26. Kapitel

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Als ich an diesem Nachmittag in den Garten von Yoongi's Freund trat fühlte ich mich, als hätte man mich in ein tiefes Wasserbecken mit Haien geworfen. Ich war vollkommen ausgeliefert. Und ich hatte keine Chance zu entkommen.  Stattdessen wurde ich einfach immer weiter in die Menge an Menschen geschoben, ohne dass ich auch nur ein bekanntes Gesicht sah. Um mich herum waren gefühlt tausende Menschen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, die aber alle einen Kopf größer waren als ich. Irgendjemand drückte mir eine Flasche in die Hand und ich starrte sie einen Augenblick sprachlos an, unschlüssig, was  ich jetzt damit machen sollte. Dann wurde ich auch schon weiter geschoben. Ich hatte das Gefühl, dass alle mich anstarrten oder über mich redeten, obwohl es garantiert niemanden kümmerte, dass ich hilflos versuchte Anschluss zu finden. In dem Moment wäre mir sogar jedes Mädchen aus meiner Klasse lieb gewesen, auch wenn sich die meisten so aufführten, als wären sie Südkoreas Top Idol. Hauptsache ich sah nur ein bekanntes Gesicht. Die Menge um mich herum fing bereits an zu einer undurchdringlichen Masse zu werden. 

"Mihee?" Ich atmete erleichtert auf, als Soomin mich endlich entdeckte.

"Soomin! Gott sei Dank, dass du hier bist." Er umarmte mich kurz zur Begrüßung. Auch er hatte eine Flasche in der Hand. Bier wie ich jetzt erkannte.

"Ich habe mich schon gefragt, ob du überhaupt kommen wirst, aber Yoongi meinte, dass du ganz sicher da sein würdest." Allein bei der Erwähnung seines Namens verkrampfte sich mein Magen schmerzhaft, aber ich zwang mich zu einem Lächeln.

"Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen.", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ehrlich gesagt, war ich sogar noch vor einer Stunde vollkommen überzeugt gewesen, einfach alles sausen zu lassen und einfach zu Hause zu bleiben. Aber mein schlechtes Gewissen Yoongi gegenüber hatte mich dann doch vom Gegenteil überzeugt.

Soomin führte mich zu einem kleinen freien Stück Wiese in der Nähe. Das Haus an sich, in dem ich nur kurz gewesen war, war schon atemberaubend gewesen. Dabei handelte es sich um eine der zahlreichen Villen in Daegu in denen meine Mutter, mein Bruder und ich wahrscheinlich leben konnten ohne uns jemals über den Weg zu laufen, aber dieser Abschnitt des Gartens, eine Rarität in dieser Großstadt übertraf einfach alles, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Die letzten Rosen des Jahres blühten in tausend verschiedenen Farben, das Gras war saftig grün und mir war es als ob ich hier den Alltag mit all seinen Höhen und Tiefen, wobei die Tiefen in letzter Zeit definitiv überwiegten, für ein paar Stunden vergessen konnte. Zumindest für den Anfang.

Mehrere Picknickdecken lagen dort auf dem Boden verteilt und ich entdeckte nicht wenige aus meinem Jahrgang wieder. Zu meinem Leidwesen auch Yoongi und Nari.  Sie entdeckten mich und winkten. Ich winkte ihnen zurück und wollte mich bereits schweren Herzens zu ihnen auf den Weg machen,  aber zu meinem Glück legte sich da eine Hand auf meinen Rücken, die mich sanft aber bestimmt in die entgegengesetzte Richtung wegführte. Ich atmete auf.

"Dankeschön.", flüsterte ich Soomin verschwörerisch zu. Dieser nickte verständnisvoll. Ich setzte mich auf die einzig frei gebliebene Picknickdecke in unserem Umkreis.

Yoongi und Nari saßen auf einer Decke nicht allzu weit von uns entfernt, weswegen ich beinahe die perfekte Sicht auf die beiden erhaschen konnte. Nari hatte sich an Yoongi gelehnt und Yoongi nahm sich etwas zu essen aus einer Schachtel. Es war das natürlichste auf der Welt, so wie sich die beiden verhielten und doch musste ich wegschauen. Alles in mir zog sich zusammen vor Schmerz. Ich sollte mich langsam an den Anblick gewöhnen. Das sagte ich mir oft genug, aber das hielt mein Herz nicht davon ab, jedes Mal einen Hüpfer zu machen, wenn es Yoongi erblickte und sich ebenso schmerzhaft zusammen zu ziehen, wenn es Yoongi in Begleitung von Nari vorfand. Ich brauchte dringend Abstand.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Where stories live. Discover now