blümerant

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Nachdem Dominic gegangen ist, zieht Henry sich bis auf seine Boxershorts aus und legt sich neben mich auf die Badezimmerfliesen. Seine Hand schiebt sich wie selbstverständlich in meine Haare und ich seufze leise. Dieses Cafuné – das liebevolle Durch-die-Haare-streichen – beruhigt mich jedes Mal.

„Ich habe mir für morgen etwas überlegt", verkündet Henry und ich kann am Funkeln seiner Augen erkennen, dass es etwas sein muss, worüber er sich sehr freut.
„Und was?"
Entschuldigend lächelt er und sagt: „Ich weiß, du magst Überraschungen nicht besonders, aber diese wird dir gefallen. Du darfst mir also die Adresse des Buchladens geben und ich hole dich dann ab."

Grübelnd runzele ich meine Stirn.
„Und was machen wir dann?", will ich wissen.
„Wenn ich es dir verrate, wird es ja keine Überraschung mehr sein", schmunzelt Henry. „Aber ich verspreche, dass du sie lieben wirst."
„Okay", erwidere ich zögerlich.
„Wie war es mit Dominic?", wechselt Henry das Thema, während seine Finger weiterhin sanft durch meine Strähnen gleiten.
„Gut, denke ich", überlege ich laut. „Er ist unfassbar nett."

Henry lacht und sagt: „Das ist er. Und ich bin froh, dass er nicht auf Männer steht."
Fragend sehe ich ihn an.
„Darüber bist du froh?"
„Oh ja, sonst wäre ich sehr besorgt, dass du ihn bald netter als mich findest", gibt er zu und ich reiße verblüfft die Augen auf.
„Die Sorge hatte ich vielmehr!", rufe ich und er rückt etwas näher an mich heran, um meinen Mund zu küssen.
„Einigen wir uns darauf, dass sich keiner von uns beiden in Dominic verliebt, einverstanden?", schlägt Henry diplomatisch vor und ich erwidere seinen Kuss.
„Ich bin nur in dich verliebt, Henry", flüstere ich. „Und ich bin mehr als einverstanden mit deinem Vorschlag."

•••

Schon vor dem Wecker bin ich wach. Henry liegt neben mir und atmet noch tief und gleichmäßig, seine schwarzen Haare stehen an seiner Kopfseite etwas ab. Ich bin wie erstarrt und kann mich nicht bewegen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich in zwölf Minuten aufstehen muss. Ich muss duschen, etwas zum Frühstück essen, meine Zähne putzen und dann holt Dominic mich gegen Viertel nach acht ab. Er hat vorgeschlagen, mich zum Buchladen zu fahren und Mr. Worms und mich bekannt zu machen.

Was ziehe ich an? Was trägt man in einem Buchladen? Wird es heute warm oder kalt? Was, wenn ich eine Panikattacke bekomme und Dominic ist nicht mehr da? Hat Mr. Worms ein Badezimmer im Buchladen? Wie komme ich von dort nach Hause? Henry hat gesagt, er holt mich ab, aber was, wenn ich früher nach Hause möchte oder Mr. Worms bereits nach einer halben Stunde feststellt, dass ich nicht dafür geeignet bin, in einem Buchladen zu arbeiten? Warte ich dann viereinhalb Stunden vor dem Buchladen bis Henry mich abholt? Bekomme ich meine Überraschung trotzdem, auch wenn ich gar nicht richtig gearbeitet habe? Wird Henry dann von mir enttäuscht sein?

Der Wecker auf meinem Nachttisch beginnt zu piepen und ich zucke erschrocken zusammen. Meine Atmung beschleunigt sich und ich spüre nur dumpf, wie Henry sich neben mir räkelt.
„Das nervt aber", murrt er, doch ich bin wie gelähmt und kann das Piepen nicht ausstellen.
Henry beugt sich über mich, drückt auf den Knopf an dem nervtötenden Gerät und legt sein Kinn auf meiner Brust ab.

„Panik?", fragt er wissend und ich nicke vorsichtig.
„Du siehst auch aus, als wäre dir ein wenig blümerant."
„Blumen?", frage ich und bemühe mich, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.
„Blümerant, wenn man kurz vor einer Ohnmacht steht", erklärt Henry. „Ich denke, ich mache dir ein Frühstück und du duschst inzwischen. Möchtest du erst einen Kaffee?"
Er küsst meinen Mund und krabbelt vom Bett.

„Henry?", krächze ich.
„Maxwell?"
„Was ziehe ich an?", bitte ich ihn leise um Rat.
Er zwinkert mir zu und sagt: „Darüber habe ich schon nachgedacht, mich mit deiner Schwester beraten und lege dir etwas raus. Du gehst duschen und dann gibt es Frühstück, mein hübscher, blümeranter Freund."

Als ich wenig später frisch geduscht und nicht mehr ganz so zittrig nur in einer Boxershorts aus dem Badezimmer komme, begrüßt mich bereits der Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Auf dem Bett liegt ein kurzärmeliges, dunkelblaues Hemd und eine schwarze Jeans, daneben einfache Sneakersocken.

Ohne Henrys und Jennys Entscheidung zu hinterfragen, ziehe ich die Sachen an und bin mehr als dankbar, dass ich mir zumindest über diese Frage keine Gedanken mehr machen muss.
In der Küche erwartet mich ein gedeckter Tisch mit bereits eingeschenktem Kaffee, zwei Scheiben Toast mit Käse und Gurkenscheiben, die wie ein lustiges Gesicht auf meinem Teller drapiert sind.

Unwillkürlich muss ich lächeln und setze mich auf meinen Stuhl, während Henry sich etwas Rührei aus einer Pfanne auf einen Teller schiebt.
„Ich habe dir kein Ei gemacht", verkündet er. „Nicht, dass dein Magen rebelliert."
Er hat recht. Beim Gedanken an Rührei wird mir in der Tat etwas... wie nannte er es? Blümerant.
„Danke", murmele ich und trinke einen Schluck des frischen Kaffees.

Henry setzt sich neben mich, lehnt wie selbstverständlich sein Bein gegen meinen Oberschenkel und beginnt zu essen. Ich mag das sehr, wenn er auch bei alltäglichen Tätigkeiten den Körperkontakt zwischen uns hält, als wollte er mir versichern, dass er noch da ist.

„Ich habe mein Handy dabei und Dominic ist wohl in einer Firma ganz in der Nähe des Buchladens", plaudert er. „Sollte also irgendetwas sein, kannst du uns jederzeit erreichen. Läuft alles nach Plan, wovon ich ausgehe, hole ich dich gegen halb drei ab."
Ich sehe ihn zweifelnd an und murmele: „Wirst du enttäuscht sein, wenn es nicht nach Plan läuft?"

Henry legt seine Gabel auf seinem Teller ab und greift meine Hand.
„Maxwell", sagt er ernst. „Ich bin schon jetzt so unfassbar stolz auf dich. Mich kannst du gar nicht enttäuschen. Du versuchst es und das ist es, was zählt."
Er lächelt mir aufmunternd zu und deutet auf den Toast, damit ich ihn esse.

Eine halbe Stunde später klingelt es an der Tür und ich trete nervös von einem Fuß auf den anderen. Henry kommt auf mich zu, drückt mir meinen Rucksack in die Hand und legt seine Arme um meine Taille.
„Du wirst einen spannenden Tag haben, ich habe dir etwas Kleines für die Mittagspause eingepackt und halb drei hole ich dich ab", verkündet er. „Ich wünsche dir ganz viel Spaß, Maxwell."

Er küsst meine trockenen Lippen und öffnet mir die Wohnungstür. Vorsichtig trete ich nach draußen. „Danke, Henry", flüstere ich und gehe dann wie mechanisch die Treppen nach unten, wo Dominic bereits auf mich wartet.

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