2. Kapitel

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Eigentlich hätte ich überrascht sein müssen, dass meine Mutter so schnell nachgegeben hatte. Normalerweise hätte ich erst einmal eine Weile mit ihr diskutieren müssen, bevor sie überhaupt in Erwägung zog, dass ich noch zu Kathy durfte.  An diesem Abend funktionierte es beinahe gespenstisch gut. Vielleicht,  weil sie wusste, dass ich den Haufen nun eine ganze Zeit lang nicht mehr sehen würde. Vielleicht fühlte sie ja doch so etwas wie Mitleid und wünschte sich, dass sie nie auf die Idee gekomme wäre umzuziehen. Aber dann dachte ich wieder an ihre funkelnden Augen, wenn sie über Seoul und Südkorea erzählte und dann wusste ich, dass das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zutraf. Es war ohnehin schon zu spät,  um sich umzuentscheiden und doch in Deutschland zu bleiben.

"Wir warten bestimmt schon eine Stunde auf dich." Jayden sah mich vorwurfsvoll an und ich zuckte nur mit den Schultern. Ein Glück lebte Kathy nur fünf Minuten von mir zuhause entfernt, deswegen war ich schnell da gewesen. Ich war gerade erst durch die Eingangstür getreten, da kam der bekannte Haufen auch schon angerannt. Da ich Kathy schon etwas länger kannte, wusste ich auch, wo der Ersatzschlüssel lag. Ein eher unoriginelles Versteck unter einem Blumenkübel, aber es war noch nie etwas passiert. Ich zog meine Jacke von meinen Schultern und hängte sie in die Garderobe.

"Warum hat das denn so lange gedauert, verdammt?" hakte Jayden weiterhin nach.

"Morgen geht es los, also..." Ich ließ den Satz in der Luft schweben und im selben Augenblick wurde ich auch schon in eine Umarmung gezogen. Jenny war sehr nah am Wasser gebaut, so auch jetzt. Sie schniefte unbeholfen gegen meine Schulter und ich drückte sie kurz.

"M-Morgen wirst du einfach weg sein.",  brachte sie hervor und ich lächelte sie sanft an. Das musste sie mir zwar nicht sagen, aber in so einer Situation begegnete man ihr am besten nicht mit Sarkasmus. Die Tränen rollten bereits auf den Boden und auch Kathy stand das Wasser in den Augen. Jayden und Nico beobachteten das Ganze lieber aus sicherer Entfernung. Sie flüsterten allerdings schon wieder so verräterisch. Anscheinend hatten sie noch etwas geplant.

"Ich werd euch ganz oft schreiben und anrufen, ich versprechs euch.", versicherte ich den vieren. Jenny löste sich schluchzend von mir und strich sich über die tränenverschmierten Augen und Kathy führte uns in das Wohnzimmer. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Raum sah. Er erstrahlte nicht wie gewohnt in einem schlichten Weiß, sondern in bunten Farben. Die Wände waren mit Girlanden geschmückt und bunte Lichtpunkte wurden an die Decke projiziert.

Mein Mund klappte auf, als Jayden und Nico auch noch ein Schild ausbreiteten auf dem groß und fett "Wir werden dich vermissen, du kleine Schnapsdrossel" geschrieben stand. Ich musste lachen, aber dabei kamen mir fast selbst die Tränen. Schnapsdrossel hieß ich für sie nur, weil ich in meinem ganzen Leben nur ein einziges Mal Alkohol getrunken hatte. Und bei diesem einen Mal sollte es auch bleiben. Für eine 15-jährige war das schon etwas ungewöhnlich, zumindest, wenn man sich unsere anderen Mitschüler ansah. Die waren spätestens alle mit 13 einmal betrunken gewesen. Ich war da die große Ausnahme.

"Ihr seid die Besten.", sagte ich unter Tränen und schloss meine Freunde in die Arme. Das Ganze endete in einer ziemlich unübersichtlichen Gruppenumarmung. Danach setzten wir uns auf die Couch und stellten den Fernseher an. Das Programm beachtete ich dabei nicht wirklich. Meine Gedanken hingen vielmehr an den alten Geschichten mit meinen Freunden und auch meiner Familie. All die schönen Momente, die ich hier in meiner Heimat erlebt hatte ließen mich schon die letzten Wochen nicht mehr los. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass das ab morgen zu meiner Vergangenheit zählen sollte. Mein neues Leben würde wohl oder übel in Südkorea stattfinden.

"Die Schule wird ziemlich langweilig ohne dich.", sagte Jayden. Nico nickte. "Nicht nur das. Auch unsere Filmabende werde ich vermissen, das war immer das beste.", sagte er und schwelgte in Erinnerungen. In Kathys Wohnung hatten schon viele solcher Filmabende stattgefunden. Zum Leidwesen ihrer Mutter wohlgemerkt, aber sie ließ sich auch an diesem Abend kein einziges Mal blicken. Zu unserem Glück. Sie mochte es eigentlich nicht, wenn so viele Menschen in ihrem Haus herumwuselten. Für sie waren vier weitere Personen schon zu viel. Komischerweise schaffte Kathy es immer wieder sie dazu zu überreden uns einzuladen und solche 'Partys' zu veranstalten.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Where stories live. Discover now