Kapitel 20

7.8K 272 58
                                    

Tylers Sicht: 

Das leise Piepsen des Weckers weckt mich auf und ich mache ihn mit einer Handbewegung zur Seite aus. Seufzend rolle ich mich auf die Seite. Sonntag. Toll. Heute kann man nichts tun. Mr. Sherman hat mir schon ewig keine Aufgaben gegeben, ich habe beiläufig erwähnt, ich hätte eine Klausurenphase und er meinte ich solle mich erstmal auf die Schule konzentrieren. 

Nicht das mich das stört, ich kann so mehr Zeit mit Samantha verbringen und sie besser kennen lernen. Ihre Mauer steht noch. Ich habe vielleicht ein, zwei Steine von oben, dazu gebracht sich zu verschieben. Aber ihre Mauer ist ziemlich, wie soll man es sagen? Fest? Als wäre ihre Schale aus Stahl. 

Aber so schnell gebe ich nicht auf. Immerhin habe ich in so kurzer Zeit schon sehr viel über sie in Erfahrung gebracht. Doch irgendetwas scheint noch auf ihr zu lasten. Vielleicht der Tod ihrer Mutter. Oder der ihres Vaters, schließlich ist Mr Sherman ihr Stiefvater. Früher dachte ich immer, ihr Leben wäre perfekt. Doch, wenn man beide Eltern verloren hat, ist es egal wie viel Geld man hat.

Und so wie ihr Zimmer aussieht, gibt Mr Sherman ihr nicht gerade viel von dem Geld, das er hat. Ich kneife die Augen zusammen. Worüber denke ich da denn nach? Als würde Mr Sherman sie schlecht behandeln. Niemals.

Er ist ein sehr guter Mensch. Er wirkt ihr gegenüber, zwar vielleicht etwas zurückhaltend und eher wie ein Leher oder Aufpasser, als wie ein Vater. Aber schließlich ist sie die Tochter seiner verstorbenen Frau. Man kann nicht erwarten, dass er sie aufnimmt wie seine eigene Tochter. Viele tuen das, aber vielleicht tut er sich damit schwer. Ich habe neulich ein Bild von Sams Mutter gesehen, sie ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Er sieht immer seine tote Frau in ihr. Man kann verstehen, dass er nicht immer viel Zeit mit ihr verbringt. Oder? Aber sie schlecht behandeln tut er nicht.

Nachdem ich mich fertig gemacht habe und die hölzerne Treppe nach unten Laufe, höre ich von Mr. Shermans Tür ein tiefes Schnarchen. Er ist also noch nicht wach? Es ist 13 Uhr? Was solls, geht mich nichts an. 

Ich laufe gerade wegs in die Küche und hole mir einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Ich habe absolut keine Ahnung, was ich heute machen werde. Und ich habe keine Ahnung was Sam heute macht, aber ich habe die dunkle Ahnung, dass sie heute arbeitet, denn sie hatte so etwas erwähnt. Ich bin jetzt schon fast einen Monat hier und verstehe mich mit Sam, meiner Meinung nach, sehr gut. 

Schätzungsweise, werde ich heute den ganzen Tag damit verbringen, Serien zu gucken. Und vielleicht gehe ich joggen. Nach meinem Joghurt gehe ich nach oben und laufe den Treppenabsatz zu Sams Zimmer rauf. Ich klopfe sachte an der Tür und als niemand antwortet öffne ich die Tür langsam. Das Zimmer erscheint leer, es ist komplett still. Sie wird wohl schon bei der Arbeit sein. Gerade als ich wieder gehen will, höre ich ein Knarzen, aus dem Badezimmer. 

Ich laufe über den Holzboden, bis zur Badezimmertür und öffne sie halb. "Sam bist du hier?" frage ich gerade, als mein Blick auf Sam fällt, die mit weit aufgerissenen Augen in meine starrt. "Nein?" sagt sie leise und lächelt schief. Mein Mund klappt auf und ich starre sie an. 

Ihre Lippe ist aufgeplatzt, ihre Wange ist bläulich, an ihrem Hals zeichnen sich dunkelblau-lilane Würgemale ab, ihre Fäuste sind verkrustet und an ihren Armen sind leichte blaue Flecken. 

"Was ist passiert?!" erschrocken sehe ich sie an. "Ich war gestern noch bei so einem Kampf." antwortet sie und fährt damit fort, irgendeine Creme auf die blauen Flecken zu schmieren. "So siehst du nach einem Kampf aus?! Was macht ihr denn da?" frage ich nach. "Oh, also das hier ist noch recht... nett." erklärt sie. "Ich sah schon schlimmer aus." 

Ungläubig starre ich ihr Spiegelbild an. "Und du machst das weiter?" frage ich dann. "Ja. Und bitte kein Wort zu... meinem Stiefvater. Ok?" bittend sieht sie mich an. "Ok." willige ich ein, doch in mir schreit es. Wenn, das hier die nette Variante der Folgen aus so einem Kampf ist, was könnte denn noch passieren? Könnte sie in so einem Kampf sterben?

Ein bisher unbekanntes Gefühl für Sam, schleicht sich in mein Herz, doch so schnell ich kann wische ich es wieder weg. Ich mache mir nur freundschaftliche Sorgen. Nichts weiter,


Leave me aloneWhere stories live. Discover now