- FIFTY-SEVEN -

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Ich hatte ihn wirklich geküsst.

Und ich hatte mich mit Mike gestritten.

Und ich hatte mich besinnungslos betrunken.

Ein Bett wär jetzt nicht schlecht.

Ich holte mein Handy heraus. Die digitale Uhr sagte mir, dass es schon nach drei war. Ich suchte in meinen Kontakten nach Trevors Nummer, die mir El mal gegeben hatte, weil Trevor mich dauernd von irgendwo abholte und einfach weil er nett war. Nachdem ich von dem Frezeichenton Kopfschmerzen bekommen hatte und mir sicher war, El's großer Bruder würde schon schlafen, legte ich auf.

Dann schrieb ich El eine Sms, in der ich mich für mein Verhalten entschuldigte, öffnete die Badezimmertür und kämpfte mich zurück durch die Menschenmassen zum Hauseingang.

Die Straßen waren so dunkel und ich kannte den Weg nicht, aber ich wollte nicht mehr ins Haus und irgendwen sehen, denn plötzlich war mir mein Benehmen schrecklich peinlich.

Ich beschloss, einfach die Straße runter zu gehen. Cheddar war nicht allzu groß, ich wurde früher oder später irgendwas sehen, was mir bekannt vorkam.

Nach einer Weile zog ich meine Schuhe aus und ging barfuß über den Bürgersteig. Der Stein war kühl und es fühlte sich angenehm an meinen gereizten Füßen an, nachdem ich stundenlang in diesen Mörderschuhen rumgelaufen bin.

Die Tränen auf meinen Wangen waren schon längst getrocknet als ich an einer Straße vorbei kam, die ich kannte. Ich schlug den richtigen Weg ein. Lange blieb meine Freude darüber aber nicht, denn schon bald kamen mir vier Jugendliche entgegen, die alles andere als nett aussahen. Im Licht der Straßenlaternen sah ich das Grinsen, was sich auf ihre GEsichter schlich, sobald sie mich bemerkten. Sie waren eindeutig betrunken.

Nicht auch das noch.

Ich drehte mich um und lief in die andere Richtung, aber ihre Schritte wurden lauter und dann auch ihre Rufe.

,,Hey Baby!"

,,Lust auf ein bisschen Spaß?"

,,Lauf doch nicht weg!"

,,Verzieht euch!", schrie ich zurück, drehte dabei den Kopf und erschrak, als einer von ihnen direkt hinter mir stand.

,,Na na na, nicht so unfreundlich."

Sein Atem stank grässlich.

Das Blut rauschte mir in den Ohren. Ich hatte Angst. Der Rest des Cherry Vodkas, der noch in mir vorhanden war, verbat mir mich an die Griffe zu erinnern, die mir mein Vater gezeigt hatte.

Dann spürte ich eine Hand an meinem Hinterteil. Ich zuckte zurück, aber das brachte nichts.

Das Adrenalin beschränkte meine Wahrnehmung. Ich sah die Scheinwerfer des Autos nicht, was kurz hinter uns zum Stehen kam. Und ich bemerkte auch im ersten Moment den Jungen nicht, der aus dem Auto trat.

,,Lasst sie in Ruhe!"

Ich war erleichtert das er da war. Andererseits machte es die Situation nocht schlimmer. Ich wollte nicht wie ein kleines Kind darstehen, nicht vor Harry. 

,,Gott, was willst du hier?"

Ich schlug die Hand von meinem Arsch, der Junge war so überrascht von der Wendung der Lage, das er keinen zweiten Versuch, mich anzugrapschen, startete.

,,Dafür sorgen, dass du nicht vergewaltigt in irgendeiner Gasse endest." Harry sagte das so, als wäre es offensichtlich, dass das geschehen würde.

,,Danke, aber ich brauche deine Hilfe nicht."

,,Zieh Leine, die Kleine will uns, nicht dich." Einer der Jungs ging einen Schritt auf Harry zu und drückte ihn wieder in die Richtung seines Autos. Er war erheblich kleiner als Harry, aber das schien kein Problem für ihn zu sein.

,,Die 'Kleine' hat versucht vor euch wegzulaufen, während sie mich eben geküsst hat.", provozierte Harry.

,,Ich war komplett betrunken."

,,Das ändert nichts an der Tatsache, dass du ziemlich geil auf mich warst."

,,Wie kannst du es wagen?!", schrie ich.

,,Hey, hey, komm runter. Du steigst jetzt ins Auto und ich klär das solange mit denen hier, dann fahr ich dich nach Hause, okay?" 

,,Wie wärs, wenn du selber in dein scheiß Auto steigst und nach Hause fährst?! Du hasst mich, kümmer dich also nicht um mich!"

,,Glaubst du nur weil ich dich nicht ausstehen kann will ich das dir was passiert?!"

Ich hatte die vier Jungs komplett vergessen.

,,Dann lande ich eben vergewaltigt in einer Straßenecke! Was solls?! Das Leben ist nicht immer so wie man es sich wünscht."

Harry blinzelte wiederholt. ,,Du bist doch krank." flüsterte er und drehte sich um.

Dann legte sich plötzlich eine Hand wie ein Schraubstock um meinen Arm.

,,Komm mit." 

Der beißende Atem des Jugen stieg mir wieder in die Nase. Ich spürte wie ich vor Wut nun vollkommen durchdrehte.

,,Fass mich nicht an.", kreischte ich.

Ich zog mein Knie hoch und traf ihn genau da, wo ich vorhatte ihn zu treffen. Er krümmte sich zusammen und stöhnte. Sein Griff lockerte sich und ich riss mich los. Die anderen drei schauten erschrocken, bevor sie auf mich zu gingen. Ich warf mit meinen Schuhen nach ihnen. 

Ob ich sie traf wusste ich nicht, weil ich schon längst herumgewirbelt war und losrannte.

***

Ich wusste, dass mir niemand gefolgt war. Ich hatte mich oft genug umgedreht und niemanden gesehen. Jetzt stand ich mit blutigen Füßen vor meiner Haustür. So leise wie möglich schloss ich sie auf und biss mit vor Schmerz auf die Lippe als ich meinen Fuß wieder belastete. 

Im Wohnzimmer brannte noch Licht und ich fragte mich warum meine Eltern noch wach waren. 

Ich schlich leise die Treppe hoch, blieb aber wie erstarrt stehen, als ich hörte wie in der Küche irgendwas zerbrach.

,,Du bist doch krank!" Mein Vater schrie.

Ich kniff die Augen schmerzhaft zusammen als ich daran dachte, wie Harry genau diese Worte eben noch an mich gerichtet hatte.

Die Küchentür wurde aufgerissen und ich verschwand so schnell ich konnte in meinem Zimmer und verriegelte die Tür hinter mir.

Gedämpft hörte ich wie jemand durchs Haus polterte.

,,Ich bin krank?!" Die Stimme meiner Mutter war schrill.

Sie stritten sich.

,,Du warst doch derjenige, der seiner Tochter verboten hat auf eine Party zu gehen!"

,,Hast du mal ihr Kleid gesehen? Hast du dich mal gefragt wie sowas aus ihr werden konnte?!", dröhnte mein Vater.

,,Natürlich! Aber es hilft ihr nicht, wenn wir sie hier einsperren! Sie muss sich selbst finden und das überwinden, was sie auch immer in diese Lage gebracht hat!"

Ich stolperte auf mein Bett zu und legte mich unter die Decke. Es war mir so egal, dass ich noch mein Kleid trug. Es war mir so egal, dass meine Füße dreckig und geschwollen und voller Blut waren. 

Ich hielt mir die Ohren zu und schrie, in der Hoffnung ich könnte die Welt um mich herum ausblenden.

Lost In Forest || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt