

„Nein, nein. Kein Problem. Lass mich mich nur noch kurz umziehen", erwiderte Alecia.

Alecia ging ins Bad, um die dunkle Kleidung anzuziehen, die sie an Cs „Beerdigung" getragen hatte, und auch Maven zog sich entsprechend um. Als er sich die dunkle Strumpfmaske über das Gesicht zog, fühlte er sich wie ein Verbrecher. Dabei war es egal, dass die Maske wirklich aus einem alten Strumpf von Sheena bestand, in den diese ein Loch geschnitten hatte.

Alecia und Maven durchquerten das Wohnzimmer und konnten die Wohnung nicht verlassen, ohne von Freya, DJ und Sheena umarmt zu werden.

„Passt auf euch auf", sagte Freya mit Tränen in den Augen.

„Uns passiert schon nichts", erwiderte Maven, bevor Alecia etwas sagen konnte. Er wusste, dass ihre Antwort nicht so positiv ausgefallen wäre; in ihrem Gesicht war die Angst deutlich zu lesen.

Freya lächelte unsicher. „Ich hoffe es."

Sie gab Maven ihr Phone, damit er sie kontaktieren konnte, wenn – falls – sie bei den anderen Rebellen ankamen. „Wiederhol noch mal den Code", bat sie ihn.

„Mom, du bist Großmutter! Es ist ein Mädchen", wiederholte er und Freya nickte zufrieden.

„Ab mit euch."

Und dann waren sie draußen. Eigentlich hatten sie sich trennen wollen, um nicht aufzufallen, doch falls man einen von ihnen erwischte, hatten sie ohnehin keine Chance mehr. Sie wurden gesucht. Die Wächter wussten, wie sie aussahen. War es überhaupt eine gute Idee gewesen, dass ausgerechnet sie beide gingen? Warum nicht Freya, Sheena oder DJ, die genau so gut ahnungslose Passanten hätten sein können?

Allerdings wären selbst sie verhaftet worden, wenn sie nach der Ausgangssperre das Haus verließen.

Es war still in den Straßen. Totenstill, wollte Maven sagen, aber der erste Teil des Wortes jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er hatte sich nie besonders vor dem Tod gefürchtet, aber jetzt, wurde ihm klar, wollte er nicht sterben. Nicht einen sinnlosen Tod, der nichts bewirkte außer Freya, Sheena und DJ zu warnen.

Sie werden mich nicht erschießen, sagte er sich immer wieder. Sie dürfen mich nicht erschießen.

Aber er wusste, dass das nicht stimmte. Diese Stadt machte kurzen Prozess mit Leuten wie ihm. Selbst Freyas Söhne hatten sie erschossen, dabei war ihre Musik so weit er wusste ohne rebellische Absichten gewesen. Jemand wie er, der öffentlich getanzt hatte – eine offensichtliche Provokation – und die Wächter angelogen hatte, hatte hier draußen keine guten Überlebenschancen.

„Links oder rechts?" Alecia flüsterte so leise, dass ihre Worte kaum hörbar waren.

Maven fischte den Zettel aus seiner Hosentasche, auf dem sie die Wegbeschreibung aufgeschrieben hatten. „Rechts."

Es war eine klare Nacht. Der Mond warf ein fahles Licht auf den Boden und hunderte von Sternen waren zu sehen. Am liebsten hätte Maven angehalten und eine Weile hochgeschaut. Er war noch nie nach der Ausgangssperre draußen gewesen, wenn die Straßenlaternen und Werbetafeln ausgeschaltet waren und man den Nachthimmel so deutlich sah.

Niemand war mehr unterwegs – natürlich. Nur hin und wieder sahen sie eine Katze über die Straße gehen oder versteckten sich vor dem Strahl der Taschenlampe eines Wächters. Die Dunkelheit bot ihnen Schutz, war aber gleichzeitig ihr größter Feind. Bei diesem Licht sah alles gleich aus und sie verliefen sich mehrmals, bis sie schließlich – es musste schon gegen Morgen sein – bei dem beschriebenen Haus ankamen.

DANCE oder wie man mit einer Rebellion beginntWhere stories live. Discover now