Kapitel 30

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Als wir eine halbe Stunde später bei den Lightwood's ankommen, ist zum Glück keiner Zuhause. Max ist in der Schule und Maryse wahrscheinlich bei ihrem Halbtagsjob. Sie würde gerne mehr arbeiten, allerdings hat sie durch die frühe Heirat mit Robert nie wirklich was gelernt und so Schwierigkeiten etwas zu finden. Zum Glück gehört ihr das Haus, da Robert es auf ihren Namen gekauft hat und er zahlt ihr Unterhalt.

Schnell laufe ich hoch in mein Zimmer und krame meine Reisetasche hervor. Dort werfe ich meine Schulsachen rein, die ich noch hier habe. Ein paar Klamotten, meine Lieblingsbücher und meine Hygieneartikel.

Zehn Minuten später stehe ich bepackt mit den wichtigsten Sachen wieder unten bei Clary. "Fertig?", fragt sie mich lächelnd. Ich atme tief durch und hole meinen Schlüsselbund aus meiner Tasche. Mit zusammengezogener Brust entferne ich den Hausschlüssel der Lightwood's und lege ihn auf den Küchentisch. Maryse wird ihn sicher zuerst finden und dann den anderen Bescheid sagen.

Ich hoffe sehr, dass das nicht in einem Familiensteit endet, für Maryse bin ich immerhin wie ihr leiblicher Sohn. Aber ein ganz kleiner Teil in mir hofft, dass Maryse richtig auf den Tisch haut und ihre Kinder zur Rede stellt. Ich wäre neugierig, was die beiden ihr erzählen? Seufzend verlasse ich das Haus und ziehe -vielleicht ein aller letztes Mal- die Haustür hinter mir zu.

Nach einer kurzen Busfahrt sind wir bei Clary Zuhause. Sie öffnet die Tür und sofort kommt Jocelyn besorgt schauend um die Ecke. Natürlich, Clary kommt immerhin fast vier Stunden zu früh nach Hause. Neugierig sieht sie zwischen uns beiden hin und her und versucht, sich mit einem Lappen die letzten Farbreste von den Händen zu wischen.

"Clary, Schatz, wieso bist du so früh zurück? Und wieso ist Magnus hier?", fragt sie neugierig. Freundlich, kein Stück Ärger klingt in ihrer Stimme mit. Jedoch sieht sie mich weiterhin besorgt an. Ich sehe wohl wirklich so schlimm aus, wie ich mich fühle. Clary drückt ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und flüstert ihr irgendwas zu, wahrscheinlich um diese Situation zu erklären.

Jocelyn lächelt mich warm an und zieht mich dann vorsichtig in ihre Arme. "Du kannst solange hierbleiben, wie du willst. Ich mache dir das Gästezimmer fertig und in der Zeit zeigt Clary dir mein Atelier.", beschließt sie und zwinkert ihrer Tochter verschwörerisch zu. Dann nimmt sie mir meine Tasche ab und Clary zieht mich an der Hand durch's Haus nach hinten in eine Art Garage.

Staunend sehe ich mich um. Überall hängen Bilder, fertige und unfertige. Farbeimer und Tuben sind überall im Raum verteilt und hier und da steht auch eine Tonskulptur. Grinsend reicht Clary mir einen zerschnittenen Müllsack. "Anziehen!", befiehlt sie. Ich sehe skeptisch auf den Müllsack, dann wieder in das Gesicht meiner Freundin. "Biscuit, ich sehe in allem gut aus, aber nicht mal ich kann einen Müllsack in Szene setzen.", erkläre ich ernst.

Sie lacht. "Zieh das Ding einfach über.", wiederholt sie sich. Schulterzuckend tue ich, was sie mir befohlen hat und warte. Auch Clary zieht sich einen Müllsack an und kommt mit zwei Eimern voller kleiner Luftballons zu mir. Dann stellt sie eine große, weiße Leinwand uns gegenüber an die Wand. Lächelnd stellt sie sich wieder neben mich.

"Okay, und jetzt?", frage ich, immer noch planlos was sie vorhaben könnte. Wieder fängt die rothaarige an zu grinsen. "Jetzt machen wir das.", sagt sie. Gleichzeitig nimmt sie einen der Ballons aus dem Eimer und wirft ihn mit voller Wucht auf die Leinwand. Der Ballon zerplatzt und auf der eben noch weißen Leinwand prangt ein blauer Farbfleck.

Mit großen Augen, fröhlich wie ein kleines Kind an Weihnachten, sehe ich sie an. "Los, lass deinen ganzen Frust raus. Wir können das den ganzen Tag machen!", freut sie sich und wirft schon den nächsten Ballon. Aufgeregt nehme ich mir auch welche und pfeffere sie gegen die Leinwand, von der man immer weniger Weiß sieht. Die Farbe, die aus den Luftballons platzt, spritzt uns entgegen und sofort bin ich froh über den Müllsack.

Nach einer Zeit gesellt Jocelyn sich zu uns und füllt uns immer mehr Ballons auf oder tauscht die Leinwände aus. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, aber als wir fünf Leinwände komplett bunt gefärbt haben und auch selber einiges an Farbe abbekommen haben, setzen wir uns lachend auf den Boden. Jocelyn reicht uns beiden eine Flasche Wasser und dankbar trinke ich. "Das war wirklich das coolste, was ich je gemacht habe!", freue ich mich und die beiden Frauen lachen.

So viel Spaß hatte ich wirklich seit langem nicht mehr. Und seit Ewigkeiten habe ich mich nicht mehr so unbeschwert und frei gefühlt wie jetzt. Eigentlich wollte ich wirklich weg. Alles hier hinter mir lassen. Aber kann ich das wirklich? Ja, Alec hat mir mein Herz gebrochen. Und die Menschen, die ich für meine Familie gehalten habe, entweder können oder wollen sie mir nicht helfen.

Aber ich habe Clary. Sie und Jocelyn und Jace. Solche Freunde finde ich nie wieder, egal wo ich hingehe. Sie halten zu mir, auch wenn alles grade einstürzt. Kann ich sie wirklich verlassen? Bin ich so egoistisch? Oder würden sie wollen, dass ich gehe und versuche, irgendwo anders glücklich zu werden? Könnte ich hierbleiben? Würde ich es ertragen, Alec irgendwann in den Händen eines Mädchens zu sehen? Wie er heiratet? Eine Familie gründet? Ein glückliches Leben ohne mich führt?

Mein Gedankenkarussell dreht sich zu schnell und mir wird schwindelig. Clary's besorgte Stimme holt mich in die Gegenwart zurück. "Magnus? Magnus, ist alles okay?", ruft sie leise und streicht mir über den Arm. Ich schüttele meinen Kopf um die verwirrenden Gedanken zu vertreiben und sehe sie an. "Ich habe Hunger.", murmele ich leise. Sie nickt und steht auf, hilft dann auch mir hoch. Schnell werden wir die Müllsäcke los und gehen in die Küche.

Fröhlich pfeifend kramt sie in den Schränken herum. "Kommt Jace nachher vorbei? Und weiß Jocelyn von euch?", frage ich neugierig. Clary fängt an zu lächeln. "Ja, Mom weiß davon. Sie war dabei, als er mich gefragt hat und sie hat ihn gleich zum Essen dabehalten.", freut sie sich. Lächelnd nicke ich. "Er wollte tatsächlich nach der Schule vorbeikommen und sehen, wie es dir geht.", fügt sie noch hinzu.

Wieder nicke ich. Es wird schön sein, einen Nachmittag mit ihnen zu verbringen, bis auf... "Keine sorge, Jace und ich halten unsere Liebesbekundungen zurück!", grinst sie wissend, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Dann dreht sie sich wieder zum Küchenschrank und ich muss mir tatsächlich ein Lachen verkneifen. Schon bewundernswert, wie gut sie mich doch kennt.

Faking itWhere stories live. Discover now