Kapitel 30

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Früher war ich mal gerne Bus gefahren. Am liebsten Straßenbahn mit meinen Eltern. Früher mal. Doch sobald meine Mutter neu geheiratet hatte war es vorbei mit dem Bus fahren. Jetzt erinnert es mich nur noch schmerzlich an sie. Das ruckelnde Gefährt fährt uns bis zur Schule, zusammen mit drei Dutzend, lauten und nervigen Schülern. Das Gesicht in meine Hand gestützt starre ich aus dem Fenster, während Tyler mit seinen Fingern irgendeinen Rhythmus auf mein Knie trommelt.

Dieser Junge ist echt hibbelig. "Bamdadam. Badadamm." macht er und trommelt immer wieder auf mein Knie. "Tyler wie viel Kaffee hast du getrunken." frage ich ihn. "Gar keinen." antwortet er fröhlich und wibbt auf und ab. "Innerlich 10." sage ich und grinse. "Langweiler." witzelt er und ich hebe eine Augenbraue. Hab übrigens ewig gebraucht das zu lernen und kriege es immer noch nicht richtig hin die Augenbraue wirklich hoch zu ziehen, sie hebt sich nur ein Stück und auch nur rechts. Das frustriert mich. 

"Ich bin nicht langweilig." wende ich ein. "Ach ja stimmt. Da war ja was mit einem Drogenboss, Schulden und Kampfsport. Hatte ich vergess-" ich hielt ihm den Mund zu. "Wir sind an einem öffentlichen Ort Idiot." zische ich und starre ihn kalt an. Er sieht mir fast schon erschrocken in die Augen, dann bilden sich wieder Lachfältchen um seine Lider. "Du bist ja dramatisch." sagt er nur und bläst Luft in seine Backen. 

"Muss ja nicht jeder wissen, oder?" versuche ich die Situation zu lockern. "Tzzz." macht er nur und tippt weiter auf meinem Bein. Ich frage mich wirklich warum er neben mir im Bus sitzt. Hinten sitzen sogar ein paar aus seinem Footballteam. Ich finde ich furchtbar klischeehaft, dass er Football spielt. Als gäbe es in Amerika echt keinen anderen Sport. Wird überhaupt auf irgendeiner Schule noch etwas anderes als Sport angeboten?

Vermutlich fahren seine anderen Freunde mit dem Auto und vielleicht will er mich auch nicht alleine sitzen lassen, schließlich habe ich in letzter Zeit das Gefühl bekommen, dass wir sowas wie Freunde sind. Oder?

"Sag mal Tyler?" spreche ich ihn an. "Mh?" macht er. "Sind wir eigentlich Freunde?" ich sehe ihn an. Er blickt mir aus seinen braunen Augen entgegen. "Klar." dann lächelt er und ich lächle zurück. "Freunde" glaube ich ihn murmeln zu hören. "Was?" vergewissere ich mich. "Hm? Ich hab nichts gesagt." sagt er nur. "Ach so" Dann hab ich mich wohl verhört.

Als wir endlich aus dem stickigen Bus steigen ist es auf dem Schulhof meiner Meinung nach, viel zu voll. "Wir sehen uns später." ruft Tyler mir noch zu, dann ist er in der Menge verschwunden. Auf meiner Lippe kauend laufe ich zu meinem ersten Fach. Biologie. Was für eine Freude. 

Die Unterrichtsstunden ziehen nur so an mir vorbei, wie eine zähe Masse. In Mathe wirft Oliver, ein blonder Sportler, kleine Papierkügelchen auf mich und Amber kichert darüber, als sei es das Witzigste das sie jemals gesehen hätte. Ich ignoriere die kleinen Kugeln die auf mich herabprasseln. In meinem Kopf schwirrt die Angst vor dem ersten Anruf von Ramirez. Allein dieser Name. Fernando Ramirez. Gibt es einen dümmeren Namen für einen spanischen Drogendealer? Vermutlich heißt er nicht mal so.

"Oliver, kannst du endlich aufhören dich wie ein verblödeter Affe zu benehmen?" Eine scharfe Mädchenstimme schallt durch den Raum und lässt meinen Kopf hochfahren. "Ich mache doch gar nichts!" rechtfertigt sich Oliver. "Ach nein?" ich drehe mich zu der Stimme. Ein hübsches Mädchen mit schulterlangen blauen Haaren, knüllt ihren Zettel zusammen und wirft ihn Oliver direkt ins Gesicht. 

"Ey, was soll das?" blafft er sie an. "Oh, stört dich das?" sie wirft einen weiteren. "Soll ich aufhören?" sie lächelt ihn falsch an und wirft den nächsten kräftiger. "Ruhe! Imogen! Hör auf damit!" ruft unser Lehrer durch den Raum. "Nur, wenn er aufhört Samantha zu nerven." zuckersüß lächelt sie den Lehrer an. "Imogen so ein Verhalten dulde ich nicht. Oliver von dir auch nicht." bellt er und wendet sich wieder der Tafel zu. Imogen, was ein schöner Name. 

"Danke." flüstere ich ihr zu. "Kein Problem." sagt sie in normaler Stimmlage, sodass auch Oliver es hört. "Dieser Höhlenmensch hier, geht mir schon länger auf den Sack." angewidert sieht sie ihn an. "Was hast du gesagt." zischt er und beugt sich zu ihr. "Du findest Höhlenmensch ist ein schlimmes Schimpfwort? Süß." sagt sie nur und wendet sich wieder ihrem Heft zu. "Schlampe." stößt Oliver aus.

Imogen fährt hoch und sieht ihn mit kochenden Augen an. "Nenn mich nochmal so und ich sorge dafür das du keine Kinder mehr bekommen kannst." Mehrere Schüler um uns herum verfolgen das Gespräch. "Das traust du dich eh nicht, Hure." Oliver scheint einen Nerv bei Imogen zu treffen und das tut er bei mir auch. Sollte mich einer Hure nennen würde ich ihm wohl die Fresse polieren. Denn ich fühle mich jeden Tag wie eine. Dank Jake.

"Halt die Fresse Oliver." sage ich also. "Du auch noch?" witzel er. "Sie traut sich eh nicht." verhöhnt er Imogen. Die Haut um ihre gerade Nase wird leicht rot und plötzlich steht sie auf. Ihr Stuhl fällt scheppernd nach hinten, die ganze Klasse schreckt auf. In zwei Schritten ist sie bei ihm, sie ist erstaunlich klein, doch sie wirft ihre blauen Haare zurück und pack Oliver beim Kragen.

"Wenn ich dir sage, nenn mich nicht so." raunt sie ihm zu, doch ich höre es. "Dann meine ich das so, hast du verstanden du Möchtegern Playboy?" Sie schubst ihn zurück auf seinen Stuhl. "Imogen! Setz dich hin!" fährt unser Lehrer sie an. Doch Imogen stützt ihre Hände auf Olivers Tisch und sieht ihm tief in die Augen. "Leg dich lieber nicht mit mir an." sagt sie nur noch leise und spuckt Oliver ins Gesicht. 

Die ganze Klasse ist ruhig, als Imogen zu ihrem Platz geht und ruckartig ihren Stuhl hochzieht. "Imogen! Das reicht du gehst sofort zum Rektor!" jetzt schreit Mr. Bloom. "Gerne." sagt sie nur und greift ihren Rucksack. Auf dem Weg zur Tür zwinkert sie mir zu. Beeindruckt klicke ich meinen Kugelschreiber. Das Mädchen werde ich mir merken.

Leave me aloneWhere stories live. Discover now