Sechs

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𝒜 𝓁 ℯ 𝒶
ᴡɪʟʟɪᴀᴍs

Es vergingen einige Tage, seit Kyson Evans sich für sein Verhalten mir gegenüber entschuldigt hatte. Seitdem kam er jeden Morgen ins Café, immer um die gleiche Zeit. Er blieb eine halbe Stunde, trank einen schwarzen Kaffee und schien völlig vertieft in den Roman, den er dabei hatte. Gestern hatte ich bemerkt, dass er ihn nochmal von vorne las.

Heute war Donnerstag und ich war soeben damit beschäftigt, die graue Pudeldame Willow durch die Straßen unserer schönen Stadt zu führen. Neben mir lief Sally, die mir von ihrem Fotoshooting heute erzählte. Neben ihrem Job als Krankenschwester, modelte meine beste Freundin hobbymäßig.

»Du hättest den Fotografen sehen müssen, was für ein Schnittchen«, schwärmte sie und richtete ihren Blick auf Willow, deren Rute senkrecht in die Höhe stand. Ich war ein paar Sekunden still, bevor ich sie fragte: »Und was ist da zwischen dir und Adam jetzt genau?«

Ihre braunen Augen sahen mich an und über ihre mit Sommersprossen übersäten Gesichtszüge huschte ein unsicheres Lächeln. Sie wusste, dass sie vor mir nichts verbergen konnte. Sie wusste es ganz genau.

»Das weißt du doch. Ich mag ihn, aber wir sind uns unsicher, ob wir das wagen sollen. Eine Beziehung, meine ich. Das könnte unsere Freundschaft zerstören und das will ich nicht. Ich möchte auch nicht, dass du dich am Ende verpflichtet fühlst, eine Seite zu wählen«, murmelte sie zerstreut und ich tat mir schwer, sie richtig zu verstehen. Sie sprach so schnell und abgehackt. Über uns strahlte die Sonne noch sehr intensiv, da Sally und ich heute früher Schluss machen konnten und wir uns zum Spaziergang mit Willow verabredet hatten.

»Sally«, fing ich an und blieb unter einem Baum stehen, der Willow, Sally und mir Schatten spendete. Die Hündin nutzte die Chance und legte sich auf den warmen Asphalt des Gehweges und kugelte sich von links nach rechts.

Meine beste Freundin sah mich an, das schöne Lächeln verblasste und ich vermisste es augenblicklich. Dachte sie, ich würde sie verurteilen?

»Mach dir nicht so viele Gedanken über die Zukunft. Es ist dein Leben, deine Entscheidung«, sagte ich und legte meine freie Hand auf ihre warme Schulter. Sally legte den Kopf zur Seite und wartete, bis ich weitersprach.

»Ich würde mich nie für eine Seite entscheiden. Es gibt nur euch beide für mich. Als Team, ob freundschaftlich oder mehr. Also wenn ihr beiden wirklich Gefühle füreinander hegt...dann bitte. Bitte geht aufeinander zu und sagt euch das. Das Leben ist zu kurz um nicht mutig zu sein. Außerdem war vergangenes Jahr schon anstrengend genug gewesen, euch beim Flirten zuzusehen, ohne dass was passiert ist«, erklärte ich und grinste zum Ende hin.

Ich erinnerte mich daran, als Adam seine erste Freundin hatte. Das Ganze hielt zwei Jahre, dann trennte sich seine Freundin von ihm, weil sie einen in ihren Augen besseren Typen fand.

Adam war lange Zeit ziemlich mies drauf, doch unsere Eltern und ich holten ihn aus seiner Trauer. Stück für Stück kam seine Freude zurück und Adam heilte.

Und ich war mir sehr sicher, dass mein Bruder letztes Jahr entdeckte, dass er Sally mochte. Mit einem Mal trafen wir uns häufiger zu dritt und Adam erkundigte sich über das Wohlbefinden meiner besten Freundin. Er sah sie länger als nötig an, lächelte verträumt, wenn Sally etwas sagte – egal wie belanglos es schien...für Adam waren Sallys Worte immer von Bedeutung. Da war ich mir sicher. Sehr sicher.

Also wenn es dazu kommen würde – dann wünschte ich nicht nur Adam alles Glück auf der Welt, sondern auch Sally.

»Das heißt, du würdest nichts dazu sagen, wenn ich deinen Bruder um ein Date bitte? Oder er mich?«, hakte Sally nach und wirkte nun etwas entspannter. Wesentlich entspannter. Ihre Schultern sackten unter meiner Hand hinab und das vertraute Lächeln erhellte ihre weichen Gesichtszüge wieder.

Kyson EvansWhere stories live. Discover now