2. Finstere Gestalten

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Hallo meine Lieben,

ich stelle direkt mal das 2. Kapitel online - wie findet ihr es bisher?

<3

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"It's been a long night - With a heavy loop - And now my high beams are shining on my baby's road - Gonna pick up some clay on the tread of these tires - Have ourselves a hell of a night"

Luke Combs - Moonshine


„Oh, Mist!", entfuhr es mir und ich machte schnell zwei Schritte zu meiner Tür. Zu meiner geschlossenen Tür. Der Durchzug musste sie zugeweht haben. Sowas konnte auch nur mir passieren!"

„John, Digga! Was is jetzt?!"

„Mist – Mist – Mist – Mist – Mist!" Ich rüttelte unsinnigerweise an meinem Türknauf. Zu. Da stand ich nun. „Was mach ich denn jetzt?", fragte ich, mehr an mich selbst gerichtet. Es war mitten in der Nacht, niemand hatte einen Ersatzschlüssel, und die Wohnungen in diesem Neubau hatten allesamt Sicherheitstüren der Widerstandsklasse 4, keine Chance für mich, sie irgendwie aufzubekommen. Unglücklich starrte ich das weiße Holz an.

„Wie wärs, wenn du erstmal rein kommst?"

Ich fuhr herum. Noch immer stand mein Nachbar in seiner Wohnungstür, lässig an den Rahmen gelehnt, die Hände in den Taschen seiner Jogginghose.

„Reinkommen?", echote ich und blieb unbeweglich auf meiner Türmatte stehen.

„Willst du auf dem Flur schlafen, Kleine?"

„Ich bin nicht Ihre Kleine!"

Er hob einen Mundwinkel und fand die gesamte Situation wohl sehr amüsant.

Allerdings hatte ich keine Wahl. Ich hatte ja nicht einmal mein Handy dabei, und ich musste den Hausmeister oder einen Schlüsseldienst anrufen, wenn ich nicht für alle Zeiten unter der Hamburger Kennedybrücke schlafen wollte. Ich biss die Zähne zusammen.

„Vielleicht...vielleicht dürfte ich kurz Ihr Handy benutzen? Ich muss jemanden anrufen, der mir die Tür öffnet."

„Das kannst du von drinnen machen. Komm rein, Kleine. Es zieht."

Damit trat er einen Schritt zur Seite. Das letzte, was ich wollte, war, mit diesem fremden Mann in dessen Wohnung zu verschwinden, in der noch Gott weiß wie viele andere Fremden saßen. Ich war praktisch nackt, ausgesperrt, ohne Handy. Mitten in der Nacht. Ich hatte wohl keine Wahl.

Zögerlich ging ich auf ihn zu, hielt kurz die Luft an und trat ein. Nur einen Schritt hinter der Eingangstür blieb ich schon wieder stehen. Die Wohnung schien ähnlich aufgebaut wie meine, allerdings waren bei mir Wände entfernt worden, um die Küche mit dem Wohn- und Essbereich zu verbinden. Aus einem Raum zu meiner Rechten kamen Stimmen, die Musik war runtergedreht worden.

„Wer wars denn?", fragte jemand.

„Kannst schon weiter, wir beißen nicht." Ich zuckte zusammen, als ich die Körperwärme des Mannes direkt in meinem Rücken spürte. Er stand so nah bei mir, dass wir uns beinahe berührten. Er grinste auf mich hinunter. Blaue, etwas gerötete Augen, beobachteten mich. Hastig machte ich einen Schritt nach vorne.

Ohne ein weiteres Wort ging er an mir vorbei, den mit hellem Holz ausgelegten Flur entlang in das angrenzende Wohnzimmer. Ich musste ihm wohl oder übel folgen, wenn ich nicht wie ein vergessener Regenschirm an der Garderobe stehen bleiben wollte. Schuhkartons stapelten sich an einer Wand, mehrere Jacken waren unordentlich übereinander an mehreren Kleiderhaken aufgehängt. In einem Wandspiegel erblickte ich mein eigenes, ungeschminktes Gesicht und strich mir schnell eine unordentliche Strähne hinters Ohr. Dann überbrückte ich die wenigen Meter ins Wohnzimmer.

Dort saßen, oder besser gesagt hingen, vier weitere Männer auf einem Sofa, die Füße auf einem Couchtisch, und sahen mich neugierig an.

„Geil, hast du die bestellt? Warum nur eine?", fragte einer der Männer, dessen volltätowierten Hände eine Zigarette und eine Dose Redbull hielten. Hier drin war der Rauch noch dichter, es roch stickig, aber immerhin hatten sie die Musik runtergedreht.

„Bestellt?", fragte ich verwirrt, während mein Nachbar rau auflachte. Ich bekam eine Gänsehaut.

„Jungs, das ist meine neue Nachbarin." Er schob mich weiter in den Raum, seine warme Hand direkt auf dem dünnen Stoff meines Kimonos. „Wie heißt du, Kleine?"

Ich verbiss mir einen erneuten Hinweis darauf, dass ich sicherlich nicht seine Kleine war.

„Marie. Marie-Sophie Hauser. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe mich...ausgeschlossen. Dürfte ich jetzt telefonieren?", fragte ich an meinen immer noch namenlosen Nachbarn gewandt. Ich wollte hier definitiv nicht mehr Zeit als absolut nötig verbringen.

„Setz dich.", sagte der jedoch nur und nickte in Richtung des Sofas.

Ganz bestimmt nicht.

„Ich möchte wirklich nur kurz den Schlüsseldienst anrufen." Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Die Männer, die allesamt aussahen, als wären sie einem Gangsterfilm entsprungen, musterten mich eindringlich.

„Brauchst du nicht. Alex, Digga, hol mal dein Werkzeug her, und mach ihr die Tür auf."

Alex, ein Mann mit Trainingsanzug und Bierflasche in der Hand rappelte sich hoch.

„Ähm...sind Sie aus der Branche?", fragte ich skeptisch. Ehrlich gesagt sah er nicht so aus, wie ich mir einen Schlüsseldienstmonteur vorstellte.

„Ich bin krass unterwegs in meiner Branche.", antwortete er mit einem Augenzwinkern. Er lispelte ein wenig.

„Alex kommt überall rein. Und jetzt setz dich endlich. Das sind Marten, Maxwell und Gazo. Und ich bin John"

Ich hatte nur wenig Lust, mich zu diesen Gestalten aufs Sofa zu quetschen. Trotzdem machte ich einen halbherzigen Schritt in die Richtung des grinsenden Gazo, als ich einen Blick auf den Couchtisch warf. Ich hielt inne.

Zwischen Gläsern und Flaschen, undefinierbaren Krümeln, vollen Aschenbechern und Papieren lagen kleine Tütchen mit bunten Tabletten darin. Grüne Klumpen waren auf dem Tisch verstreut und mittendrin – mittendrin! – lag eine Waffe.

„Ich – ich warte doch lieber draußen!", würgte ich hervor und drehte mich um, nur um beinahe frontal mit John zusammenzustoßen.

„Ich habs dir schon mal gesagt, Kleine, wir beißen nicht. Willst du wirklich im kalten Flur warten?"

Er ließ mich einfach stehen, nahm den leeren Platz von Alex ein und begann in aller Seelenruhe, eine weitere Zigarette zu drehen. Ich trat unschlüssig von einem Bein aufs andere. Ich war noch nie mit Drogen in Kontakt gekommen, erst recht nicht mit harten, und eine Waffe – ich hatte noch nie eine Waffe live gesehen. Und gab es für den Umgang mit Handfeuerwaffen im Privatbereich nicht auch strenge Reglementierungen?

Andererseits – wenn ich mir die Männer so ansah – schien das Befolgen von Regeln nicht unbedingt Punkt Nr. 1 auf ihrer Tagesordnung zu sein.

Widerstrebend ließ ich mich also neben Gazo auf der Sofakante nieder, immer noch mit verschränkten Armen, und presste vorsichtshalber auch die Knie fest aneinander.

Worth it (Bonez MC)Where stories live. Discover now