74. Kapitel

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Ich schloss die Tür so leise auf, wie es nur ging. Es war zwar erst kurz nach Mitternacht, aber ich konnte mir nicht sicher sein, dass Sana noch nicht zuhause war. Manchmal gingen ihre Partynächte lediglich bis elf Uhr. Immerhin musste sie auch irgendwann in die Uni. Die Chance, dass sie schon zuhause war, war also nicht sehr gering.

Ich hatte nicht erwartet, dass die Feier der Jungs wegen ihres Comebacks so lange dauern würde. Zunächst hatte ich noch gedacht, ich könne mich nach ein oder zwei Stunden wieder hinausschleichen. Aber dann aßen wir und tranken das ein oder andere Glas, stießen auf ihr Comeback an... Irgendwie hatte ich in dem ganzen Trubel die Zeit vergessen. Als ich dann auf die Uhr schaute war es kurz nach elf gewesen. Der Schock war schnell durch Panik ersetzt worden. Wenn ich nicht zuhause war, wenn Sana von ihrer kleinen Bartour zurückkehrte war es aus für mich. Dann hatte meine letzte Stunde geschlagen.

Natürlich wusste vor den Jungs nur Yoongi, warum ich mich abhetzen und so schnell wie möglich nach Hause musste. Er hatte mindestens so viel Alkohol getrunken wie ich - Jungkook hatte uns immer neu nachgeschenkt, sobald das Glas auch nur im Entferntesten leer aussah - aber Yoongi erfreute sich bester Gesundheit. Bei mir sah das etwas anders aus. Ab und zu konnte ich nur noch verschwommen sehen und meine Schritte waren auch nicht mehr besonders zielsicher. Ein weiterer Grund für mich, schnell nach Hause zu verschwinden und sich auszuruhen.

"Und du musst wirklich schon gehen?", fragte Hoseok mit schief gelegtem Kopf. Mit seinen großen Augen und den abstehenden Haaren sah er beinahe so aus wie ein süßer Hundewelpe. Den Hundeblick hatte er auf jeden Fall schon einmal drauf.

"Leider ja." Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.

"Yoongi würde sich freuen, wenn du bleibst. Er ist immer viel fröhlicher, wenn du da bist.", raunte er mir zu und ich wurde prompt verlegen. In dem Moment tat es mir leid, dass wir nicht allen von unserer Beziehung erzählt hatten. Sie waren alle so lieb zu mir und sorgten sich um mich und was war der Dank dafür? Ich log sie an. Das war nicht richtig. Yoongi lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich.

"Ich rufe Seokmin. Er bringt dich nach Hause.", schlug er laut vor und dieses Mal nahm ich sein Angebot dankbar an. Mit dem Auto würde ich jedenfalls schneller zuhause sein als mit der U-Bahn. Außerdem konnte ich nicht genau sagen, ob ich nicht Sana auf meinem Weg begegnen würde. Bei meinem Pech würde sie dieselbe U-Bahn nehmen wie ich auch.

Ich hatte auf seine Frage bloß genickt und Yoongi hatte sich bereits ans Telefon geschwungen. Zeit für eine große Verabschiedung war mir auch nicht geblieben. Ich hatte lediglich einmal in die Runde gewunken und war Seokmin hinterher gerannt, der mich beim Probenraum abholte.

"Du hast es heute aber eilig.", bemerkte der Chauffeur lachend und ich lachte nervös. Eine richtige Erklärung konnte ich ihm erst geben, als wir nach Luft schnappend am Wagen ankamen. Ich schlüpfte auf die Rückbank. 

"Ich hatte Streit mit meiner besten Freundin. Wenn sie erfährt, dass ich heute noch weg war, anstatt sie zu begleiten wird sie furchtbar wütend auf mich sein.", erklärte ich Seokmin. Die halbe Wahrheit war besser als gar keine. Der Mann hatte nur seufzend den Kopf geschüttelt.

"Warum nicht einfach die Wahrheit sagen? Was ist so falsch daran?"

"Die Wahrheit ist schwierig."

"Und nur, weil sie schwierig ist, ist es einfacher zu lügen?"

Ich biss mir auf die Lippe.

"Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen.", sagte Seokmin. Das klang poetisch. Ich ließ derweil meinen Kopf nach hinten sinken. Er hatte recht. Und es gefiel mir überhaupt nicht.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Where stories live. Discover now