5. Kapitel

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Mein erster Tag in der neuen Schule. Ich hatte nett ausgedrückt überhaupt keine Lust. Wer ging schon gerne in die Schule? Ich konnte die Menschen, die immer sagten, was sie für eine schöne Zeit in der Schule hatten nie verstehen. Diese Menschen hatten vorher wahrscheinlich noch nie richtig gelebt. Warum musste ich überhaupt direkt in die Schule? Ich war keine drei Tage in Südkorea und schon musste ich mich wieder um das Thema Schule kümmern. Unter normalen Umständen hätte ich ja in Seoul auf eine Schule gehen sollen, stattdessen hatte mich meine Mutter in Daegu angemeldet. Ohne, dass ich auch nur eine Sache davon mitbekommen hatte! Und jetzt hatte sie auch noch zu allem Überfluss einen neuen Freund. Gi Minseok. Nur Minseok. Wie er sich vorgestellt hatte. Ohne, dass sie mir auch nur ein Sterbenswörtchen davon erzählt hatte! Aber sie entschied in letzter Zeit sowieso immer über meine Kopf hinweg, also machte das nun auch nichts mehr aus. Ich entschied einfach überhaupt nicht mehr mit ihr zu reden. Dann würde ich auch nicht mehr so enttäuscht werden.

"Mihee, bist du fertig?" Ich saß am Küchentisch und starrte aus dem Fenster. Die Sonne erhellte alles draußen in einem hellen Licht. Es sah alles so harmonisch aus. Ganz im Gegenteil dazu, wie ich mich fühlte. Die Vögel zwitscherten fröhlich.

Ich seufzte und nickte stumm. Mein Bruder stand schon längst fertig im Türrahmen. Er freute sich richtig auf den ersten Schultag, was ich nicht verstehen konnte, aber in seinem Alter machte Schule auch warhscheinlich noch Spaß. Er würde später bestimmt zusammenbrechen, wenn er erst einmal in die höheren Klassen kam. Er grinste mich an und ich streckte ihm die Zunge heraus, während ich nach meinem Rucksack griff. Meine Mutter scheuchte uns aus der Tür. 

"Wie sollen wir eigentlich zur Schule kommen? Fährt ein Bus oder müssen wir mit der U-bahn fahren?", fragte mein Bruder und innerlich war ich ihm dankbar dafür. Diese Frage brannte mir auch schon den ganzen Morgen auf der Zunge, allerdings hatte ich ja entschieden nicht mehr mit meiner Mutter zu reden. Ich merkte, wie sie sich plötzlich anspannte.

"Ihr müsst nicht mit dem Bus fahren. Minseok fährt euch. Es liegt gleich auf dem Weg von unserer Arbeit.", murmelte sie, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ich sie nicht verstehen würde, aber das hatte ich sehr wohl.

"Was?" Meine Stimme überschlug sich fast und ich vergaß sogar für einen Moment, dass ich nicht mit ihr sprach. Dafür war meine Wut nun doch zu groß. Meine Mutter seufzte tief.

"Mach jetzt bitte keine große Sache daraus.", sagte sie und ich schnaubte.

Ich sollte keine große Sache daraus machen? Erst schleppte sie uns nach Südkorea, sagte wir ziehen nach Seoul, landeten dann später in Daegu und stellte uns zu allem Überfluss auch noch ihren neuen Freund vor, für den sie, wie ich vermutete, diesen ganzen Aufwand betrieben hatte. Und ich sollte keine große Sache daraus machen?!

Gi Minseok- nur Minseok- wartete bereits unten auf der Straße. Er lehnte an einem schwarzen Wagen, der für mich sehr nach Firmenwagen aussah und lächelte uns übertrieben an. Ich verdrehte die Augen. Jitae lief erfreut auf den Mann zu und warf sich ihm in die Arme. Dieser Verräter. Er wusste wohl auch nicht, was Loyalität bedeutete. Dabei kannte er ihn auch gerade mal einen Tag.

"Na, wie geht es dir? Wie lebt es sich in der neuen Wohnung?", fragte er Jitae und er sah auch mich einen Moment fragend an, aber Jitae beantwortete seine Frage bereits euphorisch.

"Super! Mein Zimmer ist das größte! Viel größer als das von Mihee!", rief er aus und ich vergrub meine Hände in meinen Taschen.  Damit versuchte er mich schon die ganze Zeit mit aufzuziehen. Und zu meinem Bedauern musste ich sagen, dass es auch noch funktionierte.

"Können wir los?", fragte ich genervt und Minseoks Mundwinkel zogen sich etwas nach unten. Ich hatte keine Lust fröhliche Familie zu spielen und  das konnte er ruhig merken. Dann lächelte er wieder. "Aber natürlich.", sagte er und hielt uns die Tür auf. Meine Mutter warf mir noch einen warnenden Blick zu, bevor sie auf den Beifahrersitz rutschte und ich ließ mich auf die Rückbank fallen. Mein Bruder setzte sich ebenfalls und Minseok ließ die Tür hinter uns zufallen.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Where stories live. Discover now