44. Kapitel

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Der Freitag vor unserem wohlverdienten Wochenende bescherte uns wahrscheinlich ein letztes Mal die warme Herbstluft, bevor das Wetter vollkommen umspringen und dem Winter Platz machen würde. Die Fenster standen weit offen, um das stickige Klassenzimmer mit frischer Luft zu versorgen. Vor uns stand unser Koreanischlehrer, der ohne Unterbrechung redete. Kaum einer von uns konnte seinen Reden lange folgen. Auch ich war schon vor einigen Minuten nicht mehr mitgekommen. Unsere Gedanken waren bei den Sonnenstrahlen dort draußen. Wir sehnten uns danach, diese endlich auf unseren Gesichtern zu spüren, anstatt von einer verdreckten Glasscheibe davon getrennt zu sein und dem Geschwafel über koreanische Texte zuhören zu müssen.

Mein Blick  schweifte verstohlen zu Yoongi.  Er saß neben Johae und kritzelte irgendetwas auf seinen Block. Er konnte  dem Unterricht ebenfalls nicht folgen, allerdings schien er trotzdem hoch konzentriert zu sein. Seine Hand flog über das Papier, schrieb etwas auf, strich es gleich darauf wieder durch und schrieb neue Worte auf. Er und seine Musik. Ich seufzte tief und meine Sitznachbarin sah mich genervt an. Sie war die einzige, die förmlich an den Lippen des Lehrers hing.

Da Nari nicht mehr hier war, war ich gezwungen mich neben ein anderes Mädchen zu setzen, dass bis dahin alleine gesessen hatte. Yumi war das komplette Gegenteil von Nari, die sich im Unterricht gerne unterhalten hatte. Yumi war eher die Art Mädchen, die sich durchgehend Notizen machte und die Worte der Lehrer förmlich in sich aufsaugte. Da blieb wahrlich nicht viel Zeit für geflüsterte Gespräche. Alle meine Annäherungsversuche waren kläglich gescheitert und wurden jedes Mal mit einem gezischten "Shh" abgewürgt. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass sie mich selten eines Blickes würdigte. Es sei denn sie war genervt von mir. So wie jetzt. Sie schaute mich tadelnd an. Doch so schnell sie mir auch diese Sekunde an Aufmerksamkeit geschenkt hatte, war ihr Blick auch wieder nach vorne gerichtet und sie behandelte mich wie Luft.

Ich schaute wieder nach draußen. Die Blätter der Bäume wehten leicht im Wind. Was  würde ich alles dafür tun, dass die Klingel uns von unserem Leid erlöste und wir endlich nach Hause gehen konnten.

Meine Gedanken glitten wieder zu Yoongi. Ich hatte lange nicht mehr mit ihm geredet. Auch Johae und Jinho waren ständig mit etwas anderem beschäftigt. Ich sah sie selten in der Cafeteria, der Ort an dem sie eigentlich immer zu finden waren.

Auch ich hatte nun da die Prüfungen immer näher kamen viel nachzuholen und zu lernen, dass man mich immer öfter in der  Bibliothek fand. Deswegen fand ich  selten Zeit  mit ihnen zusammen Mittag zu essen, geschweige denn überhaupt Mittag zu essen. Meistens würgte ich mein mitgebrachtes Essen kurz vor Beginn der Unterrichtsstunde hinunter und hoffte, dass es mir nicht gleich wieder hochkommen würde.

Jinho schrieb mir immerhin ab und zu noch eine SMS, aber Johae und Yoongi schienen es genauso schwer zu haben wie ich. Dass meine Sprachkünste in Sache koreanisch schlecht seien, konnte ich zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise nicht mehr sagen. Ich hatte mich ziemlich gebessert, was schneller ging als erwartet. Meine Mutter fasste das als Zeichen, dass der Umzug genau das richtige für uns gewesen war. Immerhin war eine von uns glücklich. Auch Jitae schien sich eingelebt zu haben. Er hatte öfter Freunde mit nach Hause gebracht. Sogar mit Soomins Schwester Minji hatte er sich angefreundet. Soomin sah ich nur noch selten. Er hatte sogar noch mehr Stress, was das Lernen anging.

Vor uns schrieb unser Lehrer etwas an die Tafel und ich versuchte herauszubekommen wo wir gerade stehen geblieben waren. Aber wie das so ist, wenn man einmal aufgehört hatte im Unterricht aufzupassen, kam man so schnell nicht wieder hinterher. Automatisch blickte ich auf die Uhr über dem Ausgang, wohlwissend, dass unser Lehrer mich voll im Blick hatte. Er merkte sicher auch, dass die Konzentration im Klassenzimmer heute schwindend gering war.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt