28 - Abschied

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Mein Vater hörte mir zu, während wir unser Essen aßen. Ich versuchte die Sache mit Shade zu erklären, doch irgendwie weigerte sich ein Teil von mir, meinem Vater die ganze Geschichte zu erklären. Ich hatte ihm schon mal alles erzählt, jedoch nur die Kurzfassung. Damals als mich mein Vater von meiner Hochzeit geholt hat.

„Ich habe dich zu mir geholt, da ich nicht wusste, ob du ihn freiwillig heiraten wolltest, Angelina.", sagte mein Vater. „In dem Brief, den du mir damals in meinem Haus in Miami hinterlassen hast, hast du erzählt, dass die Familie Griffin verrückt geworden ist und dich verheiraten möchte."

„Das stimmt auch. Ich hab mich auch nie so wirklich zugehörig gefühlt bei ihnen. Sie waren zwar immer nett zu mir, aber irgendwie fühlten sie sich einfach nicht wie Familie an.", ich griff nach der Hand von meinem Vater. „Du bist meine Familie, Papa." Und genau deswegen würde ich alles für dich tun.

Mein Dad lächelte mich an. „Und du meine, mon rayon de soleil (mein Sonnenschein). Du weißt genau, dass ich alles für dich tun würde. Und du weißt, dass ich meinem poussin (Küken) nichts abschlagen kann. Aber dennoch mag ich diesen Mann nicht... "

Ich kniff die Lippen zusammen. Und das nicht zu Unrecht, Dad.

„Er hat sich schon vor längerer Zeit in mich verliebt.", erklärte ich. Zwar wusste ich nicht genau, ob Shade tatsächlich verliebt war, aber das Wort ‚Besessen' wollte ich nicht sagen, auch wenn es das wohl am besten beschreiben würde. „Doch erst vor kurzem hat er sich dazu entschlossen, mich heiraten zu wollen. Ich weiß auch nicht, warum er mich nicht einfach nach einem Date gefragt hat. Machen das nicht normale Menschen so? Erst miteinander ausgehen, sich verlieben und dann nach einiger Zeit erst heiraten?"

Ich hatte mein gesamtes Leben nur mit meinem Vater verbracht und kannte das eigentlich ‚normale' Leben gar nicht. Mein Vater war kriminell und hat aber versucht, mich weitestgehend aus der ganzen Sache rauszuhalten. Nachdem meine Mutter gestorben ist, hatte er ziemliche Verlustängste gehabt.

Oui, oui (ja, ja). Eigentlich schon. Aber Männer wie er sind anders. Sie nehmen sich was sie wollen, mon chèrie. Daher dachte ich anfangs, dass er dir was angetan hat, um dich zu dieser Hochzeit zu zwingen.", erklärte er und warf mir einen scharfen Blick zu.

Ich setzte mein ganzes schauspielerisches Talent ein, um ein kurzes Lachen zu erzeugen, was nicht vollkommen verzweifelt und hysterisch klang. „Dad, er ist nicht einer deiner kriminellen Kollegen, mit denen du dich triffst. Er ist vielleicht reich und einflussreich und hat durch seinen Adelstitel einige Sonderrechte, aber er ist ja kein Mörder oder so." Mein Vater warf mir einen seltsamen Blick zu. „Shade hat mich zwar sehr unter Druck gesetzt, ihn zu heiraten, aber um das entscheiden zu können, brauchte ich mehr Zeit, um darüber nachzudenken. Und besonders wollte ich ihn erst kennenlernen."

Mein Vater warf mir ein schiefes Lächeln zu. „Ich hatte deine Mutter eine Woche nachdem wir uns kennengelernt hatten geheiratet.", meinte er und seine blauen Augen funkelten, als er von meiner Mom erzählte.

Überrascht riss ich die Augen auf. „Wie bitte? Das hast du mir nie erzählt!"

Meine Eltern hatten auch so früh geheiratet? Zumal mein Vater gerade einmal 38 ist. Ich hatte vor wenigen Tagen Geburtstag und bin 18 geworden. Das bedeutet, dass mein Vater damals gerade einmal 20 gewesen ist, als ich geboren wurde. Und er hatte noch eher geheiratet?

Mein Vater zuckte mit den Schultern. „Wenn jemand schnell heiratet, dann verurteile ich das nicht, mon papillon (mein Schmetterling)."

„Du würdest es also erlauben, wenn Shade mich heiraten würde?", ungläubig starrte ich ihn an. Ich hätte damit gerechnet, dass mein Vater einen übermäßigen Beschützerinstinkt bekommt und mir eine Standpauke hält, aber dass er so ruhig und verständnisvoll bleibt, hätte ich nicht gedacht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nicht, dass mein Vater sehr wohl einen stark ausgeprägten Beschützerinstinkt hatte und es sogar gut fand, dass ich Shade heiratete, da er genau wusste, wer der Duke of Bellmont wirklich war und was für eine Macht er tatsächlich hatte. Er war in der Lage, mich vor all der Grausamkeit dieser Welt zu beschützen und mein Vater wusste, dass Shade ebenso sehr von mir angetan war, wie er selbst von meiner Mutter. Andernfalls würde Shade nicht diesen riesigen Aufwand betreiben und alles daran setzen, mich zurückzubekommen, wenn ich nur eine Frau für ihn wäre. Er wusste nicht, dass Shade mich versuchte, zu besitzen, er wusste nur, dass bei ihm der sicherste Platz der Welt für mich sein würde. Und das war ihm das Wichtigste. Ich würde gut versorgt und beschützt werden.

„Er ist ein reicher, gut aussehender junger Mann und kann sich sicherlich vor Verehrerinnen kaum retten. Er sollte ursprünglich deine Adoptivschwester Jana heiraten, welche ebenfalls ausgesprochen hübsch ist. Doch trotz allem hat er sich für dich entschieden und wenn das stimmt, was du mir erzählt hast und er wirklich seit fast vier Jahren an dir interessiert ist, dann zweifle ich nicht dran, dass er für dich etwas empfindet, mon bijou (mein Juwel). Zudem sichert sein Stand in der Gesellschaft und sein Reichtum dir eine tolle Zukunft." Er kniff die Lippen zusammen. „Und er kann dir mehr bieten, als ich es könnte."

„Sag das nicht, Papa."

Er schüttelte den Kopf. „Es ist aber so, Angelina. Ich habe keinen festen Wohnsitz und reise durch die ganze Welt. Ich habe drei Dutzend Identitäten und muss aufpassen, nicht von den falschen Personen gesehen zu werden. Ich habe viele Feinde und arbeite grundsätzlich allein. Du bist meine einzige Schwachstelle und du weißt, was damals passiert ist, bevor du nach Amerika zu den Griffins gegangen bist. Du hättest sterben können und das nur, weil ich dich nicht ausreichend beschützen konnte. Du bist bei mir in Gefahr, es ist ein Wunder, dass ich dich so lange großziehen konnte. Bei diesem Mann bist du sicherer, ma puce." Ich konnte meinem Vater ansehen, wie schwer es ihm fiel, sich das einzugestehen.

„Ich habe mich nie beschwert, mit dir zu reisen. Es hat mir auch Spaß gemacht, die Welt zu sehen.", versuchte ich ihn zu beruhigen. Meine Kindheit war grundsätzlich nicht schlecht. Ich war zwar oft allein, aber dadurch bin ich selbständig geworden. Und mein Vater war immer gut zu mir gewesen.

„Aber du hättest lieber ein normales Leben, ma chèrie. Du hast immer davon geträumt, auf die Highschool zu gehen, das College zu besuchen, einen Mann kennenzulernen und eine Familie zu gründen. Dich irgendwo niederzulassen." Er lächelte mich schief an. „Wenn du bei mir bleibst - und das musst du, wenn du nicht von jemanden ausgeliefert werden willst - dann kannst du dieses Leben leider vergessen. Und das möchte ich nicht, Lina."

„Ich weiß, Daddy.", flüsterte ich und meine Augen wurden glasig. Es fühlte sich gerade wie ein Abschied an.

„Wenn dieser Mann, dich gut behandelt und dich so schätzt, wie du es verdienst, dann kannst du ihn gern heiraten. Sofern du das möchtest."

Und genau das war der Knackpunkt. Wie gut würde mich Shade behandeln? In der Vergangenheit hat er es nicht getan. Er hatte mir den Hintern mit seinem Gürtel versohlt, um mich zu bestrafen, weil ich vor ihm weggelaufen bin und ihn bei der Polizei anzeigen wollte. Im Nachhinein konnte ich verstehen, dass er sauer war, aber mich körperlich so zu misshandeln ging einfach zu weit. Er hatte mir auch angedroht, mit mir gegen meinen Willen zu schlafen, obwohl ich nicht glaubte, dass er das wirklich tun würde. Immer wenn er abends ins Bett gekommen ist, hat er mich an sich gezogen und mich gestreichelt, bis er eingeschlafen ist. Er war zärtlich zu mir gewesen. Nur wenn ich ihn verärgerte, wurde er grob und gemein. Doch würde er wirklich so weit gehen und mich vergewaltigen? Ich traute ihm das nicht zu, denn er wollte meine Zuneigung und wenn er mich gewaltsam nahm, dann hatte er diese für immer verloren.

Zudem hatte ich ihn schon das ein oder andere Mal um den Finger gewickelt und ich glaube, dass ich das noch öfters tun könnte.

„Okay, Daddy.", sagte ich und holte tief Luft. „Ich würde es gern mit ihm versuchen."

Mein Vater lächelte schief. „Er wird dich nicht mehr gehen lassen. Das ist dir doch klar, mon lapinou (mein Hase)."

„Ja...", erwiderte ich leise.

„Und es wird sehr schwer für mich werden, dich ihm wieder wegzunehmen, solltest du dich umentscheiden.", argumentierte er. „Aber ich werde einen Weg finden, wenn du das wünscht."

„Danke, Papa."

Nun konnte ich die Tränen wirklich nicht mehr zurückhalten, sprang von meinem Platz auf und fiel meinem Vater in die Arme. Er würde alles für mich tun und genau so ich für ihn. Dass ich ihn nun wieder für eine sehr lange Zeit nicht sehen kann, zerbricht mir wieder das Herz. Doch es musste sein. Ich hatte mich entschieden und nun gab es kein zurück.

***

Wie findet ihr es, dass Mina bald auf Shade trifft? Ich kann es kaum erwarten, ist irgendwie so eine Hass-Liebe zu Shade, haha

Übrigens danke für die vielen lieben Kommentare, die sind eine mega Motivation weiter zuschreiben. Das nächste ist auch fast fertig ;)

100 Million Tears 18+ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt