46. Kapitel

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Und ich hoffe, das wirst du auch.

"Was machst du da?"

Ich knallte meinen Block so laut zu, dass ich selbst zusammenzuckte. Der Kugelschreiber rollte auf den Boden und blieb an meinem Bettpfosten hängen. Jitae beäugte mich neugierig. Er stand in meinem Türrahmen und kam nun mit kleinen Schritten näher. Sein Blick glitt zu meinem Block und eine Sekunde lang blitzte es schelmisch in seinen Augen. Anfängerfehler. Ich hätte nicht so reagieren dürfen, als hätte ich etwas getan, was ich nicht tun sollte, das regte seine Neugier nur noch mehr an. Jetzt hatten wir den Salat. Mein kleiner nerviger, manchmal auch liebenswürdiger Bruder ahnte etwas. Und das war selten gut für mich. Ich schlug das Heft demonstrativ auf, riss die beschriebenen Seiten heraus, knüllte das Papier zusammen und warf es in meinen Mülleimer.

"Ich mache nur Hausaufgaben.", sagte ich. Fehler Nummer zwei. Die Ausrede war so schlecht, dass ich mir nicht einmal selbst geglaubt hätte, wenn ich doppelt so vertrauenswürdig war wie es mein Bruder normalerweise war. Ich versuchte von dem Offensichtlichen abzulenken.

"Und du bist in meinem Zimmer, weil...?"

Ich sah ihm an, dass er überlegte, ob er das Papier wieder aus dem Müll herausziehen sollte, um es zu inspizieren. Dann zuckte er mit den Schultern.

"Es gibt Essen.", sagte er schließlich. Aber anstatt schon vorzugehen und mir so die Möglichkeit zu geben, meinen Brief zu retten, wartete der kleine Teufel so lange, bis ich hinter ihm aus dem Zimmer tapste. Ich schindete sogar Zeit, indem ich mir Klamotten aus meinem Schrank holte, als würde ich die Absicht verfolgen, nach dem Essen duschen zu gehen, in der Hoffnung, Jitae würde aus Langeweile einfach gehen. Woran ich bei meinem eigentlich wasserdichten Plan nicht gedacht hatte, war das ich danach wirklich duschen musste, um den Schein zu wahren und meinem Bruder so genügend Zeit ließ, den Papiermüll nach meinen 'ominösen Hausaufgaben' zu durchsuchen.

Sagen wir einfach ich war nicht ganz bei Sinnen und immer noch verwirrt über den Brief, den ich da geschrieben hatte. Den Unterhaltungen beim Abendessen konnte ich überhaupt nicht folgen. Selbst Minseok war verwirrt über mein Verhalten.

So schnell wie an diesem Tag hatte ich mich noch nie geduscht.

In der Sekunde, in der ich mein Zimmer betrat, hatte ich nur noch einen Gedanken: meine Koreanisch-Hausaufgaben retten.

Ich griff zielsicher in den Eimer, nur um überrascht zu werden. Meine Hand griff ins Leere.

Leer. Der Mülleimer war leer. Warum war er leer? Mein Herz sackte mir in die Hose. Wo sind meine Hausaufgaben?!

Mein erster Gedanke galt Jitae. Der kleine hinterhältige Zwerg hatte sich sicher zurück in mein Zimmer geschlichen, als ich im Badezimmer war, und hatte den Brief an sich genommen. Er lachte sich bestimmt ins Fäustchen und überlegte sich, wie er mich mit dem Brief am besten bestechen könnte. Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf hielt mich jedoch davon ab, sofort in das Zimmer meines Bruders zu laufen und ihn eigenhändig zu erwürgen. Er hätte schließlich nicht meinen ganzen Müll an sich genommen, sondern lediglich die zwei Seiten zerknülltes Papier aus dem Eimer gefischt. Mein Herz raste unaufhörlich.

"Mama!"

Hätte ich zuhause in Deutschland jemals so laut geschrien, stünden sofort ein paar Nachbarn vor der Tür, um sich über den Lärm zu beschweren. Da das Gehör unserer Nachbarn, die immerhin alle auf die 60 zugingen oder schon weit darüber lagen, langsam nachließ, musste ich mir darüber keine Sorgen machen. Um meinen verlorenen Brief an Yoongi machte ich mir dafür sehr viele Sorgen.

"Was ist denn?" Meine Mutter steckte einen Kopf in mein Zimmer und sah mich fragend an. In der einen Hand hielt sie ein Küchentuch, mit dem sie den Kochtopf aus der anderen Hand trockenrieb.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Where stories live. Discover now