7. Wilde Nächte

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Einen schönen Freitag, meine Lieben!

Na, wie findet ihr John bisher? Könnt ihr ihn schon einigermaßen einschätzen, oder bleibt er euch ein Rätsel – so wie Marie?

<3

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„But now the currents slowly pulling me down - It's getting harder to breath - It won't be too long and I'll be going under - Can you save me from this - 'Cause it's not my time - I'm not going"

3 Doors Down – It's not my time


Auf dem Heimweg war es still im Auto. Ich hing meinen Gedanken nach und sah auf die vorbeifliegenden Lichter der Stadt.
Ich hätte niemals damit gerechnet, Menschen wie John oder Gazo zutreffen...geschweige denn, näheren Kontakt zu ihnen zu haben. Ich kam hier mit einer Welt in Berührung, die ich in meinem alten Leben, meinem alten Umfeld,nur aus dem Fernsehen kannte.
Wir waren keine Familie der oberen Zehntausend, oder auf jeden Fall waren wir nicht super reich – aber meine Eltern hatten immer darauf geachtet, dass ihre einzige Tochter gebildet, kultiviert und in die richtigen Kreise eingeführt wurde.
Ich war eine passable Balletttänzerin, spielte Klavier und Tennis als Ausgleich. Der Bekanntenkreis meiner Eltern bestand aus Unternehmern, Juristen oder Medizinern. Ich hatte eine Privatschule besucht und im Anschluss daran ein halbes Jahr in London verbracht. An der Frankfurt School of Finance hatte ich meinen Master gemacht und war danach direkt in hochdotierte Jobs eingestiegen.All das setzte sich in meinem Freundeskreis fort.
Es war nicht so, dass ich hinter dem Mond gelebt hatte, aber ich war nie wirklich in Kontakt gekommen mit der Welt der Menschen, bei denen das Abitur eben nicht vorprogrammiert war. In meiner Welt war protziger Schmuck verpönt und die Männer ließen ihre Glashütte nur manchmal unter den Manschettenknöpfen hervorblitzen. Illegal waren in meinem Umfeld vielleicht einige Steuertricks, aber Waffen? Drogen?

„Wir sind da, Kleine."
Ich schreckte auf. Tatsächlich hatten wir einige Meter von unserem Hauseingang entfernt gehalten, da direkt davor schon in zweiter Reihe geparkt wurde. Marten schien manchmal doch ein Einsehen mit seiner Umwelt zu haben.
„Kommst du nicht mit?", fragte ich, während ich meine Siebensachen zusammensuchte, John aber keine Anstalten machte, auszusteigen.
„Wir fahren noch weiter. Aber wir warten, bis bei dir oben das Licht angeht."
Ein bisschen kriminell vielleicht, aber im Kern wohl doch ganz nett. Ich musste lächeln.
„Müsst ihr nicht, aber danke. Habt noch einen schönen Abend!"

Ich krabbelte aus dem Wagenfond und wurde empfangen von der üblichen Geräuschkulisse der Reeperbahn. Auf der anderen Straßenseite pöbelten ein paar Jugendliche, aus dem Restaurant im Erdgeschoss unseres Wohnhauses drang laute Musik, Menschenmassen schoben sich vorbei in Richtung der Bars und Kneipen.
Immer noch in Gedanken versunken umrundete ich den Mercedes und suchte in meiner Handtasche nach dem Haustürschlüssel. Eingepackt hatte ich ihn diesmal auf jeden Fall, da war ich mir –
„Hey! Aua - loslassen!"

Wie aus dem Nichts war ich beinahe umgestoßen worden – im ersten Moment dachte ich, mich hätte ein Radfahrer erwischt. Stattdessen war es ein junger Typ mit Kapuzenpulli, der mich nicht nur fast umgerannt hätte, sondern jetzt auch wild am Henkel meine Handtasche zerrte. Ich hatte kaum realisiert, dass hier gerade jemand mitten auf der Reeperbahn versuchte, mich auszurauben, als erst eine, dann eine weitere Gestalt dazukamen und ich zur Seite gedrängt wurde.

„Du dreckiger Hurensohn, verpiss dich!"
Das war Johns Stimme! Ich hatte mich gerade genug gesammelt, um alles um mich herum wieder einordnen zu können, als ich auch schon sah, wie John ausholte und meinem Angreifer einen Faustschlag mitten ins Gesicht verpasste. Es gab ein so hässliches Geräusch, dass mir kurz schummerig wurde.
„Willst du Stress mit 187? Willst du Stress mit den 81ern, mhm? Verpiss dich,Diggah, oder du bekommst richtig Probleme!"
Marten, der sich abschirmend vor mich gestellt hatte, rief dem flüchtenden Kerl, der sich seine stark blutende Nase hielt, noch einige Freundlichkeiten hinterher, dann drehten sich beide Männer zu mir um. Die Passanten um uns herum hatten einen respektvollen Bogen um das kleine Intermezzo gemacht, einige hatten aber auch ihre Handys hervorgeholt, und das schienen auch Marten und John zu bemerken. John schob mich mit einem festen Griff am Oberarm zur Haustür und in das Gebäude. Sobald die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, wurde es so still, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen hören konnte.

„Alles okay mit dir? Hat er dich erwischt?", fragte John und griff dann mitgeübter Geste an mein Kinn, um mein Gesicht in Richtung der Deckenlampe zudrehen.
„Nein, alles gut, glaube ich.", sagte ich mit einer merkwürdig piepsigen Stimme und räusperte mich. Immer noch hielt ich meine Handtasche fest umklammert, doch das merkte ich kaum, so lange ich Johns raue Finger noch auf meiner Haut spürte. Sein prüfender Blick wanderte über mein Gesicht und blieb dann an meinen Augen hängen. Wahrscheinlich sah ich aus wie ein verschrecktes Kaninchen. Und ehrlich gesagt fühlte ich mich auch so.
„Diese kleinen Ficker, ey. Sah bisschen aus wie der kleine Bruder von Bilal,was meinst du?", fragte Marten, der mit verschränkten Armen und ärgerlichem Gesichtsausdruck neben uns stand.
John wandte sich von mir ab und ließ mich los.
„Diggah, keine Ahnung. Ich ficke den, wenn ers war. Klär das morgen. Vielleicht hat jemand was mitbekommen. Der ist Richtung Herzblut gerannt, vielleicht hat Heinz was gesehen, oder Miro." Marten nickte.
„Sollte ich vielleicht zur Polizei...?", fragte ich vorsichtig.
„Vergiss es. Wir klären das. Die Bullen nehmen das auf und dann passiert eh nichts mehr.", sagte John nur. Dann standen beide Männer mit verschränkten Armen vor mir.
„Sicher, dass wir dich allein lassen können?", fragte Marten. Scheinbar sah ich so blass aus, wie ich mich fühlte.
„Ich bring sie hoch.", antwortete John für mich.
Ich räusperte mich nochmal.
„Danke, Marten.", sagte ich zum Abschied, bevor ich John folgte.

Der wartete, bis ich nun wirklich meine Schlüssel rausgesucht und mit immer noch zittrigen Händen das Schloss aufgesperrt hatte. Dann drehte ich mich noch einmal um.
„John, ich...danke. Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich gemacht hatte. Das ging alles so schnell und...wirklich. Danke."
„Dafür nicht, Kleine."
Für einen Moment standen wir schweigend da und sahen uns nur an. John sah aus, als wollte er etwas sagen, doch er blieb stumm. Schließlich klingelte im Erdgeschoss Martens' Handy und wir blinzelten beide.
„Ist denn deine Hand okay?", fragte ich, um den eigenartigen Moment zu überspielen.
„Was soll mit meiner Hand nicht okay sein?", fragte er überrascht und spreizte seine großen Hände. Am linken kleinen Finger steckte ein auffälliger Goldring. Die Knöchel seiner rechten Hand waren gerötet.
Ohne genauer nachzudenken, griff ich danach. John beobachtete mich und aus den Augenwinkeln erahnte ich wieder das halbe Grinsen.
„Das solltest du kühlen.", sagte ich und strich vorsichtig über die leicht geschwollenen Stellen.
„Das ist nichts. Geh jetzt rein, es ist schon spät." Er entzog mir sanft seine Hand und wandte sich zum Gehen. „Übrigens passt du besser auf dich und deine Schlüssel auf, ich bin ab morgen für ne Woche weg."
Er sagte nicht, wohin er wollte, aber das ging mich ja auch nichts an. Ich nickte nur stumm und schloss dann meine Wohnungstür von innen ab.

Kurz lehnte ich mich dann mit dem Rücken dagegen und starrte in meinen dunklen Flur. Ich konnte John vielleicht nicht richtig einschätzen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich ihn...mochte. Vielleicht sogar ein bisschen zu sehr, gemessen an all den negativen Aspekten, die ich bisher über ihn herausgefunden hatte.

Worth it (Bonez MC)Where stories live. Discover now