Merjar

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Am Tag nachdem ich in Lokis Gemächer gezogen war, hatte er sich zu seiner Mutter begeben um ihr die freudige Nachricht zu überbringen. Sie konnte endlich mit der Planung unserer Hochzeit beginnen. Dies war nun bereits vor einer Woche und ihre Planung lief immer noch auf Hochtour. Seither hatte Loki kein weiteres Mal nach meinen Verletzungen gefragt, nur sein Blick fiel hin und wieder besorgt auf meine Narben. Doch seit gestern war auch der letzte Bluterguss, dank des Kräuterbads verschwunden. Ich fühlte mich wieder Stark und Fit, selbst die Heiler waren im großen und ganzen erstaunt über meine Selbstheilungskräfte, hätten sie es doch nie für möglich gehalten das sich mein Körper Vollständig von der Totgeburt erholte. Denn das war Merjar gewesen, eine Totgeburt. In der Nacht als mein Sohn starb, wurden seine Bewegungen plötzlich wild als hätte ihn etwas erschreckt. Er trat um sich, riss dabei meinen Leib auf und ließ die Fruchtblase platzen, sein kleiner blauer Körper eines Eisriesen begann mich von innen heraus zu gefrieren, brach mir dabei etliche Knochen. Wäre dabei nicht die Plazenta abgerissen, würde ich jetzt vielleicht meinen Sohn in den Armen halten. Meinen kleinen Merjar, den ich nur in einem kurzen Moment des Augenaufschlags gesehen hatte. Seine zarte blaue Haut war die von Loki gewesen, trotz des vielen Blutes stach sie unverkennbar heraus und auf seinem kleinen Kopf schimmerten meine roten Haare. Er wäre jetzt am Leben, wenn nicht alles so furchtbar schief gegangen wär. Nachdem ich aufgewacht war, hatten sie Merjar bereits fort gebracht. Frigga hatte nicht einmal Loki erlaubt unseren Sohn zu sehen, sie sagte es sei das beste. Das ich unserem Sohn den Namen Merjar still und heimlich gab, weiß niemand denn ich habe diesem Kind das Wild und viel zu früh gegangen war, den Namen meines Vaters gegeben. Schon komisch, am Anfang wusste ich nicht einmal ob ich dieses Kind wirklich wollte und nun zersplitterte es mir mein Herz, das ich meinen Sohn nicht einmal in die Arme schließen konnte. Wieder legte ich ohne groß darüber nach zu denken, meine rechte Hand auf meinen nun wieder flachen Bauch und vergoss eine Träne die mir über die Wange lief „Alles in Ordnung?“ erschrocken fuhr ich zusammen und bemerkte erst jetzt das Thor neben mir stand. Ich atmete einmal durch, bevor ich mich auf der Bank zurücklehnte auf der ich zwischen einigen Rosenbüschen im Garten saß „Darf Ich?“ fragte Thor weiter. Etwas verwundert das er mir die Wahl ließ, bedeutete ich ihm mit einer Handgeste, dass er sich setzen könne. Ebenfalls aufatmend ließ er sich auf die Bank neben mir fallen. Schweigend saßen wir da, als wären wir ein Paar das sich gestritten hatte und nun nicht wusste wie es jetzt weiter gehen sollte. Die Stille fühlte sich an, als ob etwas zwischen uns passiert wäre, etwas weswegen Thor plötzlich nicht mehr so ungezwungen gegenüber mir war. Ich dachte nach, grub in meiner Erinnerung weit zurück bevor Thor gegangen war und entdeckte sie wieder, die Erinnerung die ich schon fast vergessen hätte bei allem was geschehen war. Wir waren im Garten, und dann konnten wir beide fast nicht von einander lassen. Sif hatte dies gesehen und eröffnete mir das Thor, der Mann mit dem ich den größten Fehler meines Lebens teilte, für mich Gefühle hegte. Prüfend blickte ich zu Thor herüber, der immer noch schweigend in die Ferne sah. Doch plötzlich sprach Thor ohne sich zu rühren „Wo ist Loki?“ wollte er wissen. Überrascht antwortete ich ihm, ohne von ihm ab zu sehen „Nun ja…“ begann ich und musste ein kichern unterdrücken als ich fortfuhr „Loki hatte es heute morgen nicht rechtzeitig geschafft eurer Mutter aus dem Weg zu gehen, da hat sie ihn sich einfach gekrallt.“ Stirnrunzelnd sah er mich endlich an „Das klingt grauenvoll.“ Meinte Thor daraufhin und musste sich sichtlich auch ein Lachen verkneifen. Doch dieser heitere Moment zwischen uns klang so schnell wieder ab, wie er gekommen war und Thors kleines Lächeln erstarb. Er schluckte schwer, atmete noch einmal ein und aus „Bist du glücklich?“ fragte er plötzlich und musterte mich aus müden Augen heraus. Verblüfft von der Frage sah ich ihn eine ganze Weile nur an, bevor ich mich dazu brachte ihn an zu Lächeln und ihm zu antworten „Natürlich.“ Dabei konnte ich nicht verhindern das sich meine Hand erneut auf meinen Bauch legte. Vielleicht klang es in Thors Ohren wie eine Lüge, da er mich nun fragte „Ist das auch die Wahrheit?“ Doch es war die Wahrheit. Ich liebte Loki und freute mich schon auf unsere Hochzeit, ihn endlich meinen Ehemann nennen zu können. Das einzige was mir schwer auf dem Herzen lag war der Verlust unseres Sohnes. Ich lächelte ihn an, diesmal ein ehrlich gemeintes Lächeln „Ich weis du machst dir Sorgen, aber es ist die Wahrheit. Ich bin glücklich mit Loki.“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, fragte ich mich ob Thor noch atmete. Er sah mich an, ohne das sich auch nur ein Muskel in seinem Körper rührte, dass einzige was ich wahrnahm war das seine Augen glanzlos wurden. Als ob etwas tief in ihm zerbarst. Augenblicklich bereute ich meine Worte auf eine Art und Weise, obwohl ich die Wahrheit nie zurück nehmen würde. Gerade als ich meine Hand auf seine legen wollte, die er auf seinem Oberschenkel gebettet hatte, stand er auf und meine Hand verharrte in ihrer Bewegung. Thor sah mich nicht an, als er sagte „Ich wollte dir noch sagen, dass ich…“ er stockte, ballte die Hände zu Fäusten bevor er fortfuhr „Das ich deinen Sohn in den Armen gehalten habe.“ Entgeistert fuhr ich hoch, ließ mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen, die Bedeutung seiner Worte. Als ich Begriff was er mir gerade erzählt hatte, ließ sich mein Körper zurück auf die Bank sinken und blickte gen Boden, in meiner eigenen Erinnerung von Merjar versunken. Ich konnte mich erinnern das er gehalten wurde, nur unachtsam mit einem Leinentuch bedeckt, doch von wem konnte ich mich nicht erinnern. Doch von einem Moment auf dem anderen fügte sich Thor in meine Erinnerung ein, wie er besorgt auf den kleinen Merjar hinab blickte und dann auch einen genauso sorgenvollen Blick auf mich warf. Ob diese Erinnerung nun von einem Schleier befreit wurde, oder Thors Worte diese Verfälschte, konnte ich nicht sagen und genau genommen wollte ich nicht darüber nachdenken. Obwohl sie mir nun vollkommen vorkam, auch wenn es nicht Loki war der unseren Sohn in den Armen hielt. Meine Augen richteten sich wieder auf Thor, der weiterhin durch die unzähligen Rosenbüsche starrte und auf die Berge die dahinter lagen. Eine Weile herrschte Stille, während ich versuchte Worte zu finden die Ausdrücken konnten, wie dankbar ich Thor war. Nicht nur für die Erinnerung, sondern auch dafür das er verhindert hat, dass ich Merjar nach Walhalla folgen konnte. Loki hatte mir am Tag nach meinem erwachen erzählt, das Thor es gewesen war der mich beinahe verblutet in meinem Gemach fand. Doch vom nächsten Moment an, hörte ich auf über große Worte nach zu denken und sagte einfach „Danke.“ Endlich wandte sich Thors Blick zu mir, musterte mich aus immer noch matten Augen heraus. Ich schenkte ihm ein Lächeln, in der Hoffnung das es ihn erreichte. Seine Züge wurden entspannter, doch sein darauffolgendes Lächeln erreichte nicht seine Augen „Arikàda, ich…“ er stockte wieder, was mir die Gelegenheit gab seine Worte ab zu würgen „Sag es nicht.“ Bat ich ihn und strich eine Falte meines Rockes glatt. Seine Augen wanderten an mir herab und blieben sichtlich an meinem Ring kleben, der an meiner Hand steckte. Lokis Ring. Er schluckte hörbar, bevor er seinen Blick wieder davon abwandte und zurück zu meinem Blick kehrte, der ihn lächelnd musterte „Deine Worte sind für einen anderen Tag bestimmt.“ Beschloss ich und fügte dem noch hinzu „Vielleicht sogar für ein anderes Leben.“ Dabei versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, dass ich selbst von meiner Tonlage überrascht war, die wie eine allwissende Seherin klang. Die Frage warf sich in mir auf, woher diese Worte kamen. Doch da war nichts, als ob es gar nicht meine eigenen waren, als hätte jemand anderes mit meiner Stimme gesprochen. Dabei kroch in mir ein längst vergessenes Gefühl wieder hoch, das Gefühl der Unwissenheit. Es war wie damals in der Steinhütte, wo mir selbst mein echter Name verborgen war. Nur hätte ich nicht gedacht, das ein paar simple Worte den selben Effekt haben, wie eine ganze Existenz. Es beschlich mich nun ein ungutes Gefühl, dass doch noch mehr dahinter steckte. Es fühlte sich beinahe an, wie eine Warnung. Ich schüttelte den Gedanken wieder ab, als ich bemerkte das Thor mich mit einer hochgezogenen Braue musterte „Vielleicht hast du recht.“ Sagte er schließlich, mit keinem einzigen Hauch von Verwirrung und ließ sich wieder auf die Bank nieder. Als ob die Hälfte unseres Gesprächs Wortlos von statten gegangen wäre, und wir uns verstanden hätten, wie zwei Seelenverwandte die nie viele Worte brauchen um einander zu verstehen. Ich lächelte ihn wieder an und sagte schließlich „Ich habe ihm den Namen Merjar gegeben.“ Woher dieses Gefühl auf einmal kam wusste ich nicht, wie so oft, aber ich wollte das Thor den Namen meines Sohnes wusste. Thor antwortete mir mit einem Lächeln, dass endlich auch seine Saphirblauen Augen erreichte, die nun wieder strahlten. Eine Weile sahen wir uns nur an, unfähig den Blick voneinander abzuwenden, wie damals im Garten wo… schnell ließ ich die Erinnerung wieder fallen, aus dem plötzlichen verlangen heraus mehr als vor Monaten zu wollen. Ich biss mir auf die Lippe bis ich Blut schmeckte und bemerkte das Thor näher an mich heran rutschte. Seine Hand strich sachte an meinem offenen Haar entlang, während mir seine Augen entgegen schrien das er es auch wollte. Mehr als vor Monaten, und mehr als in der Nacht als ich mich meinen Gefühlen für Thor hingegeben hatte. Mein Herz klopfte schneller, so laut das ich fast fürchtete das Thor es hören konnte. In meinem Kopf schrie es, weil er wusste das ich Loki liebte, das wir bald heiraten würden und ich glücklich war. Mein Herz schmerzte und freute sich gleichzeitig, als würde es von beiden Prinzen hin und her gerissen sein. Es war beinahe eine Qual, und doch rührte sich mein Körper nicht, als Thor anschließend sanft über meine Wange streichelte. In seinen Augen glänzte eine stumme Frage und ich beantwortete sie aus dem Herzen heraus, das wie es schien für beide etwas empfand. Ich akzeptierte es in diesem Moment einfach, worauf im nächsten Augenblick Thors Lippen meine streiften. In meinem Kopf wurde es leise, später würde ich darüber nach denken müssen. Doch kaum hatte er sich wieder von mir gelöst, befreite sich mein Körper aus der starre und lief davon ohne Thor auch nur einen weiteren Blick zu würdigen. Ich ließ ihn stehen, aus nun aufflammender Verzweiflung und Scham. Tränen wollten sich einen Weg nach draußen bahnen, doch ich kniff die Augen zusammen und hielt sie zurück. Mein Herz führte mich zurück in mein altes Gemach, wo ich die Tür mit solch einer Kraft auf riss, dass ich sie wohl beinahe aus den Angeln gerissen hätte. Laut ließ ich die Tür hinter mir zuknallen, die plötzliche Stille ließ mich inne halten. Mein Atem ging stoßweise und mein Blick fiel auf den Balkon meines Gemachs, von dem ein kühler Luftzug herüber wehte. Ich trat hinaus, strich so sanft über die steinerne Brüstung, wie Thor über meine Wange gestrichen hatte. Ein schluchzen löste sich aus meiner Kehle, und mein Körper sank auf den Boden des Balkons. Nun ließ ich auch endlich meinen Tränen freien Lauf. Jeder Schmerz Drang nach außen. Aus Hilflosigkeit zog ich meine Knie an meinen Körper heran, schlang meine Arme um meine Beine und legte Müde meinen Kopf auf diesen ab. Bis vor einer Stunde hätte ich noch eine ganze Heerschar alleine bezwingen können, und nun schmerzte jeder Knochen meines Körpers und unendliche Müdigkeit umfing mich. Müde von all dem emotionalen Schmerz der letzten Monate. Den Monaten in denen ich Thor schmerzlich vermisste, den Tagen an denen ich mein eigenes Kind nicht geliebt habe und es nun verloren hatte. Die Wochen in denen ich Loki nicht sah, waren vielleicht die schlimmsten. Auch wenn es schmerzte, die Gewissheit das ich für Loki und Thor etwas empfand blieb. Doch eine neue Frage flammte auf. Wieso übermannten mich diese Gefühle gerade jetzt? Jetzt da ich kurz davor war Loki zu heiraten. Das Gefühl der Warnung überkam mich wieder, als ob jemand eine unklare Botschaft in meinem inneren hinterlassen hatte. Doch von einem Moment auf den anderen, traf mich die Erinnerung wie ein Schlag. Heimdall hat mir doch vor Wochen einmal gesagt das ich meine Zeit mit beiden Königen haben werde. Morgen würde ich dem nach gehen, und aus Heimdall antworten heraus quetschen. Vielleicht würde dann auch endlich mein eigener Frieden einkehren, wenn all diese Fragen endlich eine Antwort bekämen. Auf müden Knochen erhob sich mein Körper und schleppte sich zum Bett. Gedankenverloren starrte mein Blick an die Decke. Ohne mich meiner Kleidung zu entledigen, schlief ich kurzerhand ein.
In dieser Nacht träumte ich von Thor der ein Seidenbündel mit goldenen Stickereien in den Armen hielt. Das Kind darin blieb mir verborgen. Doch Thor wandte seinen Blick von dem Kind zu mir herüber. Er lächelte mich mit einer Wärme an, die ich so noch nie an ihm gesehen habe. Er sprach nicht, wiegte nur das Gold schimmernde Bündel in seinen mächtigen Armen. Bei näherem betrachten, erblickte ich einen goldenen Ring an Thors Finger. Es sah wie ein Ehering aus. Doch ehe ich meine Hand heben konnte, um zu sehen ob dort auch ein Ring war, wurde es dunkel und Thors Lächeln verschwand darin.

the God of Mishief and the Blood Hair SnowprincessWhere stories live. Discover now