Versöhnungssex

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Die gesamte Zeit des Frühstücks lassen Henry und ich unsere Finger miteinander verschränkt. Er hält mit seiner linken Hand mein Brötchen, als ich es mit Butter bestreiche und ich verteile mit meiner Rechten die Erdbeermarmelade auf seinem. Wir sprechen kein Wort und doch lassen diese kleinen gemeinsamen Handlungen das Eis in mir allmählich vollkommen auftauen.

Schließlich sind wir beide fertig mit dem Essen und sitzen nun zurückgelehnt auf unseren Stühlen, die verschränkten Hände auf meinem Oberschenkel abgelegt.
„Sind wir okay?", fragt Henry leise und mir fällt auf, dass seine Augen nicht mehr ganz so traurig aussehen.
Ich nicke vorsichtig und drücke seine Hand.
„Tut mir leid, dass ich so war", wispere ich. „Es war nur so... als wäre ich gar nicht da und er... hat dich die ganze Zeit angefasst und du hast nichts dagegen gemacht."

Henry nickt und schnieft leicht.
„Es tut mir wirklich leid, Maxwell", erwidert er. „Ich war so vertieft in die Planung der Ausstellung und er ist ein sehr kontaktfreudiger Mensch."
Ich sehe Henry nur an und er schüttelt den Kopf. „Das soll keine Ausrede sein", murmelt er. „Es war mir in diesem Moment einfach nicht bewusst und das hätte es sein sollen. Es kommt nicht wieder vor."

„Warst du gestern Abend noch bei ihm?", will ich wissen und wieder schüttelt er den Kopf.
„Er rief an, aber ich sagte ihm, dass das bis heute warten könnte."
Meine Augen weiten sich kurz bei seiner Antwort. Er will sich heute wieder mit diesem Ekel treffen?

Aber Henry redet gleich weiter: „Doch heute früh habe ich ihm geschrieben, dass ich das ganze Wochenende bei dir bleibe. Ich muss nachher noch einmal kurz ins Atelier, um die Bilder zu nummerieren, aber er wird nicht dort sein."

Ein erleichterter Seufzer entkommt mir.
„Du kannst auch gern mitkommen", bietet Henry an. „Und dann bleiben wir das restliche Wochenende auf dem Sofa oder im Bett oder wir fahren raus in den Wald und machen ein Picknick. Was immer du magst."
Ich lächele und streichele mit meiner freien Hand über seine Wange.
„Picknick klingt gut", flüstere ich.
„Gestern war ich nur im Supermarkt und habe das Drachenfutter besorgt", stellt Henry klar.

Ich nicke und ziehe grübelnd meine Augenbrauen zusammen.
„Denkst du über das Wort Drachenfutter nach?", erkundigt sich Henry schmunzelnd und nun schüttele ich den Kopf.
„Was bedeutet Kretin?", will ich wissen und Henrys Augenbrauen heben sich verblüfft.
„Sowas wie Idiot oder Dummkopf", klärt er mich auf. „Woher hast du das jetzt?"

Ich seufze und zucke mit den Schultern.
„Dann hatte der Mann, der mich gestern beinahe überfahren hat, wohl recht."
„Du wurdest beinahe überfahren?", fragt Henry entsetzt.
„Ich war wohl etwas in Gedanken und bin auf der Straße stehengeblieben."
„Oh."
„Und dann beschimpfte mich der Mann als Kretin", beende ich meine Erzählung.
„Das ist nicht besonders nett."
„Aber war in diesem Fall wohl angebracht."

„Darf ich dir einen Kuss geben, mein Kretin?", fragt Henry schmunzelnd und ich lache leise.
„Sehr gern, mein Kretin", grinse ich und seufze leise, als Henry endlich seine weichen Lippen wieder auf meine legt. Der Kuss fühl sich unsagbar gut und längst überfällig an und ich spüre Henry glücklich an meinem Mund lächeln.
„Das hat mir gefehlt", haucht er und ich nicke.
„Möchtest du mit ins Atelier kommen? Dann könnten wir danach in den Wald", schlägt er vor und ich runzele die Stirn.

„Und womit?", frage ich, denn mir fällt ein, dass ich mein Fahrrad gestern einfach vor der Galerie habe stehen lassen.
„Oh", erinnert sich offenbar nun auch Henry. „Dein Fahrrad steht noch an der Galerie. Ich habe es angeschlossen, damit es nicht gestohlen wird, aber wollte so schnell wie möglich zu dir nach Hause."
„Dann macht der Kretin gleich noch einen Spaziergang und holt sein Fahrrad", zucke ich mit den Schultern. „Und bis du fertig bist, ist es mir garantiert ein Leichtes, das Fahrrad zu holen, den Picknickkorb zu packen und dich im Atelier abzuholen."

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